zum Hauptinhalt
Eingemauert. Das Bad und auch die Küche von Wohnungen in der Calvinstraße wurden zugemauert, weil nebenan ein Neubau entstand. Nun soll außerdem saniert werden. Die Mieter zogen deshalb vor Gericht.

© Doris Spiekermann-Klaas

Landgericht rechtfertigt sich: Häuserkampf um die Calvinstraße

Zugemauerte Fenster in Küche und Bad - damit müssen die Mieter von Wohnungen in der Calvinstraße 21 leben. Das sagt das Landgericht und wirbt für sein Urteil. Rechtfertigen muss es auch die Nebentätigkeiten der in dem Fall zuständigen Richterin für Vermieter-Lobbyisten.

So viele gerichtskritische Kommentare habe er noch nie gehört, sagt Bernd Pickel, in seiner nunmehr achtjährigen Amtszeit als Präsident des Landgerichts. Und weil es an das Selbstverständnis seines Amtes kratzt, dass Zweifel an der Unabhängigkeit der Berliner Gerichtsbarkeit gehegt werden, entschied er sich zu einem ebenfalls ganz außergewöhnlichen Schritt: Der Öffentlichkeit in einem Hintergrundgespräch die „Fakten“, wie er sagt, zu dem wohl spektakulärsten Streit zwischen Mietern und Vermietern noch einmal vorzutragen: dem Streit um die Sanierung und um einen Neubau in der Calvinstraße in Moabit.

Eine Mieterin steht vor dem Küchentisch an ihrem offenen Fenster und blickt – auf eine neu hochgezogene Mauer. Diese Aufnahme aus der Calvinstraße 21 ist zu einem Sinnbild dessen geworden, was im Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern alles schiefgehen kann. Und es passt in eine Zeit, in der immer mehr Mieter unter Druck geraten, weil Mietshäuser teuer gehandelt werden und neue Eigentümer mit aufwendigen Sanierungen und Mieterhöhungen ihre Investitionen wieder hereinholen wollen. Und im konkreten Fall der Calvinstraße kämpfen sechs langjährige Mieter, der älteste ist ein 87-Jähriger, gegen eine Grundstücksgesellschaft – drei von ihnen sind dazu noch schwer behindert.

In dieser ohnehin schon schwierigen Gemengelage kommt hinzu, dass die Richterin bei der Auswahl ihrer Nebentätigkeiten eher wenig Fingerspitzengefühl zeigt. Sie referiert vor Mitgliedern eines Hausverwalterverbandes, verfasst eine Kolumne im Lobbyisten-Magazin „Das Grundeigentum“. Deshalb beantragten die Rechtsanwälte der Mieter, die Richterin wegen „Befangenheit“ von dem Verfahren abzuziehen.

„Weniger reißerisch“ hätte manche Überschrift über den Werken seiner Kollegin sein dürfen, meinte dazu der Landgerichtspräsident. Ein Beamter habe aber das Recht, Nebentätigkeiten auszuüben, acht bis zehn Stunden wöchentlich seien „unproblematisch“. Dasselbe gelte für den Umfang in diesem konkreten Fall. Denn in der Summe hätten die Aufträge der Richterin nicht mehr eingetragen, als anderen Richter die Leitung von Arbeitsgemeinschaften im Auftrag des Senats einbringen. Eine „finanzielle Abhängigkeit“ sei nicht gegeben. Deshalb wurde auch der Befangenheitsantrag der Mieter abgewiesen.

Es handle sich um einen besonderen Fall

Wirkt sich die Nähe zu den Vermieterverbänden aber nicht vielleicht auf die Beurteilung von Sachverhalten aus? Die eingemauerte Mieterin aus der Calvinstraße muss mit dem versperrten Blick leben. Zwar muss ein Vermieter grundsätzlich einen „Mangel“ in der von ihm vermieteten Wohnung beheben – andererseits sagt ein alter Rechtsgrundsatz, dass man „Unmögliches nicht verlangen kann“. Diese „Opfergrenze“, wie es im bürgerlichen Recht auch heißt, wäre aber überschritten, so die Überzeugung des Landgerichts, wenn der Vermieter die Mauer des benachbarten Bauwerks wieder abreißen müsste. Pickel ist deshalb überzeugt, dass das Urteil seiner Kollegin keinen Rechtsfehler beinhalte. Dennoch ließ das Landgericht die Revision durch den Bundesgerichtshof zu. Das will man als „Signal“ verstanden wissen, dass es sich hier um einen besonderen Fall handle, den eine andere Instanz überprüfen könne.

An diesem Freitag geht der Streit um die Calvinstraße in die nächste Runde. Die Mauer bleibt. Aber der Hauseigentümer will außerdem sanieren. Einer Bewohnerin zufolge würde sich deren Nettokaltmiete nach den Arbeiten verdoppeln. Wegen der Debatte um den Fall hat das Landgericht nun eine „Sicherheitsverfügung“ erlassen. „Wurfgegenstände“ wie „Flaschen, Dosen, Obst, Eier, Haarbürsten, Farbbeutel, Bücher dürfen nicht in den Sitzungssaal eingebracht werden“. Verboten sind auch „Flugblätter, Transparente, Trillerpfeifen, Glocken und ähnliche zur Verursachung von Lärm geeignete Gegenstände.“ Zur Durchsetzung des Verbots sollen Zuhörer sich „einer körperlichen Untersuchung durch Abtasten bzw. Absondern von Kleidung“ unterziehen.

Zur Startseite