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Pro Reli: Volksentscheide: Reine Übungssache

Zwei Volksentscheide sind gescheitert – liegen die Hürden zu hoch? Die direkte Demokratie funktioniert besonders gut, wenn in Städten über ganz konkrete Fragen entschieden wird.

Woanders funktionieren Volksentscheide besser: Den Eindruck hatten viele am Tag nach der Pro-Reli-Abstimmung. Damit ist die zweite große, mit Wahlkampf-Aufwand geführte Abstimmung über eine politische Frage binnen eines Jahres gescheitert. Kaum einer kann sich Themen vorstellen, die unter den rechtlichen Voraussetzungen zu erfolgreichen Entscheiden führen.

Eins fällt auf: Je kleiner die Zahl der Abstimmungsberechtigten, desto eher hat eine direkt-demokratische Abstimmung Erfolg. Die Kreuzberger und Friedrichshainer haben das Großprojekt Mediaspree verändern können. In Charlottenburg-Wilmersdorf wehrten sich die Bürger mit einem kommunalen Bürgerbegehren gegen Pläne des Bezirksamts, die Parkraumbewirtschaftung auszuweiten.

Das passt zu den Erkenntnissen, die die Leute von „Mehr Demokratie“ gesammelt haben: Die direkte Demokratie funktioniert besonders gut, wenn in Städten über ganz konkrete Fragen entschieden wird – wie etwa in Dresden über die Waldschlösschenbrücke. In Leipzig erreichten die Bürger im Januar 2008, dass die kommunalen Unternehmen und Betriebe im Besitz der Stadt blieben. In Freiburg stritten die Bürger 2006 erfolgreich gegen Pläne der Stadtverwaltung, die kommunalen Wohnungen zu verkaufen.

In Berlin hingegen, argwöhnt nun Landesabstimmungsleiter Andreas Schmidt von Puskás, sei das Thema Religionsunterricht „schwer vermittelbar“ gewesen. Das würde bedeuten: Die Leute gehen nur dann zur Abstimmung, wenn sie schlicht Ja oder Nein auf eine einfache Frage antworten sollen – etwa die zur Offenhaltung des Flughafens Tempelhof.

Da sind Zweifel angebracht: Auch der Streitfall Tempelhof mobilisierte nicht genug Bürger, um den Volksentscheid zu einem Erfolg zu machen. Und kaum ein politisches Thema ist in den vergangen Wochen derart intensiv, ausgiebig und gründlich diskutiert worden wie der Streit über den Ethik-Unterricht. Trotzdem antworteten in Fernsehberichten zu Pro-Reli manche Leute auf die Frage, ob sie denn am Sonntag abgestimmt hätten, sie wüssten gar nicht, was das sei – ein Volksentscheid. Klaus Ledere, Landeschef der Linkspartei, sieht daher in den beiden gescheiterten Volksentscheiden „keinen Beweis für nichts“: Es seien eben keine Fragen entschieden worden, die die Massen bewegten. Vielmehr seien zugespitzte Initiativen von zwei Oppositionsparteien aufgenommen worden.

Dem widerspricht Michael Efler, Vorstandsmitglied von „Mehr Demokratie“. Er sieht eine andere Ursache für die Schwergängigkeit der Volksentscheide in Berlin – die Quoren. In Berlin liegt das Quorum – die Zahl derer, die sich für eine Gesetzesänderung durch Volksentscheid aussprechen – bei 25 Prozent. Das ist zwar nicht überdurchschnittlich hoch, doch gebe es etwa in Hessen oder in Bayern gar keine Quoren, so Efler. Es entscheidet ganz einfach die Mehrheit.

Damit hat der Streiter für mehr direkte Demokratie kein Problem: „Wer sich nicht beteiligt an einer Volksabstimmung, soll das Ergebnis auch nicht beeinflussen können“, sagt er. Das wäre das Prinzip „einfach Mehrheit“. Beim Volksentscheid über den Flughafen Tempelhof hätten sich unter diesen Bedingungen die Tempelhof-Freunde durchgesetzt. Beim Entscheid über den Religionsunterricht wäre das Ergebnis das gleiche gewesen.

Doch zeichnet sich nach dem Pro-Reli-Streit keine neue Mehrheit in der Berliner Politik für mehr Volksentscheide ab. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sieht keinen Grund für eine Absenkung der Quoren. Linkspartei-Landeschef Klaus Lederer hält auch nichts davon. Bei den Grünen und der FDP zieht man aus den beiden gescheiterten Entscheiden keine vorschnellen Schlüsse.

Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann sagt, man könne die Höhe der Quoren infrage stellen, doch solle man in der Debatte „nicht in Hektik verfallen“: Schließlich stünden die Quoren in der Verfassung. FDP-Landeschef Markus Löning setzt den Akzent etwas anders. Die hohen Quoren könnten den Volksentscheid entwerten und zu mehr Frustration der Bürger statt zu mehr Teilhabe führen.

Zumindest Michael Efler von „Mehr Demokratie“ kann sich gut vorstellen, dass in absehbarer Zeit mal ein Volksentscheid in Berlin Erfolg hat. Dabei denkt er weniger an den Streit über das Rauchverbot als an soziale Themen wie etwa die Kinderbetreuung. Noch hat das Verfassungsgericht nicht entschieden, ob ein Volksbegehren für mehr Personal in den Kitas zulässig ist und ein entsprechender Entscheid auf den Weg gebracht werden kann. Das Thema, so meint Efler, bewege viele Leute, und es werde nicht nach Ost- oder Westkriterien beurteilt.

Vielleicht – so sehen es viele Befürworter des Volksentscheids – fehlt in Berlin nur Übung im Entscheiden von großen Themen. Werner van Bebber

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