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Berlin: Lang lebe die Liebe

70 Jahre Ehe: Die Wehselaus feiern Gnadenhochzeit Hat ihre Verbindung ein Geheimnis?

Das alte Schwarz-weiß-Foto klebt ganz vorne in dem braunen Album: Sie lächelt zurückhaltend, er kaum. Ihr fallen ein paar dunkle Löckchen in die Stirn, er trägt Brille und Haartolle. Beide haben junge Gesichter, in denen das Leben noch kaum Spuren hinterlassen hat. Ihre Köpfe sind ganz dicht beieinander: Ursula, damals 17, und Johann-Friedrich Wehselau, damals 28, aufgenommen 1938 in einem Fotostudio an der Steglitzer Schloßstraße.

Ziemlich genau 70 Jahre später liegt das Album aufgeschlagen auf einem weiß gedeckten Kaffeetisch in Schlachtensee. Auf dem Sofa dahinter sitzen wieder eine Frau und ein Mann, ihre Schultern berühren sich fast. Immer wieder drehen sie sich beim Sprechen zueinander. Dann berühren sich fast ihre Nasenspitzen. Sie hat graue, sehr glatte Haare, er weiße, die sich in der Stirn ein wenig lichten. Ihren Gesichtern sieht man an, dass sie schon sehr viel gesehen haben. Sie ist 87, er 98, trotz der Falten sind sie ein schönes Paar, aber den beiden auf dem Foto sehen sie nicht mehr besonders ähnlich: „Das sind wir, kurz vor unserer Hochzeit“, sagt aber Johann-Friedrich Wehselau, genannt Fritz. „Wir sind jetzt seit 50 Jahren verheiratet.“ Ursula blickt ihm tief in die Augen: „Nein, seit 70 Jahren.“ „Ich wollte nur ein bisschen kleinere Zahlen aushandeln“, kontert er und sagt dann, als könne er es selbst kaum fassen: „70 Jahre. Dunnerwetter.“Am Montag ist ihr Hochzeitstag, Gnadenhochzeit nennt man ihn. Eine Gnade, weil sie so selten vorkommt. Wie selten genau erfasst das Amt für Statistik nicht. Aber so weit die beiden wissen, sind sie die einzigen weit und breit – zumindest unter ihren Freunden und Bekannten. Die Paare, die sie kannten, sind inzwischen alle geschieden worden – allerdings vom Tod und nicht vor Gericht.

Doch auch in dieser Hinsicht sind die beiden eine Besonderheit. Gerade das verflixte siebte, manchmal auch das sechste Jahr überstehen heute viele Ehen laut Statistik nicht. Auch wenn die Zahl der Scheidungen in den letzten zehn Jahren in Berlin abgenommen hat; 8315 Ehen wurden 2006 geschieden, zehn Jahre vorher waren es noch 9182. „Früher war es nicht üblich sich scheiden zu lassen“, sagt Fritz Wehselau. „Das war doch eine ganz andere Zeit“, sagt seine Frau. „Besonders im Krieg hatten wir andere Sorgen, als uns zu zanken. Auf die Idee uns scheiden zu lassen, wären wir gar nicht gekommen.“

Getrennt waren die beiden selten, selbst während des Krieges nicht. Fritz Wehselau arbeitete als Ingenieur in einer Rüstungsfabrik und wurde für „unabkömmlich befunden“.

Später begleitete sie ihn zuweilen sogar auf seinen Geschäftsreisen. Vor allem, als die vier Kinder, die in den Jahren nach der Hochzeit in schneller Folge geboren wurden, schon etwas größer waren. Was aber ist das Geheimnis einer so langen Ehe? Wie schafft man es, sich nicht auf die Nerven zu gehen? „Man braucht Geduld und muss dem anderen zuhören. Das kann ich besonders gut“, behauptet er. „Das kannst du gar nicht“, meint sie. Außerdem sei das Wichtigste, sich anzupassen. „Du bist tatsächlich ziemlich anpassungsfähig und hast dir viel Mühe gegeben“, sagt er. „Besonders bei den Bratkartoffeln.“ Und dann erzählt er, wie wichtig ihm gute Bratkartoffeln sind, Bratkartoffeln, wie er sie von seiner Mutter kannte. Er selbst kann nicht kochen und überlässt es seiner Frau auch heute, da die Küche meistens kalt bleibt, die angelieferte Tiefkühlkost aufzutauen. Liebe geht eben durch den Magen. Daniela Martens

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