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Christopher Lauer von der Piratenpartei (li.) und Thomas Heilmann, Berliner Justizsenator (CDU).

© Thilo Rückeis

Lauer (Piraten) und Heilmann (CDU) im Doppelinterview: "Man ist viel vorsichtiger geworden!"

Kurz nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 führten wir ein Gespräch mit dem Piraten Christopher Lauer und dem CDU-Netzexperten Thomas Heilmann. Gut zwei Jahre später ist Heilmann Justizsenator – und Lauers Partei im Tief. Wir haben erneut mit den beiden gesprochen. Hier lesen Sie das ungekürzte Gespräch - eine redigierte Druckfassung finden Sie in unserer gedruckten Samstagsbeilage "Mehr Berlin" vom 2. November 2013.

Herr Heilmann, Herr Lauer, vor zwei Jahren hatten wir im Sinne der damals auf der großen Agenda noch relativ neuen Forderung nach Transparenz gesagt, wir wollten ein transparentes Interview machen: ohne Autorisierung, ohne große Redigatur, nur blockweises Kürzen und Lesbarmachen. Damals antworteten Sie beide ohne zu zögern mit „Ja“. Können wir das wieder so machen oder haben zwei Jahre in Ihren neuen Positionen Sie vorsichtig gemacht?

Thomas Heilmann (TH): Wir können das wieder so machen, wir können es natürlich auch im Konsens machen: Wir schauen noch mal drauf – bearbeiten aber nur die Stellen, wo wir uns missverstanden fühlen. Wovor Sie als Journalisten ja Angst haben, ist, dass wir hier etwas sagen und später kalte Füße kriegen und alles noch einmal ändern. Das mache ich nicht, das verspreche ich Ihnen – und Sie kennen mich ja auch mittlerweile ganz gut.

Christopher Lauer (CL): Online wird’s aber wie damals wieder in der vollen Länge veröffentlicht? Dann machen wir das so!

Gut, dann legen wir los: Sie beide haben sich damals erstaunlich gut verstanden und es schien, als seien Sie sich in Sachen Bürgerbeteiligung und Transparenz ziemlich einig. Haben Sie im realen Politikbetrieb etwas daraus gemacht, oder eher nicht?

CL: Wahrscheinlich eher nicht. Auf dem Weg hierhin hat Herr Heilmann schon im Aufzug zu mir gesagt, dass es einige Sachen in der Politik gibt, die ihm als Seiteneinsteiger nicht so gut gefallen, wie zum Beispiel, dass es immer nur darum geht, als Koalition die Opposition zu demütigen. Zugleich gibt es im Detail natürlich inhaltliche Differenzen zwischen Piraten und CDU: Wir hatten zum Beispiel den Antrag gestellt, dass Protokolle über Senatssitzungen öffentlich gemacht werden sollen. Das wurde abgelehnt.

Herr Heilmann, würden Sie persönlich das gut finden?

TH: Ich kann mir vorstellen, dass wir das einführen. Es gibt da aber noch ein paar verfassungsrechtliche Fragen. Aber natürlich können wir in Sachen Transparenz mehr machen, als wir heute machen. Das Kernproblem aber sind zwei zusätzliche Dinge, denen wir damit nicht beikommen: Das eine ist das Misstrauen, dass es hinter der offiziellen noch eine inoffizielle Agenda gibt. Das löse ich nicht, indem ich ganz viele Dinge ins Netz stelle.   

Geheimes Zusatzprotokoll ist das Stichwort…

CL: Soziale Ausweichbewegungen nennt man das!

TH: Ein wunderbarer Begriff! Das ist das eine. Das andere ist, dass wir uns über die Verständlichkeit unterhalten müssen. Das ist ja selbst für mich als Volljuristen herausfordernd, mitzubekommen, was da alles passiert. An der Verständlichkeit arbeiten wir aber nicht, indem wir die Menge erhöhen.

CL: Ja.

TH: Der Bundestagspräsident hat kürzlich in seiner Eröffnungsrede gesagt, dass die Menge der Drucksachen im Bundestag wieder einen neuen Rekordstand erreicht hat und dass das dazu führt, dass wir die Dinge gar nicht mehr ordentlich behandeln. Die Quantität in der Transparenz ist nicht das Thema, sondern die Qualität. Deswegen ist mein erstes Bestreben nicht, jetzt noch 20000 Dinge zusätzlich ins Internet zu stellen, denn das Misstrauen, dass dann das 20001. fehlt und das die eigentlich entscheidende Sache ist, wird bleiben. Stattdessen versuche ich selber möglichst gut zu erklären, das und warum wir etwas machen.

Herr Lauer, die Hoffnung darauf, dass Transparenz allein alles zum Besseren wendet, hat die sich auch bei Ihnen in den letzten Jahren gelegt?

CL: Glücklicherweise habe ich ja nie gedacht, dass Transparenz das alleinseligmachende Mittel ist, um die Demokratie zu retten. Ganz am Anfang, als wir gerade ins Abgeordnetenhaus gekommen bin, wurde ich vom Tagesspiegel korrekt damit zitiert, dass ich nicht vorhabe, da mit einer Kamera durch die Gegend zu laufen. Zweitens sehe ich es genau wie Herr Heilmann, dass reine Quantität keinen Nutzen bringt. Das Problem, das ich aber sehe: Auch wenn die Wörter „Transparenz“ und „Nachvollziehbarkeit“ häufiger fallen, seit die Piraten im Abgeordnetenhaus sind – solange das nur Worthülsen sind, die nicht mit Sinn und Inhalt gefüllt werden, führt es halt überhaupt nicht weiter.

Können Sie Beispiele nennen?

CL: Wenn wir uns jetzt anschauen, wie die Koalition jüngst die Anträge zu einem Berliner Stadtwerk nach ihren Vorstellungen quasi in letzter Minute vor dem Energie-Volksentscheid durch den Hauptausschuss und das Plenum geschleust hat, um dem Volksentscheid, der ein ganz anderes Stadtwerk will, den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat das weder etwas mit Transparenz noch mit Nachvollziehbarkeit zu tun. Es geht also nicht nur um die konkrete Frage, wann und wo ich etwas veröffentliche. Es geht auch um die Frage der politischen Kultur: Wie ernst nehme ich die Bürgerinnen und Bürger, wie ernst nehme ich die Wähler – und welche Chancen gebe ich Ihnen, sich an einem politischen Prozess zu beteiligen? Da, muss ich sagen, sind wir nach wie vor an demselben Punkt wie vor zwei Jahren.

Herr Heilmann, was sagen Sie dazu? Und: Könnte es nicht auch sein, dass Manöver wie das grad von Herrn Lauer Genannte dazu führen, dass sich erst recht viele Leute am Volksentscheid über ein Berliner Stadtwerk beteiligen – der dann unter Umständen ein Ergebnis hervorbringt, mit dem Sie nicht zufrieden sein können?

TH: Da habe ich jetzt erstmal eine Frage: Veröffentlichen Sie das vor oder nach dem Volksentscheid?

Am Tag vor dem Volksentscheid. Warum?

TH: Man muss die Antwort ja auch dem Leser gegenüber aktuell halten. Sie dürfen auch gern schreiben, dass ich das gefragt habe.

Sehr gern.

CL: Also, meiner Meinung nach führt das dazu, dass die Leute noch mehr mobilisiert werden, weil sie das Gefühl haben, dass sie hier im Parlament grad verarscht werden. Und ich unterstelle der Öffentlichkeit eine Stimmung: Wenn wir verarscht werden, jetzt erst recht! Allein, dass es jetzt, wo im Parlament richtig Streit über dieses Manöver ist, Berichterstattung gibt, wird noch einmal mobilisieren.

TH: Natürlich führt Berichterstattung dazu, dass sich mehr Leute damit auseinandersetzen. Nun finde ich es aber völlig legitim, dass ein Parlament sagt: „Dass, was wir an einem Vorschlag sinnvoll finden, bringen wir auch selbst auf den Weg.“ Denn der Sinn eines Volksentscheids liegt ja nicht darin, isoliert ein Ergebnis zu erzielen, sondern Einfluss auf die politische Willensbildung auch zu nehmen. So hat zum Beispiel der Wasser-Volksentscheid nicht nur dazu geführt, dass Verträge offen gelegt wurden, sondern auch, dass neu über das Thema Wasser nachgedacht wurde.

