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Kinder, wie die Zeit vergeht. 1996 wurde mit diesen Plakaten für die Fusion geworben. Doch die anschließende Volksabstimmung ging schief.

© dpa

Pro & Contra: Berlin und Brandenburg: Wilde Länderehe

In vielen Bereichen arbeiten Berlin und Brandenburg bereits zusammen. Potsdamer Sozialdemokraten bringen nun die offizielle Fusion wieder in die Debatte. Soll ein neuer Anlauf unternommen werden?

Berlin/Potsdam - Ach ja, die Fusion. Es war still um sie geworden. „Endlich! Es wird auch höchste Zeit, dass das Thema wieder angefasst wird“, sagt Werner Martin, Chef des Lobby-Vereins „Perspektive Berlin-Brandenburg“, der sich einem starken, vereinigten Land in Deutschlands Mitte verschrieben hat. Ein „offener Diskurs“ sei „überfällig“, wie sich die Hauptstadtregion für die Zeit nach 2019 aufstellt, wenn Solidarpakt und EU-Förderungen auslaufen.

Tatsächlich ist in Brandenburg unvermittelt eine Fusionsdebatte entflammt. Während Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) in Israel weilte, machte der Potsdamer SPD-Unterbezirk – der größte im Land – einen Vorstoß, die vom Spitzengenossen beerdigte Länderehe auf die Agenda zu setzen. Ohne Termin, aber als klares Ziel. Alle Wirtschaftskammern applaudierten sofort. Und Ex-SPD-Chef Steffen Reiche regte prompt eine Volksabstimmung schon für 2013 an, parallel zur Bundestagswahl. Tut sich da was? Ganz offensichtlich – aber nicht kurzfristig. Platzecks SPD und die mitregierenden Linken haben bereits abgewinkt: Bis 2014 passiere nichts. Keine Chance, zu groß sei die Ablehnung im Lande. Fast 15 Jahre ist es her, dass daran der erste Versuch scheiterte. Bei der Volksabstimmung an jenem 5. Mai 1996 hatten zwar die Berliner mehrheitlich für ein Land gestimmt, aber fast zwei Drittel der Brandenburger dagegen, aus Angst vor der Dominanz der Berliner, vor den Schulden, warum auch immer.

Beide Länder praktizieren seitdem eine Art Ehe ohne Trauschein, sogar ganz erfolgreich. Die Kooperation wird immer enger. Gerade haben sich die AOKs vereinigt. Die Landesplanung, der ADAC, Fernsehsender, Obergerichte, der Verkehrsverbund, das Landeslabor, die Statistikbehörden sind eins. Den BBI baut man zusammen. Freilich, da gibt es auch die Entfremdungen, ständige Krisen: Senat und Kabinett tagen, anders als früher, immer seltener gemeinsam. Selbst innerhalb der Parteien gibt es kaum länderübergreifende Kontakte. Gerade hat Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) Potsdams Angebot brüsk abgelehnt, Berliner Häftlinge in halbleeren Haftanstalten der Mark unterzubringen, was den Neubau der Haftanstalt in Großbeeren überflüssig machen würde. Berlin wiederum ist irritiert, wie ungeniert das Nachbarland Lehrer abzuwerben versucht.

So macht sich auch Perspektive-Chef Martin keine Illusionen, dass es wohl dauern wird, ehe ein Land wirklich in greifbare Nähe rückt. „Wichtig ist, dass die Debatte in Gang bleibt.“

Der Verein setzt dabei auch auf die Kraft des Faktischen: In Berlin werden sich die finanziellen, in Brandenburg zusätzlich die demografischen Probleme verschärfen. Es wird immer schwerer, in ausblutenden Randregionen Infrastruktur zu sichern. Noch setzt Potsdams Regierung allein darauf, das Land bis 2019 als Single krisenfest zu machen. Ob das reichen wird? Fest steht, dass Leitfiguren wie damals Manfred Stolpe und Eberhard Diepgen nicht in Sicht sind, die Berlin-Brandenburg ernsthaft zum eigenen Projekt machen würden. Platzecks Ambitionen gehen nicht mehr über sein „Ländchen“ hinaus, Klaus Wowereit will eher das Kanzleramt als die Prignitz erobern.

