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Umstrittener SPD-Politiker: Raed Saleh will nach oben

Der Berliner SPD-Fraktionschef hält sich im Streit um den Parteivorsitz öffentlich zurück – doch der ehrgeizige Linke gilt als Strippenzieher.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Im Abgeordnetenhaus, dritte Etage, laufen fast alle Fäden zusammen. Dort residiert seit fünf Monaten der SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Am Streit um den Parteivorsitz, beteuert er, „werde ich mich nicht beteiligen“. Soweit es die öffentliche Diskussion betrifft, entspricht das der Wahrheit. Aber hinter den Kulissen ist Saleh maßgeblich daran beteiligt, die größte Regierungspartei in Berlin mit Blick auf die Bundestagswahl 2013, und darüber hinaus auch auf die Zeit nach Klaus Wowereit, neu zu sortieren. Jedenfalls personell.

Was treibt den 34-jährigen Kleinunternehmer, vormals Geschäftsführer einer Fastfood-Filiale an? Einen Mann, der als kleiner Junge mit der Familie aus dem Westjordanland nach Berlin zog und bis vor kurzem außerhalb seines Heimatbezirks Spandau so gut wie unbekannt war. Es ist der Ehrgeiz eines sozialen Aufsteigers, der aus eigener Kraft ganz nach oben will. Sein Traum: die Chefetage des Roten Rathauses. Und es ist der missionarische Eifer eines Sozialdemokraten, der am linken Rand der Partei steht und überzeugt ist, ein ehrlicher Sachwalter der kleinen Leute zu sein, der Hartz IV-Empfänger und gebeutelten Mieter, der Migranten ohne Schulabschluss und der armen Rentner.

Saleh ist geprägt durch das prekäre Spandauer Milieu, eines Bezirks, der mit dem wirtschaftlichen und sozialen Abstieg am Rand Berlins seit vielen Jahren schwer zu kämpfen hat. Da sollen stramm linke Parolen helfen, wie sie für viele Sozialdemokraten in den Kreuzberger oder Spandauer Kiezen typisch sind. Der SPD-Kreisverband Spandau hat seit 1995 die Hälfte seiner Mitglieder verloren. Der große Konkurrent war dort immer die CDU. Das Verhältnis der beiden Parteien im Bezirk ist zerrüttet. Die neue rot-grüne Mehrheit in Spandau nach den Wahlen 2011 war für die Genossen dort ein Befreiungsschlag.

Saleh ist also ein Kind des linken Aufbruchs der Berliner Sozialdemokratie in den sozial schwierigen Stadtregionen. Und es war ein Spandauer Rechtsanwalt, ein Spezialist für das Ausländer- und Familienrecht, ein radikaler SPD-Linker, der diese innerparteiliche Strömung seit Mitte der siebziger Jahre maßgeblich beeinflusste. Hans-Georg Lorenz, noch immer Sprecher des „Donnerstagskreises“, gemeinsam mit der Kreuzberger Genossin und Aktivistin des „Berliner Wassertischs“, Gerlinde Schermer. Über Jahrzehnte war der „Donnerstagskreis“ das mächtige Sammelbecken der Parteilinken, inzwischen ist er eine ultralinke Randerscheinung. Aber noch immer sitzt der heute 69-jährige Lorenz im Spandauer SPD-Kreisvorstand. Der junge Parteifreund Saleh ist sein politischer Zögling.

Saleh - ein Meister der Seilschaften und Intrigen? Die eigenen Parteigenossen erheben schwere Vorwürfe.

2006 gab Lorenz seinen Wahlkreis in der Altstadt Spandau an Saleh ab, der so ins Abgeordnetenhaus einzog. Zwei Jahre später zog sich der Bundestagsabgeordnete Swen Schulz, ein moderater Linker, freiwillig als Vorsitzender der Spandauer SPD zurück. Er hätte auch keine Mehrheit mehr gehabt. Zwar hatte der umtriebige Umwelt- und Verkehrsexperte der SPD, Daniel Buchholz, ebenfalls Ambitionen auf den Kreisvorsitz, aber die Mehrheiten waren längst festgezurrt. Denn Saleh ist, das hört man überall im SPD-Landesverband, ein Meister der Seilschaften und Intrigen, der früh damit begann, schwarze und weiße Listen zu führen. Unbotmäßige Genossen wurden systematisch kaltgestellt. Einzelne Genossen sprachen in glühendem Zorn von „stalinistischen“ Methoden. Starke Worte, aber eines stimmt: In der Spandauer SPD kann heute niemand mehr etwas werden ohne den Segen Salehs.

Ähnlich traumhafte Verhältnisse will er nun auch in der Landes-SPD schaffen. Als Fraktionschef hat er viel Macht, kann ordentlich Strippen ziehen. Aber er ist kein Stratege, eher ein Sponti, wie manche Parteifreunde spöttisch sagen, den heute die eine und morgen die andere Idee vorwärts treibt. Er bevorzugt bildhafte Formulierungen und eingängige Sprüche, die sich flexibel und unverbindlich handhaben lassen. Mal geißelt er die „kapitalfreundliche Politik“ des Senats, etwa als 2010 das Wohnungsunternehmen GSW mit Hilfe des Landes den Börsengang plante. Dann wollte er die SPD als linke Volkspartei profilieren. Jetzt sagt er: „Wir werden nicht nach links rücken, sondern die Mitte verteidigen.“

Das verwirrt. Aber Saleh hat sich politische Strategen und Experten für die Tagesarbeit der Regierungsfraktion an die Seite geholt. Einer davon ist Jan Stöß, seit kurzem Sprecher der SPD-Linken und Kreischef in Friedrichshain-Kreuzberg. Er soll ab Juni den SPD-Landeschef Michael Müller ablösen. Ein Mann für Thesenpapiere und stundenlange Debatten. Saleh hat mit ihm schon viele Parteitagsgefechte gemeinsam bestritten. Der zweite wichtige Helfer ist Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider, linker Anwalt aus Pankow, der zusammen mit Saleh das Parteiordnungsverfahren gegen Thilo Sarrazin vorbereitete.

Um für Jan Stöß eine Mehrheit auf dem Wahl-Parteitag im Juni zu sichern, zog Saleh einen schwunghaften Handel für Ämter und Mandate auf. Linken, aber auch rechten Genossen, die mit Hilfe ihrer Bezirksverbände, Arbeitsgemeinschaften oder Parteiflügel Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse nehmen können, wurden Posten in der Fraktion und im neuen Landesvorstand zugesprochen oder in Aussicht gestellt. Dasselbe gilt für Bundestagsmandate.

Das erinnert alles sehr an die Berliner SPD der späten siebziger Jahre, als die Regierungspartei im Kampf der Machtkartelle und Postenjäger zerbrach. Ab 1981 regierte dann die CDU.

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