Privat oder Staat?

Christopher Lauer von der Piratenpartei im Interview-Termin.
Christopher Lauer von der Piratenpartei im Interview-Termin.

© Thilo Rückeis

Was ist eigentlich Ihre Meinung zur großen Frage „Privat oder Staat“?

TH: Ich persönlich meine: Wir haben jetzt versucht, einen Flughafen zu verwirklichen, wo der Staat meinte: Das können wir selbst besser und billiger als die Privatwirtschaft! Das hat nicht geklappt. Und ich würde sagen, dass es für dieses Jahrzehnt mit derartigen Experimenten reicht! Jetzt machen wir kein neues Milliarden-Experiment, nur weil wir glauben, wir können das mit dem Netzentgelt alles viel besser.

Warum glauben Sie, dass dem nicht so ist?

TH: Bestimmte Risiken lassen sich schwer erklären, aber ich will es mal mit einem Beispiel versuchen: Wenn erneuerbare Energien immer billiger werden, dann wird irgendwann der Punkt kommen, wo eigene Energieerzeugung für Verbraucher so attraktiv ist, dass die Netze weniger genutzt werden. Das heißt auch, dass die Netzentgelte sinken werden. Aber für den, der das Netz bereitstellt, ist das ja ein Fixkostengeschäft, das wird verbuddelt und ist da. Darin liegen milliardenschwere Risiken, von denen ich nicht weiß, warum der Staat sie übernehmen soll. Genau das aber steht in diesem Volksentscheid drin. Deswegen halte ich ihn für falsch.

CL: Aber, Entschuldigung, wenn die Bankenkrise eins gezeigt hat, dann ja doch, dass private Risiken im Zweifel eh immer vom Staat übernommen werden. Stichwort „too big to fail“. Und andererseits: Wenn es so schlimm ist, das mit dem Stadtwerk zu machen, kann man sich ja durchaus fragen, warum sich auf die Ausschreibung nach dem Netz so viele Unternehmen beworben haben. Offensichtlich sind die ja der Meinung, dass sie damit Geld verdienen können.

TH: Man kann auch mit Flughafenbau Geld verdienen. Es ist nicht so, als ob das nicht geht!

CL: Und man kann schon bei Adam Smith nachlesen, dass es bestimmte Infrastrukturen gibt, wo es sich für die Allgemeinheit nicht lohnt, die zu privatisieren, wenn es keinen Anreiz gibt, sie anständig zu pflegen. Und Sie sehen das ja in Berlin, Sie sehen es in anderen Ländern, Sie sehen es in anderen Kommunen: Es gibt Kommunen, da funktioniert das wunderbar mit dem Stadtwerk, die verdienen richtig daran! Aber natürlich haben Sie auch recht: Es kann in der Zukunft noch technische Revolutionen geben, die die Welt so auf den Kopf stellen, dass sich bestimmte Dinge plötzlich weniger lohnen. Und wenn ein kommunales Stadtwerk nicht mehr das verdient, was es eigentlich verdienen müsste, dann muss man natürlich darüber reden. Aber wir können als Parlament ja erstmal nur Entscheidungen für einen näheren Zeitraum treffen. Und da erscheint uns Piraten zumindest ein eigenes Stadtwerk besser – insbesondere beim Punkt Daseinsvorsorge. Wir hatten das erst neulich im Innenausschuss – mit einer Studie der HTW: Was passiert, wenn in Berlin der Strom länger als 24 Stunden ausfällt? Dann steht diese Stadt auf dem Kopf.

TH: Allerdings!

CL: Und dass, was sie gerade als großes Problem beschrieben haben, die dezentrale Energieversorgung, wäre dann eigentlich genau die Lösung!

TH: Nein.

CL: Natürlich!

TH: Nein.

CL: O.k.?

TH: Sie haben meiner Meinung nach drei Argumente, die in Wahrheit genau umgekehrt sind. Das Erste ist: Sie sagen, die Banken sind gerettet worden…

CL: (zustimmend) Hmm.

TH: …das stimmt auch…

CL:  Hmm.

TH: …aber das wird deshalb mit den Netzen nicht passieren…

CL: …weil wir keinen Strom brauchen?

TH: Nein, Quatsch! Weil der Konkurs einer Netzgesellschaft nicht bedeutet, dass das Netz weg ist. Das ist ja ein physisches Ding. Dann geht die Gesellschaft in Konkurs, es übernimmt ein Insolvenzverwalter – und der wird den Betrieb natürlich weiterführen. Wenn der Flughafen in Schönefeld eine Privatgesellschaft wäre, wäre die mit ziemlicher Sicherheit heute insolvent. Deshalb wäre das Gebäude da draußen aber nicht weg, im schlimmsten Fall würde der Insolvenzverwalter es verkaufen, im schlimmsten Fall für einen Euro, und deshalb muss das kein Mensch retten! Das ist ein großer Unterschied zu Banken. Wenn Banken nicht mehr da sind, ist die Geldverteilungsfunktion weg. Die Bank muss da sein, weil die Geldverteilungsfunktion sonst weg ist. Das ist keine Rechtfertigung…

CL: Äh, Moment…

TH: Darf ich kurz zu Ende reden? Das ist nämlich sehr kompliziert, aber ich versuch es im Zusammenhang zu erklären: Deswegen ist es gerade anders am Flughafen und in den Netzen! Zweitens haben Sie sich auf Adam Smith berufen: Es ist eine ganz schwierige Frage, welche Daseinsvorsorge wirklich staatlich sein muss und welche nicht. Es gibt ganz viel Daseinsvorsorge, die privat ganz wunderbar funktioniert.

CL: Zum Beispiel?

TH: Krankenhausversorgung.

CL: Weil unser Gesundheitssystem so effizient und kostengünstig ist?

TH: Das Gesundheitssystem ist in den Ländern, wo es rein staatlich ist, nirgendwo besser als ein privates. Nirgendwo. Weder billiger, noch besser. Ich will das chinesische Gesundheitssystem, auch das aus den Großstädten, nicht haben. Da kann man natürlich drüber streiten. Aber ich glaube nicht, dass Politiker in oberster Instanz und die von ihnen angestellten Menschen ein Netzwerk besser managen können als private. Natürlich ist es so, dass man, das war ja Ihr zweites Argument, wenn man es gut managt, damit auch Geld verdienen kann. Ich sehe also überhaupt keinen Vorteil für die Berlinerinnen und Berliner durch ein öffentliches Stromnetz. Die Netzfrage ist so reguliert –da wird kein Kilowatt Ökostrom mehr durch Netze fließen, nur weil es staatlich ist. Bei der Herstellung kann ich das ja noch nachvollziehen: Wenn der Staat zehn Windräder mehr aufstellt, gibt es mehr Strom. Dafür brauche ich aber das Volksbegehren nicht. Das halte ich für falsch und ein Risiko und die, die da „Ja“ ankreuzen, müssen vielleicht irgendwann, analog zu Flughafen und Banken, die Rechnung bezahlen.

CL: Da muss ich jetzt aber noch einmal einhaken. Zuerst zu den Banken: Da stellen Sie ja sehr richtig fest und haben das ja dann auch problematisiert, dass die Banken viel zu viel mit virtuellen Gütern handeln. Aber wenn alle Banken und ihre Geldverteilungsfunktion weg gewesen wären, wäre der deutsche Mittelstand…

TH: Das wäre eine Katastrophe!

CL: Gut, aber der deutsche Mittelstand bekommt ja so oder so keine Kredite.

TH: Stimmt ja gar nicht! Ich bin deutscher Mittelstand, wie Sie vielleicht wissen.

CL: Ja, aber Sie haben auch die Sicherheiten, um an Kredite zu kommen.

TH: Welches Unternehmen von mir hat denn Sicherheiten?

