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Volksentscheid zur Stromversorgung: Argumente für und gegen die Rekommunalisierung

Am 3. November sollen die Berliner über die Zukunft der kommunalen Energiepolitik abstimmen. Eine Argumentesammlung für und gegen die Rekommunalisierung.

Pro:

Für ein „Ja“ beim Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Energienetze und zum Aufbau eines Stadtwerks spricht zunächst ein Bauchgefühl, das wohl auch maßgeblich zum Erfolg der ähnlichen Abstimmung in Hamburg und zum Überraschungssieg des „Berliner Wassertischs“ beigetragen hat: Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand und nicht in die eines Konzerns. Zumal sich der schwedische Staatskonzern in Deutschland verhält wie ein privater, dem sein Profit näher liegt als das Gemeinwohl. Das zeigt sich etwa in der Lausitz, wo Vattenfall weitere Dörfer für seine Tagebaue abbaggern lassen will, um seine extrem klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke noch Jahrzehnte zu betreiben. Und es zeigte sich vor Jahren in Berlin, als der Konzern glaubte, das Kraftwerk Klingenberg an der Rummelsburger Bucht durch einen riesigen Kohlemeiler ersetzen zu können. Massiver Protest stoppte den Plan.

Doch auch für den Kopf gibt es starke Argumente für ein „Ja“: Ein kommunaler Betreiber kann das Stromnetz nicht automatisch bekommen, sondern muss sich in einer internationalen Ausschreibung durchsetzen. Das kann er nur mit einem schlüssigen Konzept schaffen – und politischer Druck durch einen erfolgreichen Volksentscheid dürfte den Senat animieren, sich wirklich zu bemühen. Im Erfolgsfall hätte Berlin ein Stück von seinem Tafelsilber zurück, das in den 1990ern wegen explodierender Schulden verkauft worden war. Das Land könnte dann mit sicheren Einnahmen über die Vertragslaufzeit von voraussichtlich 20 Jahren rechnen – Geld, das bisher auch nach Schweden überwiesen wird. Der Kredit für den Kaufpreis wäre gerade besonders zinsgünstig zu bekommen. Nach 20 Jahren ist er entweder getilgt oder kann aus der Ablöse des nächsten Betreibers bezahlt werden. Dass sich Vattenfall (neben anderen) wieder um den Betrieb bewirbt, ist das sicherste Indiz dafür, dass das Geschäft sich lohnt.

Wegen der staatlichen Regulierung sind zwar die Spielräume für den Netzbetreiber gering – aber Rahmenbedingungen können sich ändern, und manche Stellschräubchen mag es geben, wenn etwa langfristige Strategien gefragt sind, um das Netz für die Einspeisung und Speicherung erneuerbarer Energien zu optimieren. Diesen Ökostrom könnte das ebenfalls geforderte Stadtwerk liefern, das den bisher schleppenden Ausbau von Windrädern und Solaranlagen forcieren kann. Selbst wenn private Kunden an diesem Strom nur mäßig interessiert wären, ließen sich mit BVG, BSR und den Gebäuden von Land und Bezirken viele Abnehmer finden. Außerdem kann ein kommunaler Versorger auch den sparsamen Umgang mit Energie und soziale Aspekte wie etwa Rücksicht auf Schuldner stärker gewichten als ein privates Unternehmen.

Contra:

Ein starkes Argument für ein „Nein“ beim Volksentscheid liefert der Platzhirsch selbst. Vattenfalls Stromnetztochter, die ehemalige Bewag, liefert Spitzenqualität: statistisch weniger als 15 Minuten Stromausfall pro Jahr und Abnehmer, pünktlich angeschlossene Solaranlagen und jährlich dreistellige Millioneninvestitionen ins Netz sowie ein Konzept für die nächsten zehn Jahre. Mit seiner Arbeit verdient der Konzern gutes Geld, auf lange Sicht jährlich einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag.

Die Rekommunalisierung der Stromversorgung ist vom Volksentscheid ohnehin unabhängig, da sich das Land mit dem Unternehmen „Berlin Energie“ bereits um den Netzbetrieb bewirbt. Bekommt es im Vergabeverfahren den Zuschlag nicht, bewirkt ein Ja zum Volksentscheid lediglich die Gründung einer Netzgesellschaft, die dann ohne Netz dastünde. Eingespeist werden muss ohnehin alles, ob Kohle- oder Sonnenstrom. Auch die zweite Kernforderung, den Aufbau eines kommunalen Energieversorgers, erfüllt die Koalition bereits. Finanziell ist ein solches Stadtwerk schwieriger zu planen als der bis ins Detail regulierte Netzbetrieb. Daher rühren auch die Vorbehalte der CDU, die ein Millionengrab unbedingt verhindern will. Während beim Netzbetrieb wegen der sicheren Rendite finanziell wenig schiefgehen kann, verlangt die Refinanzierung eines Ökostadtwerks ein kluges Management, das die Investitionen richtig plant und lenkt – zumal das Geld aus Kommunalkrediten des Landes oder Steuereinnahmen stammt.

Auch ein weiteres Ziel des Volksentscheids ist eigentlich schon erreicht: Vattenfall selbst bietet Tipps zum Energiesparen, die Berliner Energie-Agentur berät Firmen und verkauft Energiesparkonzepte, Förderbanken wie IBB und KfW geben günstige Kredite. Dass Berlin im Ländervergleich bei den erneuerbaren Energien ganz hinten liegt und seinen CO2-Ausstoß seit ein paar Jahren nicht mehr verringert, ist eher dem mäßigen Ehrgeiz des Senats und den Besonderheiten Berlins – kaum Platz für Windräder, kein Geld für Gebäudesanierung – geschuldet als dem Fehlen eines Stadtwerks.

Der Vergleich zwischen Energie- und Wasser-Volksentscheid liegt nahe, aber passt nicht wirklich: Bei den Wasserbetrieben war offensichtlich, wie viele Millionen Euro Gewinn dem Land jährlich entgangen sind und wie die Preise seit der Teilprivatisierung gestiegen sind. Außerdem ist Wasser ein reines Monopolgeschäft. Beim Strom jedoch können die Kunden unter mehr als 300 Tarifen wählen. Und die Entgelte fürs Netz – also für den Monopolteil des Stromgeschäfts – sind bundesweit reguliert, so dass es kommunal weder viel billiger noch viel teurer werden kann.

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