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Harte Fälle. Die Hartz-IV-Regelsätze sind verfassungswidrig – das hat das Sozialgericht am Mittwoch entschieden. Auch viele Parlamentarier sehen Änderungsbedarf.

© Thilo Rückeis

Mehr Geld für Miete und Heizung: Einigkeit im Parlament: Hartz-IV-Sätze sind zu niedrig

Hartz IV-Empfänger sollen zur Bewältigung der steigenden Lebenskosten mehr Unterstützung bekommen - darin sind sich alle Parteien im Berliner Parlament einig. Streit gibt es darum, wie weit die Maßnahmen gehen sollen.

Die neuen Berliner Richtwerte für die Wohnkosten von Hartz-IV-Haushalten sind aus Sicht der Opposition zu niedrig und berücksichtigen zu wenig die steigenden Lebenskosten vor allem in der Innenstadt. Das sagten Politiker von Linken, Grünen und Piraten am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Anlass ist die Anfang April vom Senat vereinbarte Erhöhung der Richtwerte für die Kosten der Unterkunft, die in Berlin ab 1. Mai rund 320 000 Haushalten zusteht. Wie berichtet, können einem Singlehaushalt mit der ab Anfang Mai geltenden Neuregelung im Durchschnitt 394 Euro monatlich für Miete und Heizung erstattet werden – 16 Euro mehr als bisher. Der durchschnittliche Richtwert für einen Haushalt mit Eltern und zwei Kindern erhöht sich von 619 Euro auf 665 Euro.

SPD und CDU verteidigten die neue Regelung. Sie werde „die soziale Mischung weiter erhalten“, sagt die SPD-Politikerin Ülker Radziwill. Da jetzt erstmals festgelegt worden sei, dass die Wohnkosten laufend an Miet- und Heizkostenspiegel angepasst werden, helfe die Neuregelung, die Zahl der Zwangsumzüge gering zu halten. In 1300 Fällen mussten Berliner Hilfsempfänger im vergangenen Jahr aus ihren Wohnungen ausziehen. Gemessen an der Zahl der Haushalte sei das „ein kleiner Prozentsatz, und das ist auch gut so“. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) sagte, dass mit der Neuregelung die Zahl der Wohnungen steige, die Hartz-IV-Empfängern offen stehen.

Die Opposition sieht das anders. Die Regelung sei „realitätsfremd“, sagte die Linken-Politikerin Elke Breitenbach. Die Richtwerte lägen nach wie vor unter den realen Mietkosten. Der Piraten-Politiker Alexander Spies rechnete vor, dass die Mieten in den vergangenen fünf Jahren um 20 Prozent gestiegen seien. Das gleiche eine Erhöhung der Richtwerte um bis zu zehn Prozent nicht aus. Der Grünen-Politiker Martin Beck kritisierte die Reform als „pseudosoziales Deckblatt“.

Gibt es ein Recht auf den Besuch eines Sportstudios?

Einig waren sich die Redner im Parlament allerdings in ihrer Kritik an den allgemeinen Hartz-IV-Regelsätzen. Die waren am Mittwoch wie berichtet vom Berliner Sozialgericht als zu niedrig beurteilt worden und müssen nun vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden. „Wir begrüßen das“, sagt SPD-Politikerin Radziwill. Die Berechnung der Sätze „spiegelt nicht die Lebensrealität der Betroffenen wider“. Für Linken-Politikerin Breitenbach zeigt das Urteil, „dass es sich lohnt, sich gerichtlich zur Wehr zu setzen“ – was sie Betroffenen auch im Falle unbezahlbarer Mietkosten empfiehlt.

Die Kammer war zu der Auffassung gekommen, dass die Hartz-IV-Regelsätze verfassungswidrig sind. Die Leistungen verstoßen nach Ansicht der Richter „gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“. Das Bundesverfassungsgericht soll jetzt die Verfassungsmäßigkeit überprüfen. Eine dreiköpfige Neuköllner Familie hatte auf höhere Hartz-IV-Sätze geklagt. Der Vorsitzende Richter Gunter Rudnik hob besonders darauf ab, dass eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben mit dem Geld nicht möglich ist, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen.

Bei dem Fall wurden auch Probleme bei der Umsetzung eines Kernstücks der Hartz-IV-Novelle vom vergangenen Jahr deutlich. Das Bildungs- und Teilhabepaket, mit dem Kinder und Jugendliche aus finanzschwachen Familien gefördert werden sollen, greift in manchen Fällen gar nicht oder zu spät. Beispielsweise kann über diese Leistungen direkt die Mitgliedschaft in einem Sportverein mit bis zu zehn Euro subventioniert werden. Der 17-jährige Sohn der Familie besucht aber ein Sportstudio, weil es besser zu erreichen ist und der Sport im Verein wegen der vielen Termine auch in Hinblick auf die schulischen Leistungen nicht zu schaffen war. Für ein Sportstudio gilt die Förderung aber nicht. Ähnliches könnte passieren, wenn im Rahmen der kulturellen Teilhabe Kinobesuche beantragt würden. Der Besuch einer Jugendmusikschule wiederum ist förderwürdig.

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