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Wowereit-Interview: "In Berlin ist auch Rot-Grün denkbar"

Klaus Wowereit über den rot-roten Senat, die Lage der SPD und den Sparkurs der Regierung. Berlins Regierender Bürgermeister beantwortet im Interview auch Fragen, die im Rahmen unserer Leseraktion gestellt wurden.

Herr Wowereit, was haben Sie der neuen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geraten? Schließlich haben Sie Erfahrungen mit einer rot-grünen Minderheitsregierung.

Ich habe sie beglückwünscht. Jetzt kann in NRW wieder vernünftige Politik gemacht werden. Und es ist schön, dass dort nun eine Frau an der Spitze steht. Meine Erfahrung mit Rot-Grün dauerte 2001 ja nur ein halbes Jahr. In Berlin war von Anfang an klar, dass es bald Neuwahlen geben würde. In NRW ist es jetzt offen, wie lange stabil regiert werden kann. In den Haushaltsfragen braucht Hannelore Kraft eine Mehrheit im Parlament.

Mit der Linken als stillem Partner.

Von wegen. Es gibt keine verabredete rot-rot-grüne Zusammenarbeit. Die Linke wird nach ihrem Gusto Beschlüsse mittragen oder auch nicht. Die FDP hat es wie die CDU übrigens auch in der Hand, in NRW für stabile Verhältnisse zu sorgen. Die Verantwortung liegt bei jeder Partei, die nicht in der Regierung sitzt.

Mit Rot-Grün in NRW verändern sich auch die Verhältnisse im Bundesrat. Setzt die SPD auf Blockadepolitik?

Die Länder haben den Verfassungsauftrag, im Bundesrat in ihrem eigenen Interesse zu votieren. Es wird von SPD-geführten Ländern dort jedenfalls keine Zustimmung für unsoziale Gesetze geben, die die Bürger und Kommunen einseitig belasten. Das ist keine Blockadepolitik. Wir suchen konstruktiv Interessenausgleich. Aber wir werden uns auch dagegen wehren, den Bundesrat auszubremsen. Die geplante Verlängerung der AKW-Laufzeiten zum Beispiel, die nach unserer Auffassung nicht an der Länderkammer vorbei beschlossen werden darf, wird es mit den SPD-geführten Ländern im Bundesrat nicht geben. In jedem Fall wird der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat in Zukunft sicher eine größere Bedeutung bekommen.

Die Bundesregierung plant viele Entscheidungen, die zulasten der Länder gehen. Muss in Berlin noch mehr gekürzt werden?

Die Steuerausfälle, die Schwarz-Gelb zu verantworten hat, liegen für Berlin über mehrere Jahre gerechnet in Milliardenhöhe bei einer angespannten Haushaltssituation und hohen Sozialausgaben. Wir werden nach der Sommerpause unsere Finanzplanung beraten und Vorgaben der Schuldenbremse berücksichtigen müssen. Speziell im Investitionsbereich müssen wir die Prioritäten überprüfen.

Die Städtebauförderung und Mittel für die soziale Stadt werden massiv reduziert, das Wohngeld soll gekürzt werden und die Arbeitnehmer durch höhere Krankenkassen- und Zusatzbeiträge zur Kasse gebeten werden. Droht eine Spaltung der Gesellschaft?

Berlin wird es spüren, wenn die Städtebauförderung tatsächlich halbiert wird. Dann sind Projekte wie die Sanierung von Großsiedlungen – etwa im Märkischen Viertel – mit einer Kofinanzierung durch Berlin so nicht mehr möglich. Auch die energetische Gebäudesanierung ist betroffen. Zur Gesundheitspolitik sage ich: Diese Regierung macht konservative Politik. Die Zeche zahlen die Arbeitnehmer. Wir steuern auf eine Zweiklassen-Medizin hin. Diese Politik schadet allen Menschen in Deutschland. Aber wer FDP und CDU gewählt hat, muss sich nicht wundern, dass konservative Klientelpolitik herauskommt. Und dass die Steuersenkungsversprechen dieser schwarz-gelben Nichtregierungsorganisation nicht eingehalten werden können, war bereits im Wahlkampf deutlich.