CL: Aber Sie als Privatperson!

TH: Ich habe nicht privat gehaftet für die Kredite, die ich bekommen habe.

CL: Von wem haben Sie die bekommen?

TH: Von Banken.

CL: Zu welchen Konditionen?

TH: Naja, zu Libor plus irgendwas.

CL: Der Punkt ist an der Stelle: Man hätte die Banken auch verstaatlichen können – Island beispielsweise ist ja sehr gut damit gefahren.

TH: Man hätte in einigen Ländern ernsthaft überlegen müssen, ob man bestimmte Banken, wenn man sie rettet, dann nicht auch besitzen müsste. Die Amerikaner haben das ja in großen Teilen gemacht – in einem Verfahren, dass in Deutschland rechtsstaatlich nicht möglich wäre. Der Finanzminister hat sie eingeladen und gesagt: „Ihr kriegt jetzt jeder zehn Milliarden, ihr dürft auch gar nicht fragen, wieso, dafür gehört uns ein Großteil eurer Bank, Diskussion unerwünscht, Montag ist das Geschäft fertig!“

"Kommen Sie mir doch bitte nicht mit Rechtsstaat."

Thomas Heilmann während des Interview-Termins im AGH.
Thomas Heilmann während des Interview-Termins im AGH.

© Thilo Rückeis

CL: Aber beim Atomausstieg…

TH: Moment, so war das!

CL: Aber jetzt kommen Sie mir doch bitte nicht mit Rechtsstaat.

TH: Doch! Als Justizminister mit Vorliebe!

CL: Aber beim Atomausstieg hat doch auch niemanden interessiert, ob das Verfahren, dass die Bundesregierung da gewählt hat…

TH: Ohdoch! Da wird ja jetzt geklagt! Auf Milliarden Schadenersatz!

CL: …rechtsstaatlich war.

TH: Entschuldigen Sie mal bitte! Die klagen sowohl gegen die Brennelementesteuer und es laufen Verfahren, dass der ganze Vorgang nicht ordentlich gewesen sein soll. Das ist zwar alles mit „Vor Gericht und auf hoher See“…

CL: Das finde ich jetzt witzig, weil: Diese Risiken und dass das Verfahren nicht rechtsstaatlich war, das war ja alles vorher klar!

TH: Moment, das war rechtsstaatlich, nach meiner Auffassung.

CL: Na gut, nach Ihrer Auffassung. Aber bei der einen Sache machen Sie geltend, dass man das hier in Deutschland nicht machen könne, weil es irgendwie nicht rechtsstaatlich ist. Auf der anderen Seite handelt Deutschland ganz klar nicht rechtsstaatlich, siehe Atomausstieg.

TH: Sie sagen, der Atomausstieg sei nicht rechtsstaatlich gewesen?

CL: Ja, weil die Kanzlerin ein halbes Jahr nach einer Laufzeitverlängerung plötzlich umdreht…

Offen gesprochen: Das führt uns jetzt ein bisschen zu weit weg von dem, was wir vorhatten.

CL: Sie sehen: In zwei Jahren sind wir beide zu typischen Politikern mutiert.

Auf jeden Fall sind Sie sich nicht mehr ganz so nah, wie es vor zwei Jahren schien, dass Sie sich nah wären! Aber dafür sind wir jetzt mitten im Normalbetrieb, das finden wir auch gut, ebenso, dass Sie sich so leicht unterbrechen lassen.

TH: Echt?

Ja. Und können Sie uns denn pro Mann drei Erkenntnisse sagen, die für Sie diese vergangenen zwei Jahre Normalbetrieb kennzeichnen?

[Schweigen.]

Die Pause können wir rausschneiden.

CL: Erste Erkenntnis: Der Normalbetrieb interessiert die meisten Berlinerinnen und Berliner, so, wie ich das wahrnehme, nicht so sehr.

TH: Zustimmung.

CL: Zweite Erkenntnis: Der Normalbetrieb ist ein Normalbetrieb und viele Leute stellen sich den Job des Politikers glamouröser vor, als er dann tatsächlich ist.

TH: Stimme ich auch zu.

CL: Die dritte Erkenntnis ist, dass über die Probleme dieses Normalbetriebs zu wenig geredet wird.

Dass es die Leute nicht interessiert…

TH: Darf ich meine Erkenntnisse noch dazu sagen?

Wir bitten darum!

CL: Das war ja jetzt ein guter Trick! Sie stimmen meinen drei Erkenntnissen zu und bekommen dann noch drei extra. So wird man als kleinste Oppositionsfraktion in diesem Haus behandelt.

TH: Sie hätten ja mich zuerst antworten lassen können. Außerdem: Ich habe „Zustimmung“ gesagt, womit ich ja die Urheberschaft auch anerkannt habe. In meinem Selbstbild habe ich mich da fair benommen, aber das müssen andere beurteilen.

Wir dachten außerdem, das sei die Strategie der Piraten im Abgeordnetenhaus: Vorschläge machen, die dann von anderen übernommen werden!

CL: Ja, das passiert uns oft genug. Aber jetzt: Herr Heilmann, bitte!

TH: Ich finde, wir sollten uns die Frage, ob wir im Interesse der Bürger die richtigen Schwerpunkte diskutieren, ruhig öfter mal stellen.

Im Abgeordnetenhaus oder in der Welt?

TH: Sowohl im Abgeordnetenhaus als auch insgesamt im politischen Betrieb.

CL: Das war jetzt aber mehr als ein Satz!

TH: Treffer versenkt. Jetzt muss ich mir Mühe geben, die anderen Erkenntnisse je in einem Satz zu sagen. Gar nicht so einfach.

Semikolon hilft immer.

Deutschland hat eine Tradition des aufgeklärten Absolutismus.

Christopher Lauer von der Piratenpartei im Interview-Termin.
Christopher Lauer von der Piratenpartei im Interview-Termin.

© Thilo Rückeis

TH: Das, was ich im Normalbetrieb zweitens feststelle, ist, dass man zu extremem Themenhopping gezwungen ist…

CL: Ja.

TH: …und dass man Mühe hat, an Themen dranzubleiben. Die dritte Erkenntnis ist, dass es Erfolge in der Politik gibt, die man nur versteht, wenn man Teil des Politikbetriebs ist, weil sie aus meiner Sicht gar keine echten Erfolge sind.

CL: Ja.

TH: Wir haben eine Lösungsaufgabe für den Bürger, nämlich die Alltagsthemen, die es hier gibt, möglichst gut zu organisieren. Politik hat dann gewirkt, wenn sich für die Menschen etwas geändert hat – nicht, wenn sich für eine Gruppe von Politikern etwas geändert hat.

Herrn Lauer fehlt das Interesse der Bürger, Herr Heilmann fürchtet, selbige aus dem Auge zu verlieren. Woran liegt es, dass Sie als Volksvertreter sich immer solche Sorgen machen müssen, nicht den Sichtkontakt zum Volk zu verlieren?

CL: Das liegt einmal an der politischen Kultur, die wir insgesamt haben: Die Piraten fordern zum Beispiel ein Wahlrecht ab 0 beziehungsweise: ab dem Moment, da man sagen kann, dass man wählen möchte. Wir finden es bescheuert, dass man die ganze Schulzeit über gesagt bekommt: „Demokratie ist wichtig, Wählen ist wichtig!“ Und dann geht es erst ab 18 los. Da haben viele das Interesse schon wieder verloren. Wir haben keine Kultur, die wirklich nahe legt, dass man sich aktiv in politische Prozesse einbringen soll. Und dann ist es auch so, dass Leute in wirtschaftlich schwieriger Situation – und davon ist Berlin ja besonders betroffen – ein bisschen mit sich und der Welt abschließen, eh keine Erwartung mehr an die Politik haben. Ich habe neulich bei einem Vortrag mal das Wort Statusfatalität gehört: Man ist sich schon bewusst, in welcher Situation man lebt, erwartet aber auch nichts mehr von seiner Umwelt oder der Politik. Und dann gibt es viele Leute, und da mache ich niemandem einen Vorwurf draus, die so eine Einstellung haben: Geld kommt aus dem Automaten, Strom kommt aus der Steckdose und…

TH: …Politik aus dem Parlament.

