zum Hauptinhalt

Volksentscheid: So stimmte Berlin über Pro Reli ab

Von acht bis 18 Uhr hatten in Berlin die Wahllokale für den Volksentscheid zu Pro Reli geöffnet. Unsere Tagesspiegel-Reporter haben den ganzen Tag über die Stimmung in verschiedenen Bezirken eingefangen. Schildern Sie uns ebenfalls Ihre Eindrücke!

8 Uhr, ein Wahllokal in der Gneisenaustraße, Kreuzberg.

Die erste Wählerin hat es eilig. Die schicke Mittdreißigerin mit Rollkoffer ist schon eine Minute vor acht Uhr da. Ob ihr der "Pro-Reli"-Volksentscheid besonders wichtig sei? Nein, sagt sie draußen vor dem Abstimmungslokal, sie sei so früh dran, weil sie gleich weiter müsse, zum Flughafen, zu einer Konferenz nach Marokko. Aber sie sei Politikwissenschaftlerin, und darum generell politisch interessiert. "Ich gehe zu jeder Wahl!"

Die nächste Wählerin ist eine alte Dame, sie geht langsam, schwer auf zwei Gehstöcke gestützt. "Kommen Sie ran, wir können sofort loslegen!" Die Stimmung bei den Wahlhelfern ist entspannt. So früh ist noch wenig Betrieb, "gegen Mittag werden schon noch ein paar Leutchen kommen". Zunächst ist aber noch genug Zeit für eine Zigarettenpause im Freien. Das Wetter ist herrlich, Sonne, Morgenluft, kaum Autoverkehr. Ein Schirmmützenträger tritt forschen Schritts ins Lokal, kommt wieder heraus, geht davon. Vogelgezwitscher. Eine weißhaarige Seniorin kommt aus einem Nachbarhaus, die Wahlbenachrichtigung in der Hand. Ein orange gekleideter BSR-Mann pickt Zettel vom Bürgersteig.

10 Uhr, Graefestraße, Kreuzberg. Ganz in der Nähe, in einem Wahllokal in der Graefestraße ist es um zehn Uhr sehr ruhig. "Ah, endlich mal wieder einer", wird der Abstimmungswillige von den Wahlhelfern begrüßt. Seit acht Uhr haben dort erst rund sechzig Menschen abgestimmt. Die Kreuzberger schlafen wohl noch.

10 Uhr, Bötzowviertel, Prenzlauer Berg.

Ganz gemütlich geht es auch in diesem kinder- und schülerreichen Viertel in den Tag. Die Straßen sind am frühen Vormittag noch wie leergefegt, bis auf die gelben Zettelchen, die Pro Reli am Tag zuvor an alle Haustüren geklebt hat und jetzt Spiel des Frühlingswindes sind. Wer aber unterwegs ist, der hat zwei Dinge vor: Schrippen holen und Stimme abgeben. Passend zur Abstimmungsfrage befindet sich das Wahllokal 913 in einer Schule. Die Klassenraumatmosphäre erinnert jeden noch einmal daran, worum es bei dem Volksentscheid geht. Bis 10 Uhr waren dies allerdings noch nicht viele: Gerade mal 20 machten ihr Kreuzchen. "Aber die Leute kommen schon noch", sagt eine Frau vom Wahlvorstand.

10 Uhr, Boelckestraße, Tempelhof.
Die Wahlhelfer im Wahllokal in der Seniorenfreizeitstätte "Mireille Mathieu" sind klar in der Mehrheit. Vielleicht drei Dutzend Wähler waren bereits da, dem Augenschein nach mehr ältere als junge und "mittelalterliche". Im Vergleich zum Volksentscheid über die Zukunft des Flughafens Tempelhof ist der Andrang an diesem Sonntag sehr überschaubar. Was kein Wunder ist: Zu diesem Wahllokal im unverfälschten 70er-Jahre-Stil gehen viele aus der so genannten "Fliegersiedlung", die vom Flugfeld nur durch den Tempelhofer Damm getrennt ist. Bei der Abstimmung über den Flughafen war jeder aus eigener Betroffenheit herausgefordert, seine Stimme abzugeben. Die Befürworter "Pro Reli" hatten nochmals für ihre Sache geworben, indem sie an den geparkten Autos in der "Fliegersiedlung" Flyer angebracht hatten.

Ein ähnliches Bild in Mariendorf. Im Wahllokal in der Carl-Sonnenschein-Schule versucht eine ältere Frau angesichts der bisher so geringen Beteiligung  Optimismus zu verbreiten. "Es kaufen immer noch Menschen Brötchen, die wollen erst spät frühstücken und kommen dann", erklärt sie den Wahlhelfern, die darauf warten, etwas zu tun zu bekommen. Vom Wahllokal geht es für eine andere Mariendorferin anschließend direkt in den Gottesdienst. Die Kirche in Mariendorf-Süd ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt, zwei Kinder werden getauft, andere an ihre Taufe erinnert. Zum Ende des Gottesdienstes weist der Pfarrer die Gemeinde darauf hin, doch am Volksentscheid teilzunehmen. Er selber werde für "Pro Reli" stimmen.