Werden sich durch die bundespolitischen Entscheidungen in Berlin die sozialen Probleme verstärken?

In einer Großstadt ist die soziale Spreizung zwischen Arm und Reich immer viel stärker zu erkennen. Das findet man auch in Köln oder Hamburg. Mehr als 50 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt in Großstädten. Ich sage noch mal ganz deutlich: Die Bundesregierung darf die Programme für die Städte nicht kürzen. Tut sie es dennoch, dann verstärkt sie soziale Spaltungen.

Durch die Ablehnung von Joachim Gauck als Bundespräsident und der unklaren Position zum DDR-Unrechtsstaat hat sich die Linke ins Abseits gebracht. Ist sie für die SPD auf Bundesebene noch ein potenzieller Partner?

Wir beurteilen die Linkspartei nach Inhalten, Programmatik und ihrer personellen Aufstellung. Hannelore Kraft hat gesagt, dass sie die Linkspartei in NRW für nicht regierungsfähig hält. Das hat sich in den Sondierungen auch bewahrheitet. Es ist Aufgabe der Linkspartei, sich selbst zu positionieren. Bei der Bundespräsidentenwahl hat sie eine Chance vertan. Da hätte sie zeigen können, dass sie konstruktiv Politik gestalten kann. Für mich gibt es dort immer noch zwei Parteien unter einem Dach, die aber kein stabiles Fundament für dieses Dach bilden.

Ist die Linke für Sie berechenbar?

Diese Partei ist gefangen in ihren eigenen Widersprüchlichkeiten. Sie verhält sich in NRW wie eine destruktive Oppositionspartei. Dort ist es ihre Entscheidung, dass sie nicht regieren will. Die SPD hat ein anderes Verständnis.

Das kann Ihnen nicht gefallen. Sie wollen neue Mehrheiten für den Bund. Dann braucht es auch die Linke.

Die SPD braucht mehr Wählerstimmen für die SPD. Unsere Arbeit konzentriert sich auf die eigene Stärke.

Wollen Sie 2011 in Berlin Rot-Rot weiterführen?

Wir haben erfolgreich mit der Linken zusammengearbeitet. Das ist auch in Zukunft möglich. Aber auch eine rot-grüne Koalition ist in Berlin denkbar. Das entscheiden die Wähler.

Die Grünen werden immer stärker. Laut Wählerumfragen liegen SPD und Grüne in Berlin fast gleichauf. Wäre die SPD bereit, nach der Wahl 2011 in einer Koalition den Juniorpartner zu spielen?

Die SPD ist in Berlin die stärkste politische Partei, und sie wird das auch bleiben. Wir sind hier nicht beim Wunschkonzert der Grünen. Mag sein, dass sie vor Kraft zurzeit nicht mehr laufen können. Aber sie müssen die Zustimmung, die ihnen manche Umfragen zuschreiben, erst einmal erreichen. Dahin ist es noch ein weiter Weg.

Sie haben schon gesagt, Sie freuen sich auf einen regen Wahlkampf mit der potenziellen Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast …

… Ja, unbedingt.

Und was wollen Sie unternehmen, damit Frau Künast nicht Regierende Bürgermeisterin wird?

Die SPD konzentriert sich auf sich. Wir haben unser eigenes attraktives Angebot. Dann werden die Wähler entscheiden. Ich bin da sehr optimistisch.

Mit welchen Themen wollen Sie die Wähler mobilisieren?

Das wird deutlich werden, wenn die Wahlen näher rücken. Zunächst liegt noch ein ganzes Jahr Regierungsarbeit vor uns, und da stehen wichtige Themen an. Wir haben eine erfolgreiche Regierungsbilanz, wir werden natürlich auch Ideen für die Zukunft präsentieren. Berlin ist mitten in einer weltweit beachteten positiven Entwicklung – hin zu einer kreativen, international ausgerichteten und leistungsfähigen Stadt. Wir sorgen dafür, dass dabei auch der soziale Zusammenhalt gestärkt wird.

Die Grünen in Berlin fordern einen anderen Regierungsstil. Sie sind mit 56 Jahren der Jüngste in der SPD-Senatorenriege. Gehen Sie mit dieser Regierungsmannschaft in den Wahlkampf?