CL: Ja. Wenn ich 40 oder 60 Stunden die Woche irgendeinen Scheißjob machen muss, habe ich keinen Bock, mich danach noch politisch zu informieren oder gar zu engagieren.

TH: Das sehe ich einen Schritt anders. Und zwar: Ich glaube, dass die Leute auf der einen Seite sehr zufrieden und auf der anderen Seite sehr unzufrieden sind. Sie sind mit dem Gesamtergebnis der Staatsleistungen durchaus zufrieden. Es gibt ja sehr viele Revolutionen auf der Welt, die immer dann kommen, wenn die Leute mit der Staatsleistung insgesamt nicht mehr zufrieden sind. Von so einem Klima sind wir in Deutschland ganz weit entfernt, was ja eine Form der Zufriedenheit ist.

CL: In der Tradition von Umstürzen steht Deutschland aber auch eh nicht.

TH: Naja, wir haben in Ostdeutschland eine friedliche Revolution gehabt, bei der die Leute unter hohem Risiko auf die Straße gegangen sind. Das sehe ich schlicht anders. Also: Es gibt keine grundsätzliche Unzufriedenheit.

CL: Wir haben in Deutschland aber auch eine Tradition des aufgeklärten Absolutismus: eine Staatsgewalt, die es immer verstanden hat, immer, wenn es ernst wird, Gesetze zu machen, die das Volk wieder beruhigen. Stichwort: die ganze Sozialgesetzgebung.

TH: Na, gut, dass sie’s machen.

CL: Ja, aber ich meinte nur, dass Deutschland nicht die Tradition hat wie Frankreich, dann auf die Barrikaden zu gehen.

TH: Das französische Modell funktioniert schlechter als das deutsche.

CL: Zweitens: Bei der Zufriedenheit muss ich Ihnen auch widersprechen. Es gibt eine Umfrage von Infratest dimap. 80 bis 90 Prozent der Befragten sagen da, sie halten Demokratie für die richtige Staatsform, aber nur knapp 50 Prozent sagen, dass sie die Demokratie, wie sie in Deutschland ist, für funktionierend halten. Das driftet zwischen Theorie und Praxis sehr weit auseinander.

"Es gibt eine Politikverdrossenheit"

Thomas Heilmann während des Interview-Termins im AGH.
Thomas Heilmann während des Interview-Termins im AGH.

© Thilo Rückeis

Herr Heilmann, sind die Menschen wirklich so unzufrieden?

TH: Es gibt sicher – nennen Sie es Politikverdrossenheit, nennen Sie es Fatalismus, nennen Sie es, wie Sie wollen – eine Unzufriedenheit mit Details des Politikbetriebs: weil man ihn nicht versteht, weil man Politiker nicht mag, weil man den Streit, der da zum Teil künstlich hochgezogen wird, nicht mag. Aber das nimmt man dann hin wie einen Fleck an der Wand und sagt dann: Es ist eben, wie es ist und für eine Revolution reicht mein Unmut bei weitem nicht. Deshalb werden auch so viele Regierungen in Deutschland – in Ländern wie im Bund – wieder gewählt. Ich finde, wir haben ganz viele Vorteile in unserer parlamentarischen Demokratie und im System der Gewaltenteilung – es wird immer vergessen, dass das ein ganz wesentliches Element der Zufriedenheit ist. Die Demokratie war, wenn sie das Gesamtergebnis unserer Gesellschaft sehen, zu ganz erstaunlichen Leistungen in der Lage und wird es wahrscheinlich auch bleiben. Aber es gibt Unzufriedenheit im Detail.

Bevor wir jetzt fragen, wie das besser werden kann, und sie uns verschiedene Rezepte von mehr Bürgerbeteiligung bis zu Anreizen für mehr Eigenverantwortung nennen, über die wir – auch in unserem Gespräch vor zwei Jahren – schon oft gesprochen haben: Gibt es nicht umgekehrt eine moralische Bürgerpflicht, sich zu interessieren, und für sich die Details der Unzufriedenheit so genau auszumachen, dass man auf sie als Bürger auch einwirken kann?

CL: Ja, natürlich gibt es die, aber wo sind denn die Angebote, die…

TH: Naja.

CL: Naja, es gibt schon eine Verpflichtung zu sagen: Ich interessiere mich für das, was um mich passiert.

TH: Bin ich ganz anderer Meinung. Wir haben ganz bewusst keine Wahlpflicht. Es ist ein Grundrecht in unserer Demokratie, sich nicht zu beteiligen.

CL: Sie reduzieren das. Es wurde ja gefragt – wie war es noch mal genau?

Ob es eine moralische Pflicht gibt, sich zu interessieren.

CL: Genau! Und sich für die Demokratie zu interessieren, ist ja etwas anderes, als zu sagen: Ich gehe zur Wahl! Das auf die Wahlpflicht zu reduzieren, bedeutet für mich schon, zu verfolgen, was in einem Parlament passiert, was in einem Parlament auf Landesebene passiert, was in Berlin auch in den Bezirksverordnetenversammlungen passiert. Da gibt es meiner Meinung nach schon eine Verpflichtung. Man muss jetzt nicht so hoch greifen, dass es da eine moralische Pflicht gibt, ich sage auch nicht, dass man ein schlechter Mensch ist, wenn man es nicht tut. Aber ich denke schon, dass es einem mündigen Bürger gut zu Gesicht steht, sich über das politische Geschehen zu informieren. Und wenn es nur ist, um zu sagen: War super, dass ich die CDU gewählt habe, denn die machen ja alles genau so, wie ich mir das vorgestellt habe.

TH (lacht): So was Vernünftiges habe ich lange nicht gehört.

CL: Und das Problem ist doch daneben, dass die Angebote, sein politisches Interesse zu artikulieren, nicht da sind – und dass es dann stattdessen in solchen Sachen kulminiert wie Stuttgart 21 oder den Leuten, die gegen den Flughafen sind, oder die Leute, die gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes sind. Das Interesse reibt sich immer an Großprojekten auf, weil die Leute sonst das Gefühl haben: Es gibt keine Angebote, an denen ich andocken kann. Die Mentalität ist eben immer noch: Es gibt doch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, es gibt doch ein parlamentarisches Dokumentationssystem des Abgeordnetenhauses, da steht’s doch auch in den Protokollen drin, es gibt noch dieses, es gibt noch jenes, es gibt noch solches. Das führt dazu, dass die Leute im Großen einfach abschalten.

TH: Also, ich habe ein sehr viel freiheitlicheres Menschenbild als Sie. Ich selber interessiere mich ja schon immer für Politik, ich finde es interessant – und ich freue mich darüber, wenn sich Menschen interessieren und engagieren. Aber ich finde, es gehört ausgesprochen dazu, sich nicht zu interessieren. Und die Frage von Interesse und Beteiligung werte ich ein bisschen anders: Alle vier Jahre einmal zur Wahl zu gehen, ist ja viel weniger, als sich zu interessieren. Das kostet mich vielleicht eine Stunde am Wahlsonntag, wenn ich mich interessiere, muss ich schon wesentlich mehr Zeit investieren, um überhaupt mitzukommen, um ein Interesse überhaupt ausprägen zu können. Ich finde es gut, wenn Menschen sich engagieren. Ich finde es auch gut – deshalb finde ich den Begriff Wutbürger auch doof –, wenn Leute sich nur sehr punktuell und sei es aus egoistischen Motiven interessieren. Auch das ist Teil unseres Systems, und gewollt. Aber: Na klar gibt es die negative Demokratiebeteiligungsfreiheit – kein schönes Wort, würde ich rausredigieren.

Wir nicht.

TH: Stimmt, ist ja gegen die Spielregeln. Aber, zum Schluss: Auch diese Freiheit würde ich immer verteidigen, so, wie man das Recht auf Meinungsäußerung eben auch verteidigt.

