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Jahresrückblick Politik: Wowereit & Pflüger: Mit aller Macht

Für Klaus Wowereit verlief das Jahr weitgehend ohne Ärger, zumal die CDU sich die Oppositionsarbeit selbst schwer machte. Beim Großthema Flughafen Tempelhof bewies der Regierende, dass er nicht nur taktieren kann, sondern auch dazulernen.

Politiker machen Fehler, manche mehr, manche weniger. Klaus Wowereit hat im Jahr sieben seiner Regentschaft das Fehlervermeiden zum Kunsthandwerk entwickelt. 2008 war für Wowereit ein weitgehend ärgerfreies Jahr.

Längst kann der Mann mit der Teflonschicht Kritik, Anschuldigungen, die Klagen über sein Desinteresse an größeren Konzepten und Strategien an sich abperlen lassen, als sei gar nicht er gemeint. Doch unter der kritikabweisenden Schicht hat Wowereit die Fähigkeit zur dezenten Kurskorrektur entwickelt. Es zeigte sich am Großthema Tempelhof.

Forsch und überdeutlich hatte Wowereit den Berlinern zu verstehen gegeben, dass der Volksentscheid über den Flughafen an dessen Schließung nichts ändern werde. Als der Polit-Luftkampf im April in die heiße Phase ging, machte sich der Regierende mit seiner Forschheit selbst das Leben schwer (zumal der Senat ideenmäßig für Tempelhof nichts zu bieten hatte): Während die Tempelhof-Anhänger die Gefühle nur so wabern ließen, kam Wowereit den Leuten landebahn betonhart mit dem „juristischen“ Argument. Dabei ließ sogar die Bundeskanzlerin durchblicken, dass sie den Weiterbetrieb des Flughafens für möglich hielt (ohne zu sagen, wie lange). Und siehe: Wowereit erkannte, dass er sich und seiner Überzeugung keinen Gefallen tat, indem er immer aufs Neue verkündete, dass ihn die West-Berliner Massenemotion nicht interessiere. „Ich kenne die Berliner Seele“, erklärte er nun plötzlich mit viel Kreide auf den Stimmbändern. Die Tempelhof-Befürworter verdienten „Respekt“, gestand er zu. „Emotional kann ich verstehen, dass manche dem alten Stadtflughafen nachtrauern...“

Na also, geht doch: Den Tempelhof-Freunden fehlten beim Volksentscheid fast 80.000 Ja-Stimmen – und Fehler machten fortan nur noch die anderen, vor allem die CDU. Was nicht bedeutete, dass Wowereit konfliktfrei durch das politische Jahr glitt. Da war die Sache mit dem EU-Vertrag. Berlin enthielt sich im Bundesrat bei der Abstimmung über den Vertrag, weil die Koalitionspartner von der Linkspartei das von Wowereit und der SPD verlangten. Da lief es mal andersherum: Normalerweise zieht Wowereit die Linkspartei am Nasenring durch die Arena – nun zogen sie ihn. Wowereit ließ es zu, um die Koalition nicht zu beschädigen. Auf die Berliner Stimmen kam es ohnehin nicht an – und das breite Publikum dürfte das Polit-Anekdötchen schon vergessen haben, als die Bundesrats-Protokollanten noch am Sitzungsprotokoll schrieben.

Den ganzen langen Jahresrest über taktierte und regierte Wowereit um so kühler und effektiver. Ein gewisser Senator Obama wollte gern am Brandenburger Tor reden – die Kanzlerin ließ ihn nicht. Wowereit gab sozusagen den Roadie für Obamas Auftritt an der Siegessäule und durfte ihm zur Belohnung im Adlon „Hallo“ sagen. Ein gewisser Senator Sarrazin übertrieb es mit dem Schurigeln der Armen in Berlin und Deutschland – und Wowereit zeigte Sarrazin im Unter-vier-Augen-Männer-Gespräch seine Geduldsgrenze. Ein paar Gewerkschaften meinten, weil es in Deutschland finanzpolitisch gerade gut lief, könnten sie aus dem bis 2009 laufenden Solidarpakt aussteigen. Der Streik lief ins Leere, doch Sozialdemokraten mögen nicht wirklich mit Gewerkschaftern streiten. Wowereit und sein Innensenator Ehrhart Körting bewiesen eine geradezu altchinesische Kunst der Gesprächsführung: Hilf ihnen, das Gesicht zu wahren, dann sind sie froh, verlieren zu dürfen.

Ein bisschen Großherzigkeit konnten sich Wowereit und seine Sozialdemokraten um so eher leisten, als sich die gerade wieder zu Kräften gekommene Oppositions-CDU selbst demontierte. Politiker machen Fehler, und manche machen sie so gründlich, dass sogar ihre Gegner die Gefühlsgegend hinter der Schadenfreude kennen lernen. Die Art, wie sich Friedbert Pflüger um seinen Job als CDU-Fraktionschef und anerkannter Oppositionsführer brachte, hatte auch für Genossen einen tragischen Zug.

Ohne Not, ohne direkten Anlass hatte Pflüger am Ende der Sommerpause verkündet, er wolle den CDU-Landeschef Ingo Schmitt herausfordern. Pflügers Vorstoß war sozusagen gut gemeint und genoss vielerlei Sympathien in und außerhalb der CDU. Aber er war machtpolitisch nicht abgesichert. Frei nach Josef Stalin dürfte sich Ingo Schmitt im September 2008 gefragt haben, wie viele Divisionen Pflüger denn gegen ihn in Stellung bringen wollte. Die Antwort bekam Schmitt schnell - sie lautete: Keiner weiß es. Sicher sind es viel weniger als nötig. Trotzdem setzte in der Berliner CDU ein Mechanismus zur Selbstzerstörung ein, der etwas Erschütterndes hatte. Pflüger bekam von seinen Parteifreunden signalisiert, dass er Fraktionschef bleiben könne, wenn er Schmitt in Ruhe ließe. Doch Pflüger wollte nicht nachgeben. So stand er an einem Spätsommernachmittag wieder am Nikolsburger Platz, wo er zwei Jahre zuvor sein emotionales Bekenntnis zu Berlin abgegeben hatte. Jetzt kam wieder ein Bekenntnis. Pflüger warf seinen Parteifreunden vor, sie hätten ihn unter Druck gesetzt. Damit war er in der Berliner CDU erledigt.

Doch seltsam: Statt wie früher üblich nach der parteiinternen Rauferei (vornehm „Führungskrise“ geheißen) die Krawatten gerade zu ziehen, die Anzugjacken abzuklopfen und so weiter zu machen wie früher, ging die Attacke auf Schmitt weiter – ohne Pflüger. Immer mehr CDUler sagten, es müsse sich etwas ändern, die CDU müsse durchlässiger und demokratischer werden, basisnäher. Und siehe: Ingo Schmitt gab entnervt den Landesvorsitz auf. Frank Henkel, der neue Fraktions- und bald auch neue Landeschef, moderierte die Entwicklung, bremste sie nicht – und der Groll über Schmitt führte dazu, dass der uninspirierteste Vorsitzende, den die Berliner CDU je hatte, nicht mal mehr auf die Landesliste für den Bundestag kam. Mal sehen, was es bringt. 2009 müssen sie alle zeigen, was sie können. Es kommt der Europa-, und es kommt vor allem der Bundestagswahlkampf. 

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