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Pro & Contra: Werben mit Steuergeldern

Es gibt Streit um Elternbriefe des Berliner Senats zur Kita-Betreuung. Darf eine Regierung mit den Geldern der Steuerzahler die eigene Arbeit lobend darstellen? Das Verfassungsgericht setzt Grenzen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Berlin - Ein Brief des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit an 55 000 Eltern, in dem er mit Bildungssenator Jürgen Zöllner (beide SPD) für das kostenlose dritte Kita-Jahr wirbt, wirft Fragen auf. Darf eine Regierung, den Wahltermin vor Augen, die eigene Arbeit lobend darstellen? Und das mit den Geldern der Steuerzahler, die ja nicht alle die Koalitionsparteien wählen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1977 ein Urteil gefällt, das die Rechtsprechung zu diesem Thema bis heute wie ein roter Faden durchzieht.

Der Kernsatz: „Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung findet dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt.“ Gerade für die Vorwahlzeit gelte das Gebot äußerster Zurückhaltung und das Verbot „jeglicher mit Haushaltsmitteln betriebener Öffentlichkeitsarbeit in Form von sogenannten Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsberichten“. Im Wahlkampf 1976 hatte die SPD-geführte Bundesregierung 50 Millionen Euro für Anzeigenserien, Broschüren usw. ausgegeben und damit nicht nur amtliche Öffentlichkeitsarbeit betrieben, sondern die Publikationen den Regierungsparteien SPD und FDP als Wahlkampfmaterial überlassen. Die Karlsruher Richter unterbanden, jedenfalls für die Zukunft, das Treiben.

Das Gericht entschied trotzdem, dass regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit „in Grenzen“ nicht nur zulässig, sondern aus demokratiepolitischen Gründen sogar notwendig sei, um die Politik der Regierung den Bürgern darzulegen und zu erklären. Dabei liege es auch nahe, dass sich die Aussagen der Regierung mit den Programmen der Parteien deckten, die die Regierungsmehrheit bilden. Das sei legitim, solange nicht der informative Gehalt „eindeutig hinter die reklamehafte Aufmachung zurücktritt“.

Aber: Je näher eine Veröffentlichung an die heiße Phase des Wahlkampfs heranrücke, desto weniger könne eine Auswirkung auf das Wahlergebnis ausgeschlossen werden. Also eine staatliche Beeinflussung der Wähler, die die Chancengleichheit der Oppositionsparteien verletzt. Das Bundesverfassungsgericht räumte dabei ein, dass ein Stichtag für den Zeitraum, in dem das „Gebot äußerster Zurückhaltung“ gilt, nicht eindeutig bestimmbar sei. Als Orientierung könne der Termin gelten, an dem der Wahltag festgelegt werde. Demnach müssten in Berlin seit dem 19. Oktober 2010 besonders strenge Maßstäbe an die Öffentlichkeitsarbeit des Senats gelegt werden.

Das Verfassungsgericht des Saarlands fand diesen Zeitraum in einem Urteil vom Juli 2010 zu lang: Die Vorwahlzeit beginne erst drei Monate vor dem Wahltermin. Auch in Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen befassten sich oberste Gerichte mit den Selbstdarstellungen der Landesregierungen. Das Karlsruher Urteil von 1977 blieb Richtschnur, wurde aber mit Blick auf die gewachsene Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit in einer Informationsgesellschaft behutsam modernisiert. So hält der hessische Verwaltungsgerichtshof die Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Werbemaßnahmen für „durchaus fließend“. Die Verfassungsrichter in Sachsen-Anhalt sehen keine Probleme, wenn es sich um „einen Vorgang von geringer Intensität handelt, dessen Wiederholung nicht zu erwarten ist“.

Das Berliner Verfassungsgericht hat sich mit unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit des Senats bisher nicht befassen müssen. Allerdings hat das Gericht in zwei Fällen (Fusion Berlin-Brandenburg und Schließung des Flughafens Tempelhof) festgestellt, dass bei Volksentscheiden andere Maßstäbe gelten als bei Wahlen. Im öffentlichen Meinungskampf vor einer Volksabstimmung sei die Regierung zur Sachlichkeit, aber nicht zur Neutralität verpflichtet.

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