Herr Heilmann, um nun noch einmal zu den von Ihnen genannten drei Punkten zurückzukommen: Sie sprachen die Frage der Schwerpunktsetzung im politischen Alltag an. Um Sie beide noch einmal direkt aufeinander zu beziehen: Haben die Piraten das Agenda-Setting in der Berliner Politik positiv oder negativ verändert?

CL: Eine interessante Frage!

TH: Ich habe meine Aussage auf einer anderen Ebene gemeint. Meine Ebene war, dass ich selber in meinem Bereich davon abgelenkt bin, an den Themen dranzubleiben, von denen ich meine, die bringen auch was. Ich muss wahnsinnig viel Routine machen, von der ich das Gefühl habe: Es würde sich nichts ändern, wenn ich sie nicht machen müsste.

Dann bleibt dennoch der zweite Teil der Frage: Haben die Piraten die kollektive Themensetzung eher bereichert oder unnötig verwirrt?

TH: Die Piraten haben etwas gemacht, was sie vielleicht gar nicht wollten: Bürgern, die sich dafür interessieren, zu demonstrieren, wie schwierig es ist, Veränderungen hinzubekommen. Und wie komplex es ist und wie schwer das Handwerk eines Politikers ist. Ich habe großen Respekt vor den Berufspolitikern – ich selbst bin ja keiner. Und ich profitiere davon, dass ich von einer Fraktion getragen werde, die große Erfahrung hat. Wenn ich das alles mit meinesgleichen – neu und deswegen ahnungslos – hätte machen müssen, hätte ich sicherlich weniger politischen Erfolg haben können, als den, den ich jetzt habe. Insofern haben die Piraten vor allem eins gezeigt: Sie sind hochengagiert und mit vielen guten Vorsätzen in den Politikbetrieb gegangen und haben festgestellt: So einfach sind die Veränderungen nicht! Gleichzeitig haben sie natürlich einen Nachdenkensprozess bei den anderen Parteien hervorgerufen: Warum sind die stark geworden? Welches Bedürfnis bei den Bürgern haben wir nicht verstanden? Insofern ist die Erscheinungsform immer auch ein Einfluss auf die existierenden Parteien. Die Piraten bilden ein Stück Realität ab – und das ist natürlich gut so.

Merkels Muttikratie

Christopher Lauer von der Piratenpartei im Interview-Termin.
Christopher Lauer von der Piratenpartei im Interview-Termin.

© Thilo Rückeis

Warum sind die Piraten denn bei der Bundestagswahl untergegangen?  

TH: Aus zwei Gründen. Erstens: Die Tatsache, dass es bei den Koalitionsverhandlungen im Bund gerade ein Teilfeld „digitale Agenda“ gibt…

CL: [kichert]

TH: …zeigt ja, dass ein Teil ihrer Themen konsumiert wurde. Die Parteien haben nicht den Fehler gemacht wie damals beim Umweltschutz, die neuen Politiker als Störenfriede und das Thema als irrelevant darzustellen – ich übertreibe jetzt etwas. Darunter leiden die Piraten. Für den Teil können sie nichts. Das Zweite ist: Sie hatten in der ungeduldigen Medienlandschaft keine Zeit gehabt haben, sich zu professionalisieren. Das ist ihnen angekreidet worden.

Herr Lauer, richtige Analyse?

CL: Ich glaube, dass die Netzpolitik den geringsten Einfluss darauf hatte, wie diese Wahl für die Piraten ausgeht. Da würde ich durchaus die Kritik äußern, dass etwa der Abschlussbericht der Bundestags-Enquetekommission zu Internet und digitaler Gesellschaft kaum zur Kenntnis genommen wurde. Das hat auch damit zu tun, dass das Thema in der Mitte der anderen Parteien eben noch nicht angekommen ist. Das Andere ist die fehlende Professionalisierung, und da gebe ich Herrn Heilmann vollkommen Recht. Das ist sicher etwas, woran wir gescheitert sind, ich mahne das ja an, seit ich Mitglied in dieser Partei geworden bin: dass wir uns professionalisieren müssen.

Herr Lauer, warum funktioniert, während die Piraten nach dem Hype in schwere Wasser geraten sind, auf der anderen Seite des Spektrums Angela Merkels Muttikratie so konstant gut, beziehungsweise: immer besser?

CL: Da gibt es ja schon Abhandlungen drüber, wie sie es geschafft hat, sich durch das Herauszögern von Entscheidungen eine Machtposition zu erarbeiten. Und anscheinend kommt niemand um sie herum. Und nebenbei macht sie ja auch keine konservative Politik mehr. Die CDU wird auch zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass sie sozialdemokratische Politik macht, wenn sie einen Mindestlohn einführt, der nicht Mindestlohn heißt. Aber Merkel funktioniert halt. Und, das habe ich ja in der Vergangenheit schon gesagt: Das Beeindruckende an der CDU finde ich, dass Machtpolitik zuerst kommt und man den ganzen Laden darauf ausrichtet, dass man selbst erstmal Kanzler und Ministerpräsidenten stellt. Und was dann am Ende des Tages passiert, wird abgewartet – und dann erst guckt man, wie viel noch von den programmatischen Kernforderungen umzusetzen ist. Wenn die CDU im Bundestagswahlkampf einen Sigmar Gabriel gehabt hätte, der der Spitzenkandidatin permanent in die Parade fährt, hätten die auch nicht das Ergebnis gehabt. Es war ja ein Trauerspiel, bei den Sozialdemokraten zu beobachten, wie die Partei nicht hinter dem Kandidaten steht. Wie das bei Angela Merkel und der CDU dagegen funktioniert, ist an der Stelle bemerkenswert. Wir sehen es ja auch jetzt an der NSA-Geschichte: Wochenlang ist es überhaupt kein Thema, dann wird das Handy der Kanzlerin abgehört, und bumm: Riesenskandal! Das finde ich im Übrigen auch von Seiten der Medien etwas komisch.

TH: Das stimmt doch gar nicht.

Wenn wir das über unsere Feedbackkanäle – etwa darüber, was auf unserer Homepage wie oft geklickt wird – richtig mitbekommen haben, hat es auch viele Leute gar nicht so ausdauernd interessiert, ob da jetzt ihre E-Mails gespeichert werden…

CL: Weil es ein abstraktes Thema ist und den Menschen die Dimension nicht klar wird! Wenn man den Leuten erklären würde, dass es theoretisch möglich ist, deiner Ehefrau die SMS zuzuspielen, die du deiner Geliebten geschickt hast, dann wird das vielleicht konkreter.

TH: Das findet die Ehefrau vielleicht sogar gut!

So viel Fantasie braucht man dafür eigentlich gar nicht.

TH: Nee, braucht man auch nicht.

CL: Nee, braucht man wirklich nicht. Aber offensichtlich ist auch das noch zu abstrakt. Und: Eine Kanzlerin, die sagt „Wer nichts zu verbergen hat, dem passiert nichts“, hilft da auch nicht wirklich weiter. Und auch, dass dann immer nebulös darauf verwiesen wird, dass durch die NSA-Überwachung so und so viele Terroranschläge verhindert werden konnten, versucht natürlich, die Menschen in eine Richtung zu lenken.

So, wie Sie das schildern, hätte Unmut eigentlich ganz einfach geweckt werden müssen, schon während des Wahlkampfs, im Sommer. Wenn man fies wäre, könnte man fragen: Zeigt sich da nicht eklatantes Piratenversagen?

CL: Das ist jetzt natürlich eine mediale Perfidie, würde ich sagen…

So nach dem Motto: Erst nicht drüber berichten, dann darüber nörgeln? Schweine!

CL: Naja…

TH: Natürlich hat es jede Menge Berichterstattung gegeben.

