zum Hauptinhalt
Von der Aue

© Mike Wolff

Justizsenatorin: "Es gibt keine Zunahme der Jugendkriminalität"

Gisela von der Aue will die beschleunigten Verfahren für junge Straftäter ausweiten. "In Berlin wird härter bestraft als in anderen Bundesländern", sagt die Justizsenatorin. Sie fordert zudem eine Gesetzesinitiative zum Verbot der Zwangsehe.

Vor einem Jahr wurde ein schwunghafter Drogen- und Handyschmuggel in der Berliner Jugendstrafanstalt bekannt. Was hat sich seitdem in der Anstalt verändert, und welche Wirkung zeigt das neue Jugendstrafvollzugsgesetz?

Seitdem die Vorsatzgitter montiert wurden, sind die Überwürfe um 95 Prozent zurückgegangen. Wir konnten neulich sogar vier Täter auf frischer Tat ertappen, die die Polizei festnehmen konnte. Die Kooperation mit der Polizei läuft sehr gut. In diesem Jahr haben wir etwa 190 Handys beschlagnahmt. 20 davon haben wir direkt nach dem Wurf über die Mauer einsammeln können. Durch das Jugendstrafvollzugsgesetz haben wir die Besuchszeiten von zwei auf vier Stunden im Monat erhöht. Das sind bis zu 50 000 Besucher pro Jahr in der Anstalt. Aber: Da die Handys immer kleiner werden, haben wir das Problem, dass wir sie nicht alle entdecken können, wenn sie reingeschmuggelt werden.

Sie kündigten im Mai sogenannte Handyblocker an. Wann werden die installiert?

Das ist eine hoch komplizierte Geschichte mit den Handyblockern oder GSM-Jammern. Die Bundesnetzagentur hat sich des Problems angenommen. Die ersten Messungen über die Strahlungen der Abfanggeräte werden in der Jugendstrafanstalt jetzt durchgeführt. Das ist die Voraussetzung für die Installation dieser Blocker. Es sollen ja die Bediensteten und die Inhaftierten keinen Schaden erleiden. Eine andere technische Schwierigkeit ist, keine Handys außerhalb der Anstalt zu blockieren. Das ist ein Projekt, das im Strafvollzugsausschuss der Länder erörtert wurde. Berlin steht hier in einem intensiven fachlichen Austausch mit den anderen Ländern.

Laut Jugendstrafvollzugsgesetz sollen Häftlinge in der JSA nachts nur noch in Einzelhafträumen untergebracht werden. Bei einer chronischen Überbelegung ist das noch längst nicht umgesetzt, oder?

Wir haben eine 25-prozentige Überbelegung – auch durch Verlegungen nach Brandenburg – auf 96 Prozent, auf unter 500 Inhaftierte im Juli 2008 abgebaut. Unsere Zielgröße sind 92 Prozent. Wir bauen gerade ein weiteres Haus auf dem Gelände der Jugendstrafanstalt und hoffen, dass wir zum Ende des Jahres damit fertig werden. Im Moment können wir die Einzelbelegung noch nicht umsetzen.

Um Streitereien unter den Häftlingen zu verhindern, sollte bereits im Januar eine einheitliche Anstaltskleidung eingeführt werden. Bisher tragen die jungen Straftäter immer noch Zivilkleidung. Warum verzögert sich das so?

Wir haben Anfang des Jahres gesagt, dass wir dieses Projekt ausschreiben wollen. Das ist geschehen. Jetzt geht es um die Realisierung der Kleidung und Schuhe. Im September oder spätestens Oktober dieses Jahres wird die Anstaltskleidung eingeführt.

Seit Gründung der Intensivtäterabteilung vor fünf Jahren steigt die Anzahl der jungen Serientäter ständig an. Inzwischen sind es mehr als 500. Warum bringen härtere Strafen Ihrer Meinung nach nichts?

Wir haben eine relativ konstante Zahl von Intensivstraftätern. Auch die Zahl der erfassten Schwellentäter, die mit mindestens fünf einschlägigen Verfahren aufgefallen sind, ist bei rund 210 relativ konstant. Es gibt keine Zunahme der Jugendkriminalität, es geht immer um bestimmte Tätergruppen, die besonders gewaltbereit sind. Unverändert geblieben ist, dass rund 80 Prozent der Intensivstraftäter einen Migrationshintergrund haben. Davon hat etwa die Hälfte einen ausländischen Pass.

Trotzdem: Es gab immer wieder Kritik an der Laschheit mancher Jugendrichter, wenn sie nur Bewährungsstrafen aussprechen.

