zum Hauptinhalt
Streitgespräch

© Kai-Uwe Heinrich

Streitgespräch: CDU oder Grüne: Wer ist die wahre Opposition in Berlin?

Zwei gegen Rot-Rot: Der Tagesspiegel hat die Fraktionschefs Frank Henkel (CDU) und Volker Ratzmann (Grüne) zum Streitgespräch gebeten.

Herr Ratzmann, warum sind die Grünen moderner als die CDU?

Ratzmann: Weil wir uns auf das Neue in dieser Stadt einlassen. Weil wir pragmatisch sind. Weil wir die Stadt in ihrer Vielfalt in den Blick nehmen.

Das tut die CDU Ihrer Meinung nach nicht?

Nein.

Frank Henkel widerspricht?

Henkel: Um integrationsfähig zu sein, muss sich die CDU mit dem Lebensgefühl in der Stadt auseinandersetzen. Hier in Berlin treten Problemlagen geballter auf als irgendwo anders in der Republik. Außerdem haben wir hier ganz unterschiedliche Milieus, ein liberales Bürgertum, konservative Kleinbürger, Rentner, Studenten, Arbeiter, viele Singles, allein erziehende Mütter und Väter. Dies alles zusammenzubringen, macht eine moderne Großstadtpartei aus. Und da sehe ich die Union auf einem guten Weg.

Ratzmann: Berlin ist ein gesellschaftlicher Hybrid, der davon lebt, dass er sich ständig neu erfinden muss. In den letzten zehn Jahren sind 1,5 Millionen Menschen weg gegangen und ebenso viele sind zugezogen, mit neuen Erfahrungen, neuen Lebensentwürfen, neuen Bedürfnissen. Diese Vielfalt nehmen wir auf in unser Politikverständnis. Das erfordert transparente Parteistrukturen und kein Hinterzimmergeklüngel.

Herr Ratzmann, dass die Grünen für die so genannten kleinen Leute von Berlin interessant sind, ist unwahrscheinlich. Diese Leute fühlen sich bei der CDU besser aufgehoben. Wollen die Grünen da immer Minderheitenpartei bleiben?

Ratzmann: Wer da demnächst Minderheitenpartei sein wird und wer Mehrheit, das bleibt abzuwarten. Uns zeichnet aus, dass wir keine Klientelpolitik betreiben. Unser Wählerpotential ist leistungsorientiert, bildungsorientiert, familienorientiert, zukunftsorientiert. Diese Wählerschicht denkt nicht nur an ihr eigenes Fortkommen, sie denkt an die ganze Stadt. Wir bieten ein klares Profil und Verlässlichkeit. Das zählt.

Herr Henkel, die Berliner CDU galt viele Jahre lang als Musterbeispiel einer städtischen Volkspartei mit 40-Prozent Wahlergebnissen. Jetzt steht sie bei 20 oder 21 Prozent. Sind die Zeiten der großen Mehrheiten vorbei?

Henkel: Nein - das zeigt sich in anderen Bundesländern. Um an solche Ergebnisse heranzukommen, müssen wir uns das Vertrauen, das verloren gegangen ist, wieder erarbeiten. Die These in Ihrer Frage stimmt nicht. Wenn ich mir Steglitz-Zehlendorf oder Reinickendorf oder Spandau angucke - da sind gute Wahlergebnisse für die Union möglich. Aber es ist richtig, dass sich Berlin verändert. Wir haben ein modernes, flexibles und mobiles Bürgertum in der Stadt, Leute, die in Verbänden arbeiten, die eine Agentur oder eine Galerie betreiben. Die sind heute hier und morgen in Hamburg oder London. Wir haben aber auch die Kioskbesitzerin, die in ihrem Kiez tief verwurzelt ist und am ehesten merkt, wenn Dinge nicht stimmen, wenn ihr Kiez kippt. Ich möchte eine Politik für beide Milieus in dieser Stadt machen. Ein Politikentwurf für all diese Milieus ist uns in der Vergangenheit noch nicht hinreichend gelungen. Da müssen wir aber wieder hin. Dann beantwortet sich die Frage nach Prozentzahlen auch von selbst.