CL: Ja, natürlich hat es jede Menge Berichterstattung gegeben. Aber der Punkt bei den Piraten war ja nun mal so: Man hätte ja von Seiten der Medien mal sagen können: „Ah, da ist ja diese Partei, die seit 2006 vor der ganzen Datensammelei warnt. Fragen wir die mal!“ Aber zum Zeitpunkt der Enthüllungen hatten wir, auch durch eigenes Verschulden, schon so viel Deppenkredit verspielt, dass die Piraten zumindest von der medialen Öffentlichkeit nicht mehr ernst genommen worden sind. Sie haben vorhin über diesen Hype gesprochen, ich kann mich ja auch noch dran erinnern: Als wir 2012 bei zehn bis 12 Prozent in den Umfragen standen, wurde ich wegen jedem Scheiß angerufen. Herr Lauer, was sagen Sie zu Herrn Wulff? Herr Lauer, was sagen Sie dazu, dass Herr Döring von der FDP vor den demokratiefeindlichen Horden aus dem Internet warnt? Herr Lauer, in Bischkek ist jetzt auch noch ein Sack Reis umgefallen, wie stehen die Piraten dazu? Das war alles neu, das war alles aufregend, und das war natürlich auch toll für die Medien: die alten Parteien von ein paar nassforschen Heinis, die zu ganz vielen Dingen sagten „Haben wir noch keinen Beschluss zu“, foppen zu lassen. Und dann hat ein Beleuchtungswechsel stattgefunden.

Wann hat der stattgefunden?

CL: Nach der NRW-Wahl, im Frühjahr 2012. Und da hätten bei uns die Alarmglocken angehen müssen: Wenn eine Partei, die in bundesweiten Umfragen bei 15 Prozent gehandelt wird, da nur 7,8 Prozent realisieren kann: Sind wir dann nicht ein bisschen überbewertet? Aber anstatt, dass wir schnell darauf reagieren, hat sich erstmal der neue Bundesvorstand zu ein paar Chancen, die er hatte, etwas suboptimal verhalten, sage ich mal.

Nur der Bundesvorstand?

CL: Ich habe auch dazu beigetragen, in dem Moment, in dem ich Johannes Ponader geschrieben habe, dass er gefälligst zurücktreten soll, weil ich nicht geahnt habe, dass er so doof ist und solche SMS veröffentlicht. Das heißt aber im Ganzen, dass man die Piraten ganz schnell nicht mehr ernst genommen hat. Und in der NSA-Affäre hieß das dann: Erst wurde zwei oder drei Wochen alles, was von den Piraten an Pressemitteilungen und Aktionen gekommen ist, weitgehend ignoriert. Und dann wurde gefragt: Herr Lauer, warum profitieren die Piraten eigentlich nicht von der NSA-Affäre?

TH: Es sind jetzt aber nicht die Medien an allem schuld!

Zwischen Nichtstun und Kriegserklärung gibt es noch einen Unterschied!"

Thomas Heilmann während des Interview-Termins im AGH.
Thomas Heilmann während des Interview-Termins im AGH.

© Thilo Rückeis

Dass wir klassischen Medien im digitalen Wandel noch so viel Macht haben – toll!

CL: Halt, Moment: Für Sie, Herr Heilmann, ist es jetzt natürlich total einfach, sich hinzustellen und zu sagen: Die Medien sind nicht schuld! Zumal ich das ja gar nicht gesagt habe.

TH: Wer ist denn schuld?

CL: Ich habe doch mehrfach gesagt, dass sich die Piratenpartei ab einem gewissen Punkt öffentlich so präsentiert hat, dass die Berichterstatter nicht bereit waren, weiter Welpenschutz zu gewähren. Ich sage nur, dass man die Piraten dann in der NSA-Affäre inhaltlich hätte ganz anders ernst nehmen können. Und dann kann sich jeder Journalist fragen: Warum haben wir das so gemacht und nicht anders?

Wir kommen mal zurück zu unserer Ausgangsfrage – dem Erfolgsmodell „Muttikratie“…

TH: Ich mag diesen Begriff nicht.

CL: Ich find den auch nicht gut. Frau Merkel macht einen Job und muss nicht dafür noch durch den Kakao gezogen werden.

TH: Frau Merkel hat einen sehr unaufgeregten Stil, den die Leute mögen – und sie hat auch extrem viel Erfolg. Darum geht’s doch für den Bürger. Angefangen von Verschuldungszahlen über Haushaltsausgleich über gesunkene Arbeitslosigkeit bis zum Verhindern, dass die Euro-Krise nach Deutschland überschwappt, der Versuch, einen gesellschaftlichen Konsens zu erzielen etc… Und wenn jemand Erfolge produziert, ist da ja nichts Schlechtes bei. Wenn mein Arzt meiner Gesundheit gut tut und ich seinen Stil mag, warum soll ich ihn dann wechseln?

Beim Thema NSA würden nun sicher viele anzweifeln, dass sie unserer Gesundheit gut tut.

TH: Für mich ist das genau der gleiche, unaufgeregte Stil, mit dem sie auch in der Euro-Krise eine Hysterie verhindert hat. Beim Thema NSA gibt es ja einen ganz simplen Grund, kein Riesenfass aufzumachen. Der simple Grund ist: Die Lösungskompetenz fehlt – den Piraten ebenso wie allen anderen Parteien. Was wollen wir denn genau gegen Herrn Obama machen? Wollen wir ihm den Krieg erklären? Das ist doch absurd!

CL: Aber Entschuldigung, zwischen Nichtstun und einer Kriegserklärung ist ja noch ein Unterschied.

TH: Sie hat nicht nichts getan.

Naja, sie hat die Affäre von Ronald Pofalla für beendet erklären lassen.

TH: Naja, Herr Pofalla hat eine ungeschickte Äußerung gemacht, das mag sein. Aber im Kern ist es ja nicht so, dass wir nichts tun. Aber dagegen, dass Herr Obama Frau Merkels Handy abhören lässt, gibt es ein bisschen Diplomatie, aber kein wirksames Mittel. Wir kümmern uns um die Datenschutzgrundverordnung, das haben wir im Übrigen auch schon im Wahlkampf getan. Das zweite ist das große Thema Big Data – und da unterscheiden wir uns letztlich auch von den Piraten: Denn so, wie wir Polizisten auf die Straße stellen, um den öffentlichen Raum zu überwachen, werden wir letztlich auch technische Überwachung brauchen, weil es in der Gesellschaft Kriminelle gibt, auch im Internet. Das Wichtige ist aber, dass Recht und Gesetz, die mit neuen Entwicklungen natürlich immer nachjustiert werden müssen, eingehalten werden. Alles Andere wäre der Anfang vom Ende des Rechtsstaats, und das können wir nicht dulden. Schon gar nicht dulden könnten wir das, wenn es deutsche Institutionen täten. Aber das Hauptproblem ist ja, dass ausländische Geheimdienste deutsche Gesetze verletzen.

CL: Aber, Entschuldigung…

TH: Nee, Moment: Damit müssen wir uns auseinandersetzen – und da müssen wir Überzeugungsarbeit leisten, und das will die Union auch. Ich würde Ihrer Kritik zustimmen: Das hätten wir noch etwas klüger und deutlicher sagen können. Aber im Kern war das die Aussage – und auch deshalb hat das Thema nicht verfangen.

CL: Nee, also…

TH: Es hat wirklich nicht an medialer Berichterstattung gefehlt. Die NSA hat jetzt wahrscheinlich 95 Prozent Bekanntheit in der Bevölkerung. Von daher finde ich es eine ziemliche Wählerbeschimpfung zu sagen: Du hast es zur Kenntnis genommen, aber deine Entscheidung falsch.

CL: Nee, also, ich muss Sie jetzt loben, aber auch… nee, Moment, eigentlich muss ich Sie nur loben: Erstens hat man an Ihrer Aussage zu Frau Merkel wunderbar gesehen, was ich vorhin beschrieben habe. Dieser ganze Verein steht bedingungslos hinter der Kanzlerin!

TH: Aus Überzeugung, nicht aus Taktik.

CL: Ja, gut, aber die Frage bleibt doch: Was ist Wirkung, was ist Ursache, und was verwechselt man manchmal miteinander?

TH: Was ist die Ursache an meiner Überzeugung? Das verstehe ich nicht!