Haben Sie Finanzsenator Ulrich Nußbaum vergessen, nur weil er parteilos ist? Er ist jünger als ich. Aber zum Kern Ihrer Frage: Es ist keine Senatsumbildung geplant. Und ich verwahre mich gegen jegliche Art von Altersdiskriminierung. Es zählt nicht das Alter, sondern die Leistungsfähigkeit.

Bildungssenator Zöllner ist unter Druck geraten. Gerade im Bildungsbereich gibt Berlin viel Geld aus. Bei bundesweiten Vergleichstests schneidet Berlin trotzdem schlecht ab. Wie wollen Sie das ändern?

Mehr Bildung muss nicht zwangsläufig heißen, mehr Geld zu geben. Wir brauchen mehr Erfolgskontrollen, um festzustellen, ob das Geld effektiv eingesetzt wird. Das gilt für die Kita wie für Grundschulen und weiterführende Schulen.

Warum werden Kinder eingeschult, die trotz Förderung noch nicht richtig Deutsch sprechen können?

Bildung findet auch schon in den Kitas statt. Es gibt Förderung im frühkindlichen Bereich, die Gebührenfreiheit und die bessere Personalausstattung. Aber offenbar sind die Ergebnisse manchmal unbefriedigend. Die Qualitätskontrolle muss verbessert werden, um effizienter zu sein. Viele Systeme im Bildungsbereich sind viel zu statisch. Da wünsche ich mir mehr Mut zur Flexibilität. Es geht letztlich um individuelle Förderung.

Warum stellt man das erst jetzt fest, dass Kontrolle fehlt?

Bundesweit gewinnt im Bildungswesen die Frage an Gewicht, ob wir die vorhandenen Mittel effektiv genug einsetzen.

Vor einem Dreivierteljahr haben Sie gefordert, den Aufstiegswillen in Familien mit Migranten und Hartz-IV-Empfängern zu stärken. Was haben Sie bisher dafür getan?

Diese Debatte anzustoßen bedeutet ja noch nicht, dass sich allein davon die Lage in den betroffenen Familien ändert. Das ist in der Tat ein schwerer Prozess. Dafür brauchen wir die individualisierte Förderung, die Einzelfallhilfe. Ich glaube schon, dass ich mit meinem Anstoß da der Diskussion eine andere Richtung gegeben habe. Jetzt kommt es darauf an, diesen Grundgedanken in den einzelnen Politikfeldern voranzubringen.

Integration heißt fördern und fordern. Wollen Sie einen Forderungskatalog?

In den meisten Leistungsgesetzen haben wir doch den Druck: Wer Arbeit verweigert, erhält eine Kürzung. Wer sein Kind nicht zur Schule schickt, muss Bußgelder zahlen. Wir haben dieses Instrumentarium. Das muss nur angewandt werden.

Deutschland ist eine Zuwanderungsgesellschaft. Brauchen wir ein Integrationsgesetz in Berlin?

Berlin wächst, es kommen viele junge Leute nach Berlin. Die Stadt ist attraktiv. Da mache ich mir keine Sorge. Wir haben nur eine Chance, wenn hier ein Klima herrscht, in dem Menschen sich wohlfühlen. Wenn jemand auf der Straße diskriminiert wird, hilft auch kein Integrationsgesetz. Aber wir können durch dieses Gesetz im Alltag einiges bewirken, etwa für die politische Partizipation von Migrantinnen und Migranten in den Bezirken.

Helfen dabei auch Quoten für Migranten?

Wir setzen uns Ziele – zum Beispiel: dass der Migrantenanteil im öffentlichen Dienst steigt. Aber ohne feste Quote.

Berliner beklagen, dass sie sich nicht mehr in bestimmte Parks wie die Hasenheide trauen, weil dort mit Drogen gehandelt wird. Wie wollen Sie Familien wieder das Gefühl geben, Berlin ist sicher?

