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SPD

© Zawatka-Gerlach

SPD: Fackeln in der Nacht

Die SPD-Fraktion schärft auf ihrer Klausur ihre Themen: von Ethik bis Ökologie. Auch die jüngste Häufung von Volksentscheiden beschäftigte die Abgeordneten.

Mit hellen Fackeln zogen sie durch die Nacht, rund um das Schloss am Feesensee, das jetzt ein Hotel ist; nicht weit von der Müritz, nur plattes Land, ein paar Ferienhäuser und ein Golfplatz. Auf dem hatte sich Finanzsenator Thilo Sarrazin am Freitagmorgen abgemüht. Eher schlecht als recht, wie er eingestand, aber nun schaute er mit der Fackel in der Hand aufs Lagerfeuer, einen Becher Glühwein in der anderen, gewärmt von einer Pudelmütze und freute sich. So etwas habe er seit seiner Pfadfinderzeit nicht mehr gemacht, das sei doch schön.

Immer im Januar zieht es die SPD-Abgeordnetenhausfraktion zur Jahres-Klausur, um die weitere Politik für Berlin zu planen. Im letzten Jahr in Hamburg gab es mehr Ablenkungsmöglichkeiten, hier in Mecklenburg waren die Parlamentarier interniert, ausbüchsen ging nicht.

Das passte auch besser zur Stimmung. Die fast ausgelassene Freude am rot-roten Regieren, die den Jahresbeginn 2008 bestimmte, ist einer konzentrierten, etwas angestrengten Arbeitswut gewichen. Die Spezialisten haben das Sagen. Auf dieser Klausur die Stadtentwickler und Mietenpolitiker, die Klimaschützer und Großstadtstrategen. Der kabarettistisch begabte Parteienforscher Franz Walter war eingeladen, seit 37 Jahren Sozialdemokrat. Die berühmte Frage, die er stellte: „Wer sind wir, und wo wollen wir hin?“ Eine befriedigende Antwort fand keiner, auch nicht bei der abendlichen Nachbereitung am Tresen des Hotels.

Der Wiener Stadtrat Michael Ludwig sprach über die dortige Wohnungspolitik, die erfolgreich in staatlicher Hand ist. „Ein sozialdemokratisches Paradies“, wie SPD-Mann Fritz Felgentreu schwärmte. Am Sonnabend referierte Volko Löwenstein, Vorstandschef der Firma Inventux, über die ökologische Zukunft Berlins und der Welt. Er forderte mutige Lösungen für die Probleme des Klimaschutzes. Später freuten sich die Fachleute der SPD mächtig, dass ihre Konzepte für niedrige Mieten und den ökologischen Strukturwandel in Berlin nach stundenlanger Debatte beschlossen wurden. „Wir sind einen guten Schritt weiter“, meinte der Umwelt-Guru der Fraktion, Daniel Buchholz, der es nicht immer leicht hat. Die SPD muss Ökologie noch üben.

„Ach, das wird ein schweres Jahr“, seufzte abends ein Abgeordneter. Die vielen Wahlen, das viele Geld aus dem Konjunkturpaket, das jetzt schleunigst ausgegeben werden muss. Vor einem Jahr hatte man noch ein paar Milliönchen für ein bescheidenes Programm zur Sanierung der Schwimmbäder zusammengekratzt. Jetzt schwimmt Berlin in geliehenem Geld, aber es wurde deutlich, dass die SPD ihren Sarrazin auch in der merkwürdig komfortablen Finanzsituation ungern hergeben würden. Die Gerüchte um sein Weggehen zur Bundesbank, die seit längerem herumschwirren, ließ Sarrazin gleichmütig vorbeifliegen. Unkommentiert, und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit lachte: „Der einzige, der was weiß, bin ich, und wenn es was zu berichten geben sollte, mache ich eine Pressekonferenz.“ Eine große Kabinettsumbildung? Darüber machte er nur Witze.

Über den Volksentscheid zum Ethik- und Religionsunterricht machte Wowereit keine Scherze, aber er bekam auch keine Magenkrämpfe. Er will das unbequeme Thema schnell vom Tisch haben, und wer gewinnt, der habe halt gewonnen. Man solle den Streit doch, bitteschön, nicht so ideologisch hoch hängen. Damit meinte der Regierende zuerst die Kirchen, aber wohl auch die eigenen Leute. Standen mehr als drei Parlamentarier zusammen, wurde unweigerlich über den Volksentscheid diskutiert. Böse Stimmung kam dabei nicht auf, auch die Abgeordneten vom rechten Flügel wollen den Ethikunterricht, den es seit 2006 gibt, nicht beschädigen, aber sie hätten doch gern einen Kompromiss. Auch um das Verhältnis zu den Kirchen zu befrieden.

SPD-Fraktionschef Michael Müller war trotzdem genervt. Erst Tempelhof, dann Pro Reli, nun das Volksbegehren zum Rauchverbot, dann zu den Kitas. Wowereits Planungschef Böhning machte den ernst gemeinten Vorschlag, zwei feste Abstimmungstage pro Jahr für Volksentscheide einzurichten. „Tage der direkten Demokratie“. Dann gebe es keinen Streit um den Termin, so wie jetzt bei Pro Reli.

Aber dann, am Sonntag früh um zwei Uhr kurz vor dem letzten Cocktail oder Bier, zeigte sich wieder, dass Berlins Genossen nur auf ihren ruhenden Pol schauen müssen, um wieder locker zu werden. Da saß Wowereit im Sessel, offenes Hemd mit Blümchenstickerei, und plauderte fröhlich mit Sport-Staatssekretär Thomas Härtel über Gott, die Welt und das Dschungelcamp. Dann kamen drei junge Frauen vorbei. Ach, der Herr Wowereit! Ein Foto? Aber klar. Dann nahm er sie in den Arm, Wange an Wange. „Es ist doch wunderbar“, sinnierte eine Abgeordnete, „dass wir einen Popstar an der Spitze haben.“ Ulrich Zawatka-Gerlach

Ulrich Zawatka-GerlachD

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