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Thilo Sarrazin

© Rückeis

Streit um Mindestlohn: "Das war eine dämliche Äußerung"

Jederzeit arbeiten für fünf Euro Stundenlohn: Für seine Äußerung in einem Interview musste Thilo Sarrazin scharfe Kritik auch aus den eigenen Reihen einstecken. Im Interview mit dem Tagesspiegel entschuldigt sich der Finanzsenator für das Gesagte.

Herr Sarrazin, Sie haben gesagt: Für fünf Euro pro Stunde würde ich jederzeit arbeiten gehen. Viele Menschen empfinden das als Provokation, auch viele Sozialdemokraten, die sich für einen Mindestlohn von 7, 50 Euro einsetzen.

Das war eine dämliche Äußerung, die im Rahmen eines Fragebogens fiel, den ich für das Magazin „Cicero“ Anfang Mai ausgefüllt habe. Sie wurde jetzt erst veröffentlicht, und meine persönlich gemeinte Antwort wurde auf einmal zur Stellungnahme in der bundesweiten Mindestlohn-Debatte. Das bedaure ich sehr, das war ein schwerer Fehler.

Wie war Ihre Bemerkung denn gemeint?

Ich wurde gefragt: Was bekamen Sie als erstes Taschengeld, was haben Sie als erstes Geld verdient und dann: Was ist Ihr persönlicher Mindestlohn? Und da habe ich kurz im Kopf überschlagen. Ich bekam vor 40 Jahren als Einsatzstudent an der Universität Bonn pro Stunde drei D-Mark. Das wären heute etwa fünf Euro. Damit habe ich damals mein Einkommen aufgebessert.

Jetzt gibt es zum ersten Mal Rücktrittsforderungen aus der SPD. Sind Sie vielleicht doch in der falschen Partei?

Ich bin seit 34 Jahren in der SPD, weil ich immer für Vollbeschäftigung, für soziale Gerechtigkeit und für ordentliche Lebensverhältnisse für Alle war – und bin. Nur auf dieser Basis funktioniert dauerhaft eine Gesellschaft. Gleichwohl kann man sich, trotz des gemeinsamen Ziels, über die Details des Weges dorthin auseinandersetzen. Sonst gäbe es überhaupt keine politische Diskussion.

Aber als Sozialpolitiker verstehen Sie sich nicht unbedingt?

Ich bin Volkswirtschaftler, und als solcher schwimme ich eher im ökonomischen Mainstream. Ich bin auch kein ausgeprägter Keynesianer. Und natürlich werden alle meine Vorschläge durch meine ökonomischen Grundüberzeugungen gefiltert. Im Ergebnis stimme ich mit vielen Beschlüssen der SPD voll überein, zu manchen gibt es auch mal unterschiedliche Akzente. Aber es geht nie um prinzipielle Konflikte.

Trotzdem wandern Sie gern auf dem Grat, mischen sich nicht nur in Finanzen und Ökonomie, sondern auch in Bildungspolitik und soziale Fragen ein. Damit legen Sie sich mit der SPD-Linken, inzwischen aber auch mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit an. Wie lange kann das noch gut gehen?

Ja, ich habe einen Grundfehler, den muss ich in den Griff bekommen: Das ist die Neigung zu spontanen Äußerungen. Diese Neigung ist für die Medien sehr unterhaltsam, für mich aber auch schwierig, weil diese Spontanität bisweilen zu ungeplanten und schädlichen Resultaten führt. Und in der Summe habe ich mit meinen Äußerungen im vergangenen halben Jahr der SPD wohl einiges zugemutet. Da muss ich in Zukunft besser auf mich aufpassen. Wenn jemand gern mit Worten spielt und arbeitet, muss er auf die Worte besonders gut achten.

Was steckt hinter Ihrer Spontanität, oder man könnte auch sagen: Originalität und Querköpfigkeit? Ist das vielleicht die heimliche Lust an der Provokation oder die Überzeugung: Ich habe recht!

Das ist ganz unterschiedlich. Als ich zu Beginn meiner Amtszeit, vor sechs Jahren, meine ersten Benchmarks und Overheadfolien vorführte und sie mit allerlei drastischen Äußerungen untermalte, waren das durchaus provokante Aussagen, die aber auf einer sachgerechten Analyse der finanzpolitischen Wirklichkeit beruhten. Davon abgesehen, das muss ich zugeben, habe ich immer wieder Äußerungen gemacht, die außerhalb des unmittelbaren, sachlichen Kontextes völlig anders wahrgenommen wurden. In der Summe war – und ist – das nicht gut, weder für mich noch für die Sache.

Was sagen Sie zu dem Gerücht, der Finanzsenator Sarrazin wolle sich durch seine aufregenden Sprüche auf originelle Weise aus dem Amt katapultieren, weil er einen neuen, besseren Job sucht?

Erstens will ich mich nicht aus dem Amt verabschieden. Haushalts- und finanzpolitisch ist in Berlin noch viel zu tun und die Arbeit bereitet mir, trotz manchmal hoher Anspannungen, große Freude.

Es ist also Quatsch, wenn selbst Parteifreunde behaupten, der Finanzsenator sei amtsmüde und es sei ihm egal, was er den lieben, langen Tag erzählt.

Mir ist überhaupt nicht egal, was ich erzähle. Niemand gilt gern als Dummschwätzer. Ich auch nicht.

Sie wollen also bis 2011 Finanzsenator in Berlin bleiben?

Ich beantworte diese Frage wie immer: Ich bin Finanzsenator und bin es gern. Dass das Leben in diesem Amt dann auch unerwartete Elemente haben kann, beweisen gerade wieder die letzten Tage.

Sie bedauern, Sie entschuldigen sich. Müssen wir in Zukunft auf einen querdenkenden Thilo Sarrazin verzichten, der sich nur noch auf Zahlen konzentriert?

Ich werde auch in Zukunft über alles mögliche intensiv nachdenken. Aber ich werde sicher nicht mehr alle Resultate dieses Nachdenkens einer unvorbereiteten Öffentlichkeit mitteilen. Eine stärkere Selbstdisziplinierung dürfen also alle von mir erwarten.

Will der Koalitionspartner der SPD, die Linke, denn noch weiter mit Ihnen zusammenarbeiten?

Zu den Politikern, die die Linke in Partei, Fraktion und im Senat repräsentieren, hatte ich immer ein gutes und entspanntes Arbeitsverhältnis. Dass sich die Linke über manche meiner Äußerungen besonders erregt, gehört zu ihrer politischen Rolle. Das ist ganz normal.


Das Gespräch führte Ulrich Zawatka-Gerlach.

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