CL: Egal, das Großartige an einem CDU-Senator oder Minister ist jedenfalls, dass er, wenn er halbwegs bei Verstand ist, nie etwas gegen die Etage drüber sagen wird. Ich muss ihnen aber auch entschieden widersprechen: Natürlich hätte die Bundesregierung mehr tun können, vielleicht weniger in Bezug auf die NSA, aber auf Großbritannien, das ja laut Edward Snowden ein ähnliches Bespitzelungsprogramm hat, hätte man über die EU doch durchaus Druck ausüben können. 

TH: Was hätte Sie denn machen sollen? Den Rücktritt von Cameron fordern?

CL: Es gibt doch Verfahren, mit denen die EU Verstöße gegen geltendes Recht zum Beispiel in Deutschland ahnden kann.

TH: Welche denn? Nein, die gibt’s nicht!

CL: Es gibt ja wohl Verträge in der EU – und dann gibt es auch Vertragsverletzungsverfahren.

TH: Dass das rechtswidrig ist, bestreite ich nicht. Die Frage ist nur: Welche Verfahren stehen einem zur Verfügung, mit denen eine deutsche Bundeskanzlerin eine britische Regierung rechtlich zwingen kann, das abzustellen? Das Verfahren ist mir unbekannt.

CL: Das ist die Perfidie an dieser Geschichte, dass man dann immer sagt: Was hätten wir denn machen können?

TH: Das ist keine Perfidie, das ist – und da bin ich ja sogar ihrer Meinung – die traurige Wahrheit.

CL: Ja, aber diese traurige Wahrheit wurde so nie kommuniziert. Es wurde gesagt: Es gibt ein Grundrecht auf Sicherheit, das war Innenminister Friedrich. Die Bundesregierung kann nicht die Sicherheit der Daten garantieren, sagt aber, es gebe ein Super-Grundrecht auf Sicherheit. Dann wird gesagt, diese Überwachung ist irgendwie notwendig. Und was man natürlich hätte machen können, und das haben Sie im Grunde genommen gerade vorgeschlagen: sich hinsetzen und sagen: „Das ist der Geist, den wir gerufen haben! Wenn überwacht wird, dann passiert halt so was! Leute, kommt klar damit, wir machen eh nichts dagegen!“ Stattdessen sieht man erst jetzt, wo das Handy der Kanzlerin abgehört wurde, dass es ja sehr wohl so was wie eine Aktivität gibt. Einbestellung des Botschafters, Infragestellung diverser Abkommen: Natürlich gibt es Möglichkeiten, wie Deutschland als Mitglied der EU auf solche Sachen reagieren kann! Herr Mascolo, EX-Chefredakteur des „Spiegels“, hat jetzt schon mehrfach gefordert, dass das europäische Parlament einen Untersuchungsausschuss wie damals bei Echelon[3] einrichtet. Der geriet dann ja leider in Vergessenheit…

TH: Dann hat er ja irre viel gebracht.

CL: Sehen Sie: Jetzt machen Sie sich auch noch als Teil der Exekutive über die Legislative lustig!

TH: Herr Lauer, wir können ja gern über einen Untersuchungsausschuss reden. Wir haben ja auch einen für den Flughafen Berlin. Aber: Der Flughafen kommt deshalb trotzdem nicht so richtig voran. Ich habe nichts gegen Untersuchungsausschüsse, aber das ist kein Mittel, irgendwas kurzfristig abzustellen.

CL: Dann nennen Sie mir doch taugliche Mittel, das kurzfristig abzustellen.

TH: Es gibt keine!

CL: In der Deutlichkeit hat das Ihre Partei im Wahlkampf nie gesagt.

TH: Doch

CL: Nein!

TH: O.k., den Punkt stecke ich noch ein: Wir hätten das besser erklären müssen, da bin ich auch mit meiner eigenen Partei unzufrieden. Aber im Kern ist es nun mal so, dass es unfassbare Zustände sind, die wir nicht tolerieren dürfen, für deren Abstellung wir aber nicht viel mehr machen können als werben. Und wenn man genauer hinguckt, führen die einzelnen Forderungen auch oft zu nichts. Zum Beispiel die nach Abschaffung der Fluggastdatenspeicherung für Flüge nach Amerika. Die führt ja dazu, dass ich schneller durch die Passkontrolle komme. Vor diesem Abkommen habe ich oft in New York am JFK, obschon in einer höheren Flugkategorie fliegend, zwei Stunden an diesem Scheiß-Check-In-Schalter gestanden.

CL: Und jetzt sagen Sie: Für zwei Stunden weniger bei der Einreise übermitteln wir alle Fluggastdaten an die USA?

TH: Wenn ich einreise, haben die meine Daten eh! Insofern ist das einfach nur praktisch.

CL: Dann können wir auch sagen: „Es ist praktisch, in allen Wohnungen Kameras und Mikrofone einzurichten und alles aufzuzeichnen.“

TH: Das ist doch reine Polemik!

CL: Nein, was Sie sagen, ist total zynisch!

TH: Nein, Sie wollen in Ihrem Beispiel zusätzliche Daten aufnehmen, und ich sage, die USA bekommt die Daten in dem Moment, in dem sie einreisen, sowieso. Es geht nur darum, ob sie die drei Stunden eher oder später haben. Wenn sie das nicht wollen, können sie eben nicht in die USA reisen. Aber das ist letztlich nichts, wo der deutsche Staat grundlegend etwas ändern kann.

Krypto-Party bei der CDU Steglitz-Zehlendorf

Wir fürchten, eine längere Diskussion über das Für und Wider jedes Datenabkommens führt an dieser Stelle zu weit. Daher hier mal die ganz lebenspraktische Frage: Hat sich bei Ihnen beiden durch die NSA-Enthüllungen etwas beim Umgang mit digitaler Kommunikation geändert?

TH: Da fange ich mal ausnahmsweise an…

Naja, ausnahmsweise…

TH: Also, erstens ist mir bewusst geworden, welche technischen Dimensionen und Möglichkeiten es heute gibt. Und die gibt es ja nicht nur bei der NSA und bei den Briten, sondern leider auch bei den Chinesen, bei denen ich ein noch unguteres Gefühl habe. Da gibt es nur keinen Herrn Snowden, der das verraten hat – in Amerika gibt es wenigstens nochmal eine freie Presse und eine Diskussion dazu – sicher nicht befriedigend, aber immerhin!

CL: In Großbritannien wird gegen die freie Presse durchaus vorgegangen, mit Worten, aber auch mit Bohrmaschinen, Schwingschleifern und einer Flex.

TH: Was da beim „Guardian“ passiert ist, ist ein in Deutschland überhaupt nicht vorstellbarer Vorgang.

CL: Wir sprachen ja auch grad nicht von Deutschland.

TH: Ich habe ja auch nicht gesagt, dass es da gut ist, ganz im Gegenteil. Aber es gibt wenigstens einen „Guardian“ und…

CL: Wissen Sie, der Punkt ist…

TH: Lassen Sie mich doch mal ausreden, ich habe Sie auch ausreden lassen. Also, zurück zu meinem persönlichen Verhalten: Ich habe das Ganze zum Anlass genommen, mir mal bewusster zu werden über die Frage, wo überall meine Daten auch technisch gefährdet sind. Dabei stellen Sie schnell fest, dass es nicht nur Geheimdienste sind, die sich für meine Daten interessieren, sondern auch Kriminelle. Und ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie gefährlich offene W-Lans sind, wenn ich darüber zum Beispiel meine Bankgeschäfte mache.

Und weiter?

TH: Ich habe meinem persönlichen Umfeld Tipps gegeben, als CDU Steglitz-Zehlendorf haben wir auch sehr gut besuchte öffentliche Veranstaltungen gemacht, wo wir den Bürgern gesagt haben, was Sie in Ihrem Bereich tun können, insbesondere, um ihre sensiblen Daten besser schützen zu können. So was nennen die Piraten ja Krypto-Party.

Krypto-Party bei der CDU Steglitz-Zehlendorf. Wahnsinn!

TH: Die hieß so nicht, hatte wahrscheinlich auch eine andere Atmosphäre, aber: Doch! Kurz und gut: Das hat schon zu einem Bewusstseinswandel ganz praktisch geführt – und wird wahrscheinlich auch weiter zu einer Sensibilisierung des gesamten Politikbetriebs führen.