Wir können belegen, dass dem nicht so ist. Die Berliner Richter sind konsequent. Es werden in Berlin längere Haftstrafen und damit auch härtere Strafen als in anderen Ländern ausgesprochen. Jeder zweite zur Tatzeit 18- bis 20-jährige Straftäter wird nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt. 2006 waren es 1747 Straftäter. Das sind 46 Prozent. In Hamburg zum Beispiel waren es 13 Prozent, in Bayern 35 Prozent. Aber: Viele heranwachsende Straftäter haben große Defizite in ihrer Entwicklung. Im Jugendstrafvollzug haben wir deutlich mehr Möglichkeiten, mit den Straftätern zu arbeiten, als im Erwachsenenvollzug. Viele junge Gefangene stellen allerdings Anträge, in den Erwachsenenvollzug überführt zu werden, weil sie da unter anderem in ihrem Haftraum fernsehen dürfen.

Wird diesen Anträgen stattgegeben?

Das wird gelegentlich gemacht, vor allem dann, wenn der Gefangene ohnehin ein Störfaktor in der Jugendstrafanstalt ist. Ansonsten behält man ihn lieber dort.

Das ist doch ein Zeichen dafür, dass man einige jugendliche Straftäter in Sachen Resozialisierung faktisch aufgegeben hat.

Diese jungen Gefangenen verweigern eine Therapie, eine Behandlung völlig. Sie lassen sich nicht integrieren. Dann sorgen sie häufig für Unruhe in der Jugendstrafanstalt. Das kann irgendwann nicht mehr hingenommen werden.

In Neukölln startete ein Modellprojekt, das Verfahren für jugendliche Straftäter beschleunigen soll. Das „vereinfachte Verfahren“ gilt nur für Fälle mit einfacher Beweislage, nicht für Serientäter. Wie sind die ersten Erkenntnisse dieses Projekts?

Anfang des Jahres haben wir mit dem Modell begonnen. Nach Anfangsschwierigkeiten läuft es jetzt sehr gut. Die Polizei übermittelt oft per Boten die Akte eines Straftäters direkt der Staatsanwaltschaft, die sie dem zuständigen Jugendrichter umgehend weitergibt. Innerhalb von zwei bis maximal vier Wochen soll eine Verurteilung erfolgen. Ein „normales“ Jugendverfahren dauert etwa 1,6 Monate bis zur Anklageerhebung und längstens zirka fünf Monate bis zur Urteilsverkündung. Das Projekt ist seit Mai auf Friedrichshain ausgedehnt worden. Wir werden Ende des Jahres erste Auswertungen der Basisdaten haben. Das Projekt könnte noch auf Mitte, Tempelhof-Schöneberg oder auch Spandau ausgedehnt werden. Aber, um es klar zu sagen: Die Justiz allein kann die Jugenddelinquenz nicht eindämmen.Schon im Vorfeld muss man mit den Jugendlichen arbeiten, um Straftaten zu verhindern. Da kommen die Familienhelfer und -richter mit ins Boot. Wir haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Familiengerichten verbessern soll.

Familienrichter können seit einer Gesetzesänderung schneller eingreifen und das Sorgerecht entziehen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Das Gesetz fordert, binnen eines Monats einen ersten Verhandlungstermin anzusetzen. Dafür braucht es mehr Familienrichter als die bisher 70 in Berlin. Sie kündigten an, dass Stellen geschaffen werden. Wie viele werden es sein?

Ich gehe davon aus, dass es mehr Stellen für Familienrichter geben wird. Klar ist jetzt schon: Es wird einen dritten Standort für ein Familiengericht geben. Außer den Gerichtsbezirken Pankow/Weißensee und Tempelhof/Kreuzberg wird es ein neues Familiengericht voraussichtlich in Lichterfelde geben als Teil des Amtsgerichts Schöneberg.

Innensenator Körting weist immer wieder auf das Problem mit den sogenannten Importbräuten hin. Wie kann man verhindern, dass junge Frauen verheiratet werden und hier in Abhängigkeit von ihren Ehemännern leben?

Es gibt eine Bundesratsinitiative zum Verbot der Zwangsehen mit einem eigenen Straftatbestand, die vom Bundesrat verabschiedet wurde und seit gut zwei Jahren im Bundestag liegt. Darüber sind alle Länder-Justizminister nicht sehr glücklich. Wir haben uns deshalb an die Bundesjustizministerin gewendet. Es muss zum Beispiel auch gesichert werden, dass diese Frauen nach einer Trennung hierzulande nicht mittellos dastehen, sondern einen Unterhaltsanspruch haben. Wir können nur immer wieder an den Bund appellieren, sich vorrangig und zügig damit zu beschäftigen.

Das Gespräch führten Sabine Beikler und Ulrich Zawatka-Gerlach

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false