zum Hauptinhalt
Der Siegfriedbrunnen auf dem Rüdesheimer Platz wurde 1911 erbaut.

© Jan Wendt

Landtagswahl: So viel Hessen steckt in Berlin

Rüdesheimer Platz, Wilmersdorfer Rheingauperle, die Brüder Grimm: Berlin und Hessen verbindet viel - und nicht nur Kulinarisches. Auf Spurensuche in der Stadt.

Jahrhundertbauten im englischen Landhausstil, fein gepflasterte Straßenabschnitte und ein historisches Toilettenhäuschen aus dem Jahr 1900: Die Rüdesheimer Straße zählt zu den zwölf schönsten Straßen Europas – zumindest laut der „New York Times“. Der amerikanische Journalist Joshua Hammer bezeichnete die Straße 2015 als „ordentlich und zutiefst bürgerlich“. Sie liegt nicht in einem der weltweit bekannten Berliner Szeneviertel – sondern im Wilmersdorfer Rheingauviertel.

Dessen Straßen und Plätze sind größtenteils nach Orten um die hessische Kulturlandschaft Rheingau benannt. So grenzen an die Rüdesheimer Straße die Wiesbadener und die Homburger Straße. Auch das Zentrum des Rheingauviertels verdankt seinen Namen einer beliebten Weinstadt aus dem Rheingau-Taunus-Kreis: der Rüdesheimer Platz. Bunte Blumenbeete schmücken selbst im Herbst den zentralen Ort. Ein Brunnen plätschert. Riesige Brunnenskulpturen thronen über dem Platz – unter anderem Nibelungenheld Siegfried. Georg Haberland, geboren in Wittstock/Dosse, entwarf das Viertel. Die Gegend ist eine von vielen Verbindungen zwischen Berlin und Hessen. Der Rheingau-Taunus-Landkreis übernahm 1972 für den Bezirk Wilmersdorf eine Patenschaft. Sie wurde 1991 zu einer Partnerschaft ausgebaut, die der neu gegründete Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf 2001 übernahm.

Angebaut in Wilmersdorf, gekeltert in Hessen

Auf dem Rüdesheimer Platz wird auch die hessische Weinkultur großgeschrieben. Motive wie Trauben und Weinlaub schmücken den Ort. Seit 1967 wird hier der „Rheingauer Weinbrunnen“ gefeiert: Zwischen Ende Mai und Anfang September lassen hessische Winzer ihre edlen Tropfen verkosten. Nicht alle Anwohner sind über die dadurch verursachte Geräuschkulisse erfreut, die schon zu einem jahrelangen Rechtsstreit führte.

Prost. Immer wieder im Sommer freut der „Rheingauer Weinbrunnen“ die einen und ärgert die anderen.
Prost. Immer wieder im Sommer freut der „Rheingauer Weinbrunnen“ die einen und ärgert die anderen.

© imago/Pemax

Selbst direkt in Berlin wird hessischer Wein angebaut. Der Rheingau-Taunus-Landkreis pflanzte erstmalig 1984 Rebstöcke auf den nördlichen Tribünenhängen des Stadions Wilmersdorf an. Die Trauben wurden bis 2010 in Hessen gekeltert. So entstand die „Wilmersdorfer Rheingauperle“ – ein echter Hesse in Berlin. Zwischenzeitlich zerstörten Frostschäden die Ernte. Daher pflegt der Heimatverein Wilmersdorf seit 2015 die Weinreben. Im Vorjahr konnten Winzer die Früchte wieder zu Wein verarbeiten. „In diesem Jahr wurden aus rund 380 Kilogramm Trauben knapp 190 Liter Wein produziert“, sagte die Vorsitzende des Heimatvereins Wilmersdorf, Monika Thiemen.

Äppelwoi und Märchensammler

Aber auch andernorts gibt es in Berlin kulinarische Spezialitäten aus Hessen, zum Beispiel in Wilmersdorf im „Weinkost Berlin“ an der Pariser Straße 15. Dort bietet Sven Koch Rheingauer Weine an. Oder im „Mainhattan“, In den Ministergärten 5, nicht allzu weit entfernt vom Brandenburger Tor, in der Hessischen Landesvertretung: „Wir wollen den Berlinern die vielfältige regionale Küche aus Hessen näherbringen“, sagt René Brosius vom Bistro. Die Köche servieren Handkäs und Tafelspitz mit Grüner Soße. Auch Äppelwoi und Ahle Worscht werden aufgetischt. „Wir sehen uns als kulinarischen Botschafter“, so beschreibt es der Serviceleiter.

Verbindungen zwischen Hessen und Berlin reichen aber weit über kulinarische Delikatessen hinaus. Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm verbrachten ihre erste Lebensphase im Hessischen. Jacob kam am 4. Januar 1785 in Hanau zur Welt, Bruder Wilhelm folgte am 24. Februar 1786. Die Brüder gingen in Kassel zur Schule. Kurz nach der Jahrhundertwende begannen die Grimms ihr Rechtsstudium in Marburg. 1806 wurde Jacob Sekretär beim hessischen Kriegskollegium in Kassel, Wilhelm acht Jahre später Bibliothekssekretär in der nordhessischen Stadt. Nach weiteren Zwischenstationen zog es die Brüder nach Berlin. 1840 wurden sie an die Preußische Akademie der Wissenschaften berufen.

In den Gebäuden der heutigen Humboldt-Universität hielten die gebürtigen Hessen ihre Vorlesungen. Dort besuchten sie auch regelmäßig die Königliche Bibliothek. Das Gebäude am Bebelplatz, auch „Kommode“ genannt, beherbergt heute die Juristische Fakultät. Die Grimms wohnten in der Lennéstraße, der Dorotheenstraße und der Linkstraße. Die Häuser wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Als Hessen geboren, als Berliner gestorben. Die Grabstelle der Brüder Grimm auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg.
Als Hessen geboren, als Berliner gestorben. Die Grabstelle der Brüder Grimm auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg.

© imago/Steinach

Ihre Kinder- und Hausmärchen sind laut Bernhard Lauer, Geschäftsführer der Brüder-Grimm-Gesellschaft, primär in Kassel entstanden: „Die beiden ersten Auflagen der Großen Ausgaben zwischen 1812 und 1822 sowie die Kleine Ausgabe mit 50 ausgewählten Titeln für Kinder von 1825 wurden allerdings in Berlin gedruckt.“ Die Grimms hätten sich für ihre Werke weniger von Berlin inspirieren lassen. Allerdings seien die Kontakte in die damalige preußische Hauptstadt als kulturelles Zentrum schon wichtig gewesen.

Bedeutende Grimm-Sammlungen finden sich heute im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Universitätsbibliothek, im Archiv der Berliner Akademie der Wissenschaften und in zahlreichen Museen. Die Brüder sind auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof an der Schöneberger Großgörschenstraße begraben. Wilhelm starb am 16. Dezember 1859, Jacob am 20. September 1863. So verbinden die Brüder Hessen und Berlin auch über ihren Tod hinaus.

Jan Wendt

Zur Startseite