10:30 Uhr, Judith-Auer-Straße, Lichtenberg. Wahlplakate fand man während des gesamten Wahlkampfes hier nur nach langem Suchen. Das Wahllokal in einem Seniorenwohnheim ist dennoch gut besucht. Eine Wahlhelferin antwortet auf die Frage, wie die Stimmung sei, trocken: "Schlecht." Für viele Wähler sei der Gesetzesentwurf zu ungenau, die Fragestellung irreführend. Sie schätzt, dass der Großteil in diesem Wahlbezirk mit Nein stimmen wird. "Religion ist Privatangelegenheit", sagt ein älterer Herr nach seinem Gang zur Urne. Er hält es aber dennoch für wichtig, dass ein Grundwissen über Religionen in der Schule vermittelt werde.

12 Uhr, Gethsemane-Kirche, Prenzlauer Berg. Eine Befragung nach dem Gottesdienst ergibt ein geteiltes Echo. Einige Mitglieder dieser jungen Gemeinde mit vielen Kindern sprechen sich für Pro Reli aus. Eine junge Frau begründet dies damit, dass sie selbst ihren Religionsurnterricht in guter Erinnerung hat. "Mir gefällt nicht, dass die Kinder dann getrennt unterrichtet werden", sagt dagegen Marcus Goethe. Der studierte Theologe geht nicht zur Wahl, hätte aber eher mit Nein gestimmt.

12:20 Uhr, Fichtestraße, Hermsdorf. In diesem bürgerlichen Viertel in Reinickendorf treibt die Frage nach dem Religionsunterricht die Menschen schon eher zu den Urnen. Den ganzen Vormittag herrscht reger Betrieb im Wahllokal. Die Wahlhelfer sprechen von einer Beteiligung von rund 40 Prozent. Das ist mehr als bei einer normalen Wahl, aber weniger als bei der Abstimmung um die Zukunft des Flughafens Tempelhof.

12:30 Uhr, Hermann-Hesse-Straße, Niederschönhausen. Hier im östlichen Pankow ist es am Mittag ruhig und beschaulich. 218 abgegebene Stimmen haben die Wahlhelfer bisher gezählt. Die Schule sieht aus, als müsste sie dringend renoviert werden.

12:30 Emserstraße, Wilmersdorf. Von Andrang zu sprechen, wäre übertrieben, aber in die vier Wahllokale strömen kontinuierlich Menschen. Nach Auskunft der Wahlhelfer haben bisher von 1429 Wahlberechtigten 195 ihre Stimme abgegeben.

13 Uhr, Trautenaustraße, Wilmersdorf.
Die Wahlbeteiligung ist nach Auskunft der Wahlhelfer "gefühlt" etwas geringer als bei der Tempelhof-Abstimmung. Bis 13 Uhr haben rund 16 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgegeben. Nach einem Gottesdienst in der Kirche am Hohenzollernplatz, die der Volksmund "Kraftwerk Gottes" nennt, sagt der Wilmersdorfer Superintendent Roland Herpich: "Das Thema der religiösen Identität in die Stadt gebracht zu haben, ist schon mehr als ein Erfolg."

14 Uhr, Wollankstraße, Pankow.

Ein Mann um die 20 kommt aus dem Wahllokal. Er hat "Nein" angekreuzt, "weil ich es nicht ertragen konnte, dass B-Promis wie Günther Jauch auf den Plakaten von Freiheit reden".

15 Uhr, Pallasstraße, Schöneberg.

Warten muss hier niemand, aber die Wähler kommen doch kontinuierlich zur Abstimmung. Bisher haben sich rund 20 Prozent beteiligt, schätzen die Wahlhelfer.

15 Uhr, Dunckerstraße, Prenzlauer Berg. Es wird gescherzt, Kaffee getrunken und Kekse gibt es auch. Im Wahllokal in der Dunckerstraße herrscht gute Stimmung. Bis 15 Uhr haben von 974 Wahlberechtigten 150 Bürger abgestimmt. Auffällig: es sind fast ausschließlich junge Leute, die wählen gehen. Viele verbinden einen Ausflug mit dem Fahrrad mit einem kurzen Abstecher ins Wahllokal.

16:30 Uhr, Karlsgartenstraße, Neukölln. Eine Frau mit Kopftuch tritt aus der Wahlkabine, ihren Kinderwagen hat sie daneben abgestellt. Bis zum späten Nachmittag haben zwar erst 600 von 3000 Wahlberechtigten abgestimmt, nun aber scheinen die Leute von Ausflügen oder vom Grillen zurück zu kommen. Die Beteiligung ist rege, permanent kommen Leute nach. Wer abstimmen will, muss  warten, bis er an der Reihe ist. (J.O./rni/ling/jbh/sik/nla/apz/lha/D.N./mal/teu/ctr/svo)

Wie haben Sie den Tag der Abstimmung erlebt? Schildern Sie uns Ihre Erfahrungen über die Kommentarfunktion. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false