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Porträt: Grüner Radler mit negativer Ökobilanz

Verkehrspolitiker Michael Cramer will wieder nach Europa. 15 Jahre Abgeordnetenhaus lagen hinter dem Sport- und Musiklehrer, als er 2004 auf Platz zehn der Europaliste nominiert wurde.

Von Sabine Beikler

Seine private Ökobilanz fällt eher mies aus. Seitdem Michael Cramer vor fünf Jahren ins Europäische Parlament einzog, sei er „so viel geflogen wie noch nie“, erzählt der 59-jährige Grünen-Politiker. Das tut dem überzeugten Radfahrer, der sich vor fast 30 Jahren für ein Leben ohne Auto entschied, ganz besonders weh. Und deshalb zahlt er reumütig jedes Jahr 800 Euro an die gemeinnützige Organisation „Atmosfair“ als Klimaschutzabgabe. Vermutlich wird sich Cramers Ökobilanz auch in den nächsten fünf Jahren nicht wesentlich verbessern: Der verkehrspolitische Sprecher der 43 Mitglieder starken grünen Europa-Fraktion möchte wieder ins EU-Parlament und kandidiert auf Platz vier oder sechs für den Berliner Landesverband auf dem Grünen-Bundesparteitag in Dortmund am Wochenende.

15 Jahre Abgeordnetenhaus lagen hinter dem Sport- und Musiklehrer, als er 2004 auf Platz zehn der Europaliste nominiert wurde. Mit dem Slogan „Unser Zug fährt“ machte er Wahlkampf. Bundesweit erzielten die Grünen 11,9 Prozent und holten in Berlin sogar ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Europawahl mit 22,8 Prozent. Versprochen hatte Cramer damals, sich für den Ausbau der Schienenwege nach Osteuropa einzusetzen und „nervte“, wie Parteifreunde augenzwinkernd erzählen, mit der Geschichte, dass eine Zugfahrt bis Tallinn 60 Stunden im Schneckentempo mit neunmal Umsteigen dauert. Seitdem haben die Verkehrspolitiker in Brüssel 30 transeuropäische Projekte auf den Weg gebracht, davon sechs mit Priorität. Eines ist der Ausbau der Schienenverbindung Berlin – Warschau – Tallinn. Jetzt dauert die Fahrtzeit „nur“ noch 35 Stunden.

Cramer ist ein überzeugter Europapolitiker: „Angesichts des Klimawandels und der Finanzpolitik sind die Nationalstaaten ohnmächtig. Deshalb brauchen wir ein Europa mit einer europäischen Energiepolitik und einer europäischen Bankenaufsicht“, sagt er. Obwohl das Europäische Parlament schon vor 30 Jahren das erste Mal direkt gewählt wurde, existiere in den Köpfen vieler Bürger das Bild von einer nicht transparenten Europapolitik. Cramer will das auch nicht verleugnen, sondern appelliert an „mehr Ehrlichkeit“ der Staats- und Regierungschefs. Er kenne „kein Gesetz, bei dem Deutschland nicht zugestimmt hätte“. Die EU immer zum Buhmann abzustempeln, sei unfair. „Europa ist kein Schuttabladeplatz.“

Cramer wohnt in Brüssel, wo die Ausschüsse und Fraktionen tagen, und pendelt zu den Parlamentssitzungen nach Straßburg. Seine sozialen Kontakte hat Cramer in Berlin, und deshalb freut er sich über jedes Wochenende zu Hause – und vor allem auf einen Besuch in der Philharmonie.

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