Ratzmann: Aber Herr Henkel! Nach der Performance, die Sie hingelegt haben, nimmt es der CDU niemand mehr ab, dass sie die Impulse für eine neue Orientierung in dieser Stadt geben können. Wir wissen nicht, wie Sie programmatisch zur Haushaltskonsolidierung stehen, ob sie Personal abbauen wollen oder nicht. Wie Sie die Wirtschaft voranbringen wollen - jenseits von Industriepolitik? Welches Schulsystem Sie wollen? Die Berliner CDU wird bundesweit als Laubenpieperverein belächelt. Ihre großen Worte sind weder von einem organisatorischen, noch einem programmatischen, noch einem personellen Konzept untermauert.

Henkel: Dem widerspreche ich energisch. Den programmatischen Weg, den wir 2006 eingeschlagen haben, gehen wir weiter. Die Entscheidung, die vor gut zwei Wochen gefallen ist, war eine Personal-, keine Richtungsentscheidung. Wir haben vor zwei Jahren ein modernes Wahlprogramm erarbeitet. Da stehen die Antworten auf Ihre Fragen drin. Wir wollen ein leistungsfähiges Schulsystem, denn Schule in Berlin ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Und der öffentliche Dienst? Rot-Rot hat auch hier kein Konzept. Wir wissen nicht mal, ob es 120.000 oder 110.000 oder 90.000 Mitarbeiter werden sollen: Darüber streitet Herr Sarrazin gerade mit der Linken. Klar ist: Wir wollen einen motivierten und leistungsfähigen öffentlichen Dienst. Und: Wir sind für eine offensive Industriepolitik. Deshalb fordern wir einen Ansiedlungsstaatssekretär, der in der ganzen Welt für Berlin wirbt. Rot-Rot macht hier nichts, deshalb haben wir eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie in wirtschaftlich erfolgreichen, übrigens CDU-regierten Bundesländern.

Herr Henkel, haben Sie eine These, warum bürgerliche Schichten, die von ihrer Steuererklärung her der CDU oder der FDP nahe stehen müssten, lieber die Grünen wählen? 2006 haben in Mitte 17 Prozent die Grünen gewählt und 17 Prozent die CDU.

Henkel: Das sind die Leute, die ich mit dem "mobilen Bürgertum" meinte. Sie neigen kulturell zu den Grünen. Aber mit Überzeugungsarbeit kann man Einstellungen verändern.

Das Volksbegehren für die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof hat gezeigt, wie man in Berlin die Leute in Bewegung bringt. "Pro Reli" könnte ebenfalls Erfolg haben. Ist die CDU heute die Bürgerinitiativ-Partei - und die Grünen überlassen das Politikmachen ihren Abgeordneten?

Ratzmann: Nein. Die CDU hat erkannt, dass ein vorher vehement bekämpftes Instrument durchaus politikfähig ist. Das hat sie sich in der Tempelhof-Kampagne zunutze gemacht, ohne Erfolg zu haben. Auch da hat sich gezeigt, dass die Kampagne weniger zukunftsweisend als auf die Wahrung des Status quo gerichtet war.

Immerhin hat sie den Senat veranlasst, sich überhaupt mal Gedanken zu machen. Das ist dann durchaus zukunftsweisend.