Berlin ist, wenn man uns mit anderen Großstädten vergleicht, sicher. Aber ich kann die Sorge von Eltern verstehen, dass sie ihre Kinder nicht überall hingehen lassen wollen. Es ist Aufgabe der Polizei, den Drogenhandel in Parks wie der Hasenheide zu unterbinden. Und es ist egal, ob es sich dabei um Deutsche oder um Migranten handelt: Es muss an manchen Orten auch mal stärker kontrolliert werden. Und die sogenannten Druckräume – für Schwerstabhängige – sollen zum Beispiel auch bewirken, dass die Probleme in den öffentlichen Parks geringer werden.

Eine Leserin aus Hamburg hat den Eindruck, dass in Berlin die Mieten bei Neuvermietungen um 20 Prozent steigen.

Und was zahlt sie in Hamburg für eine vergleichbare Miete? Das hat sie nicht geschrieben. Eines ist klar: Wenn es Berlin wirtschaftlich besser geht, wird das Mietenniveau steigen. Über Jahrzehnte war Berlin eine sehr mieterfreundliche Stadt. Das wollen wir erhalten: öffentlicher Wohnungseigentum bleibt im Landesbesitz, wir verkaufen keine Wohnungsbaugesellschaften mehr. Wir haben insgesamt über 500.000 Wohnungen in der Stadt im Landes- oder Genossenschaftsbesitz.

Ein Problem in der Stadt sind steigende Mieten. Brauchen wir neue Instrumente in der Mietenpolitik?

Wir haben ein weitgehendes Mietrecht in Deutschland. Das ist wichtig, um die Mieterinnen und Mieter vor Willkür zu schützen. Aber die Frage nach neuen Instrumenten führt denn doch zu der Frage einer Obergrenze für Mieterhöhungen. Das meiste dazu ist im Bundesgesetz zu regeln. Dennoch werden wir Initiativen starten, um neue Obergrenzen einzuführen.

Was macht man mit den Wohnungen, die aus der staatlichen Anschlussförderung herausgefallen sind und exorbitante Mietsteigerungen sichtbar sind?

Wir haben gute Härtefallregelungen. Aber die werden nicht dazu führen können, dass jeder Einzelne aufgefangen werden kann.

Ein Leser möchte wissen, ob Berlin ein Nichtrauchergesetz ohne Ausnahmen wie in Bayern plant.

Ich bin Nichtraucher und habe noch nie geraucht. Ich habe sehr viel Sympathie für rauchfreie Zonen. Aber mit dem in Berlin neu abgefassten Gesetz können wir alle gut leben, Raucher und Nichtraucher. Es wird keine Initiative des Senats geben, das zu verändern.

Leser wollen wissen, warum der Flughafen Tempelhof ohne Nachnutzungskonzept geschlossen wurde. Ist die vorzeitige Schließung des Flughafens kein Fehler gewesen?

Die Schließung war Teil eines Konsensbeschlusses. Das ist 1996 schon entschieden worden. Ein Nachnutzungskonzept wird erarbeitet. Das Gebäude wird sehr gut genutzt. Die Entscheidung, die Modemesse Bread and Butter dort zu etablieren, war richtig und gut. Für die Bevölkerung ist die Öffnung des Tempelhofer Feldes attraktiv. Das ist ein riesiges Areal, das nach und nach entwickelt wird. Die Internationale Gartenausstellung wird dort 2017 stattfinden. Dann wird auch ein Park gestaltet.

Das Gespräch führten Atila Altun, Sabine Beikler und Gerd Nowakowski.

ZUR PERSON

BERLINER

Klaus Wowereit, 56, ist in Berlin geboren und hat bisher immer in Berlin gelebt: Schule, Jurastudium an der FU, Rechtsreferendariat, Beamter in der Innenverwaltung.

SOZIALDEMOKRAT

Schon als Schüler trat er der SPD bei. 1979 wurde er Bezirksverordneter, 1984 in Tempelhof Bezirksstadtrat. 1995 wurde er ins Abgeordnetenhaus gewählt.

STADTOBERHAUPT

Er ist seit 2001 Regierender Bürgermeister unter Rot-Rot. Als Repräsentant des linken Flügels wurde er im November 2009 zum stellvertretenden SPD-Parteichef gewählt. Wowereit tritt wieder als SPD-Spitzenkandidat zur Abgeordnetenhauswahl 2011 an. sib

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