Was bleiben wird, sind Mentalitäten. Schon Theodor Fontane schrieb, dass die Märker „tüchtige, aber eingeengte Leute“ seien, „ohne rechte Begeisterungsfähigkeit“. Dass der „Grundzug“ der Berliner ein „krasser Egoismus“ ist, „ein naives, vollkommen aufrichtiges Durchdrungensein von der Überlegenheit und besonderen Berechtigung der eigenen Person und des Ortes“. Vielleicht sind das ja, Fusion hin oder her, die eigentlichen Berlin-Brandenburger Untiefen.

Pro

Mit dem Scheitern der Länderfusion 1996 wurde die große Chance verpasst, Berlin und Brandenburg wenige Jahre nach dem Mauerfall zu einer europäischen Metropolenregion auszubauen. Ein gemeinsames Land stünde heute im Wettbewerb mit Hamburg und München, Frankfurt/Main oder Dresden und Leipzig besser da, ganz zu schweigen von der europäischen Konkurrenz. Zwar ist es in den letzten Jahren gelungen, die Kräfte in mühsamer Kleinarbeit zu bündeln, aber der politische und Verwaltungsaufwand ist groß, um den Stadtstaat Berlin und das Land Brandenburg einigermaßen auf einen Nenner zu bringen. Inzwischen gibt es eine gemeinsame Landesentwicklungsplanung, ein Leitbild für die Hauptstadtregion. Es gibt den Rundfunk Berlin-Brandenburg, den gemeinsamen Verkehrsverbund und bald den Großflughafen BBI.

Der Senat und die Regierung in Potsdam bemühen sich, auch das Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem auf einen Nenner zu bringen, die Universitäten und Hochschulen kooperieren, die Wirtschaftsförderung wird, soweit möglich, ohne kleinliche Konkurrenz gemeinsam organisiert. Auf Messen tritt die Region einheitlich auf. Gewerkschaften und Verbände arbeiten in der Regel länderübergreifend. Und für die Berliner, die am Wochenende ins Grüne fahren, ist Brandenburg längst zweite Heimat. Die Zeit ist reif, aus diesem Puzzle ein Land zu machen, das die Stärken aller seiner Teile besser nutzt. Ulrich Zawatka-Gerlach

Contra

Nur Idealisten und Theoretiker hoffen heutzutage noch auf eine Länderfusion von Berlin und Brandenburg. Nach zwanzig Jahren in trauter Zweisamkeit mit Gütertrennung kennt man sich gegenseitig gut genug, um nicht zu viel voneinander zu erwarten. Um es mit aller gebotenen Zurückhaltung zu sagen: Die sich so cool gebende Stadt Berlin ist fusions- und verwaltungspolitisch nicht unbedingt attraktiver geworden für das karge, schöne Brandenburg. Fusions- und verwaltungspolitisch ist Berlin nämlich, mit Verlaub, eine alte, aufgetakelte Schabracke.

Was haben die Fusionsbefürworter alter Zeiten geworben: mit schlanker Bürokratie und effizienter Verwaltung im gemeinsamen Land. Sie hätten es doch vormachen können! Schlank bis zur Magersucht sind in Berlin bloß die Bezirke geworden – die man sich andererseits nicht wegdenken kann, ohne parteiübgreifend geächtet zu werden. Die Landesbürokratie hingegen wirkt so wohlgenährt, wie man eben wirkt, wenn man nach sparsamen Jahren vor gigantischen Schulden kapituliert hat. Die Wege sind zwischen Berlin und Potsdam so kurz, dass es bloß zum gemeinsamen Werben um Ansiedlungen reicht, nicht aber für echte Zusammenarbeit.

Das wird wohl auch so bleiben, denn die Berliner halten ihre Probleme von den Schulen bis zu den Finanzen für die jrößten (!) und den Rest der Welt für Problemlösungshelfer. Das allerdings ist ein Irrtum.Werner van Bebber

Was meinen Sie? Soll ein neuer Anlauf zur Länderfusion Berlins und Brandenburgs unternommen werden? Diskutieren Sie mit, indem Sie die Kommentarfunktion unter diesem Artikel nutzen.

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