Ratzmann: Das Problem der CDU ist doch, dass die Personen, die die Partei repräsentieren, als altbacken und west-orientiert gelten. Ich will Ihnen gar nicht zu nahe treten, Herr Henkel, aber Sie haben etwa bei der Kriminalitätsbekämpfung immer den strukturkonservativen Teil Ihrer Partei vertreten. Die CDU muss sich doch vorhalten lassen, dass sie in der Nach-Pflüger-Ära jemanden an die Spitze wählt, der wie kein anderer für diese strukturkonservative Politik steht. Das ist ein Signal. Ich habe von Ihnen noch nichts gehört zu der Frage, wie halten Sie es mit dem Kohlekraftwerk? Wie halten Sie es mit Umweltschutz? Was ist mit der Schulreform? Diese Stadt ächzt unter prekären Arbeitsverhältnissen. Wie ist Ihre Haltung zum Mindestlohn? Henkel: Richtig ist, mir ist die Sicherheit der Berliner wichtig, ich habe bestimmte Wertvorstellungen, und ich lasse mich da nicht verbiegen. Zweitens: Ich bin nicht gerade erst in die politische Arena gestiegen, sondern habe - auch als Generalsekretär der CDU - gemeinsam mit Friedbert Pflüger und vielen anderen unsere Positionen formuliert. Drittens zu dem, wozu Sie von mir noch nichts gehört haben wollen. Politik ist für mich Mannschaftssport, keine one-man-show. Wenn wir als die drei Oppositionsparteien einen Entschließungsantrag gegen das Kohlekraftwerk Rummelsburg beschlossen haben, dann habe ich das mitgetragen. Beim Spreedreieck verlangen wir gemeinsam lückenlose Aufklärung durch einen Untersuchungsausschuss.

Wenn Sie, Herr Ratzmann, sagen: Alles auf neu nach den Entwicklungen der letzten Wochen, bedeutet das, dass Sie vom Anspruch der Jamaika-Opposition nichts mehr halten?

Ratzmann: Ich weiß nicht, ob er sich noch realisieren lässt. Er hat von einem Aufbruch gelebt, den alle drei Parteien nach außen deutlich gemacht haben. Wir haben mit dem Schritt in die gemeinsame Opposition Neuland betreten. Es gab Verwerfungen, aber wir haben gestanden. Anders als die CDU haben wir inhaltlich gezeigt, dass sich die Grünen bewegen: hin zu mehr Pragmatismus. Wir haben auf die Haushaltskonsolidierung hingewirkt, wir haben neue Finanzquellen gesucht, wir haben Einschnitte mitgetragen. Wir sagen Ja zu Deutsch als Grundvoraussetzung zur Integration. Wir haben mit der Polizei, nicht gegen sie, den 1. Mai befriedet. Das waren Veränderungen. Aber der Landesverband der Berliner CDU hat, was Pflüger an wenigen Punkten versucht hat, zunichte gemacht. Sie haben das Signal gesendet: Veränderung ist nicht willkommen.

Henkel: Friedbert Pflüger ist nicht an seiner politischen Ausrichtung gescheitert. Den Weg, den wir gemeinsam mit ihm eingeschlagen haben, setzen wir fort. Wir müssen weiter Druck auf Rot-Rot aufbauen. Das gelingt am besten, wenn die drei Oppositionsfraktionen zusammenarbeiten. Die Stadt wird weit unter ihrem Wert regiert. Wir wollen eine Stadt mit einer wirtschaftlichen Zukunft und mit Job-Perspektiven. Es ist nicht normal, dass gut ausgebildete junge Menschen die Stadt verlassen müssen, weil es hier keine Jobs gibt.

Ratzmann: Selbst wenn man annähme, bei Pflüger sei es nur um eine Personalentscheidung gegangen - welche Akzente setzt Frank Henkel? Wofür steht er? Ich sehe nichts.

Henkel: Ich will die Union wieder stark machen. Mir geht es um Zusammenarbeit, nicht um die Fusion mit anderen Parteien. Die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie zu uns in die gesellschaftliche Mitte kommen oder bei Rot-Rot andocken.

Ratzmann: Die Berliner CDU ist nicht die gesellschaftliche Mitte. Die sieht in Berlin anders aus. Das ist das "mobile Bürgertum". In Hamburg haben sich CDU und Grüne auf etwas Neues eingelassen. Das ist wichtig. Dieses Sich-Einlassen hat auch Pflüger versucht.

Dann müssen Sie den Grünen doch ein Angebot machen…

Henkel: Und umgekehrt. Zusammenarbeit funktioniert nicht, wenn es nur einer möchte. Wir waren auf gutem Weg. Aus meiner Sicht können wir ihn weitergehen.

Oder jeder auf eigene Rechnung?

Ratzmann: Etwas anderes bleibt uns derzeit gar nicht übrig.

Das Gespräch führten Werner van Bebber und Gerd Nowakowski.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false