 

Noch mal ganz platt gefragt: Ihre Konsequenz aus der NSA-Affäre ist, dass Sie kein Online-Banking mehr machen?

TH: Ich habe nie mobiles Online-Banking gemacht – und das kann man den Leuten auch nicht empfehlen.

Und was machen Sie sonst anders?

TH: Natürlich geht es darum, wie viele Verschlüsselungstechnologien man benutzt. Aber: Ich bin nicht sehr ängstlich, was meine politischen Informationen angeht – alles, was interessant ist, steht sowieso in der Zeitung, da steht in meinen Emails auch nichts Interessanteres. Aber insbesondere bei finanzrelevanten Themen, bin ich sehr vorsichtig geworden.

Und Sie, Herr Lauer?

CL: Ich habe mein Verhalten tatsächlich nicht besonders verändert, wobei ich so was wie Bankgeschäfte in einem offenen W-Lan noch nie gemacht habe. Bei allem anderen muss man eben bedenken, dass die ganze Verschlüsselung von Dokumenten nichts bringt, sobald ein Dienst in der Lage ist, dir direkt beim Tippen auf dem eigenen Rechner zuzuschauen. Und so sehr ich diese Krypto-Partys geschätzt habe, die wir im Wahlkampf veranstaltet haben, und so sehr ich der Meinung bin, dass das vernünftig ist, insbesondere Journalisten beizubringen, wie man Emails ordentlich verschlüsselt: Solange Information an der Quelle abgefangen wird, bringen auch verschlüsselte Mails nichts. Dazu bin ich aber eben der Meinung, dass es auch politisch angebracht ist, darauf anders zu reagieren. Wenn wir in Berlin eine hohe Zahl von Wohnungseinbrüchen haben, können wir sagen: Wir kaufen uns alle bessere Schlösser und sind noch wachsamer. Aber ich will ja in einer offenen und freien Welt leben. Und deshalb ist es eben das politische Ziel der Piraten, diesen ganzen Überwachungswahnsinn abzuschaffen.

TH: Und genau das werden Sie nie schaffen. Es ist viel zu attraktiv – wirtschaftlich und sicherheitspolitisch. Gerade für Kriminelle ein Eldorado: weit weg vom Tatort, wenig Spuren, ich kann Millionen erbeuten und mir die Tatwerkzeuge auch noch anonym im Netz runterladen. Das wird immer Leute anziehen.

CL: Ja, aber ich rede hier doch nicht über irgendwelche Chinesen, die auf irgendwelchen Servern Sachen installieren, damit sie beim Online-Poker betrügen können. Mir geht es um Staaten, die Wirtschaftsspionage betreiben.

TH: Das gibt es leider.

CL: Ja, das wird von den USA gemacht…

TH: …von China auch!

CL: Wissen Sie was: Ich war ein Jahr in China – und wissen Sie, was ich da sehr angenehm fand? Es ist allen Leuten klar, dass sie in einer Diktatur leben, dass sie überwacht werden…

TH: Das soll ein Vorteil sein?

CL: Ja, ich sage Ihnen auch, warum: Die Regierung und die Offiziellen versuchen gar nicht erst, den Eindruck zu erwecken, es würde alles mit rechten Dingen zugehen. Und wenn sie es tun, glaubt es ihnen eh keiner. Was den westlichen Überwachungsapparat angeht: Da haben die Piraten seit Jahren drauf hingewiesen. Daraufhin wurden wir als Verschwörungstheoretiker ausgelacht. Nun sind unsere kühnsten Vorstellungen übertroffen. Und ich finde es zynisch zu sagen: Die Spionage, die da stattfindet, diese systematische Gesetzesübertretung, ist in Ordnung, weil es Freunde sind.

TH: Sagt doch keiner.

CL: Ja, aber Herr Heilmann: Einerseits ist da immer dieses „Man kann ja eh nichts tun“ – und gleichzeitig ist da dieses „Ja, aber in den Händen von Russland und China ist das alles ganz, ganz schlimm“. Die USA füttern mit den Daten, die die NSA sammelt, auch Drohnen, die losgeschickt werden, um Leute zu exekutieren.

TH: Ich finde, Sie schütten das Kind mit dem Bade aus. Wir haben in Deutschland einen funktionierenden Rechtsstaat. Zu sagen, Angela Merkel hätte in der NSA-Affäre entschlossener auftreten sollen: Kann man vertreten, aber es ist ja nicht rechtsstaatwidrig, das nicht zu tun. Was die USA machen, finde ich nicht rechtsstaatlich und auch nicht richtig, aber ich finde China noch einmal schlimmer. Beides auf eine Stufe zu stellen, finde ich nicht richtig. China ist eine Diktatur, die USA sind es zum Glück nicht. Und eines muss man zur amerikanischen Gesellschaft auch noch mal dazusagen: Die haben, was die Offenheit privater Daten angeht, ein ganz anderes Verständnis als wir. Dass da der Staat die Parteipräferenzen der Bürger speichert und auch weitergibt – völlig normal! Das wollen die da so!

CL: Jetzt zünden Sie aber eine Nebelkerze: Natürlich waren die Amerikaner darüber empört, dass amerikanische Geheimdienste auch Amerikanerinnen und Amerikaner überwachen. Und ich sage ja auch nicht, dass die Volksrepublik China ein tolles Land ist und ich da gern meinen Hauptwohnsitz hätte…

TH: Da bin ich erleichtert!

CL: …aber da sind wenigstens die Fronten klar.

TH: Das wird den Leuten, die da hingerichtet werden, aber gefallen.

CL: Ich sage das nur, weil sie immer wieder auf den Rechtsstaat abzielen. Denn es gibt ja auch für das, was die NSA da macht, Rechtsgrundlagen. Da gibt es ein Gesetz, da gibt es ein Geheimgericht, da kann die NSA dann hingehen. Vor diesem Gericht können nur die NSA und der Präsident sprechen, die Entschlüsse werden nicht veröffentlicht, keiner weiß, was dieses Gericht macht, das ist aber alles total rechtsstaatlich! Da kann man nun natürlich sagen: Das entspricht nicht dem, wie wir uns einen Rechtsstaat vorstellen. Aber die in ihrem System sagen, dass ist mit Recht und Ordnung gelaufen.

TH: Und was folgt jetzt daraus?

Ist Snowden ein moderner Held?

CL: Daraus folgt, dass es eine politische Auseinandersetzung geben muss, wo man sagt: Wollen wir das, also Überwachung, oder wollen wir das nicht? Und die Piraten sagen, wir wollen das nicht, und sie sagen: Wir wollen das, weil es so schlimme Cyberterroristen gibt.

TH: Sie machen einen Schnellschluss: Wir wollen das nicht, was die Amerikaner machen. Punkt. Ohne jede Einschränkung. Wir versuchen, da langfristig etwas ändern, weil es kurzfristig nicht geht. Was wir in Deutschland tun, ist aber etwas ganz Anderes. Und da wehre ich mich gegen jede Verallgemeinerung.

Mal eine ganz andere Frage zu diesem Thema: Haben Sie beide Konsens darüber, dass man Edward Snowden als einen modernen Helden bezeichnen kann?

TH: Er ist mit Sicherheit mutig. Ein Held ist er nur dann, wenn das, was er sagt, auch wirklich stimmt. Ed Snowden wird ja als dem Generalzeugen völlig unkritisch unterstellt, dass er ausschließlich die Wahrheit sagt. Das kann so sein – das weiß ich aber nicht. Das wird die Geschichte erweisen. Ob jemand ein Held ist oder nicht, ist ja meistens erst in der Rückschau zu beurteilen. Unterstellen wir mal für eine Sekunde – was ich nicht behaupten will, weil ich es nicht behaupten kann – die Hälfte von dem, was er sagt, seischlicht erfunden. Dann würde ich ihn sicher nicht als Helden bezeichnen. Und seine Vorwürfe sind so massiv, dass ich jedenfalls nicht von vornherein ausschließen kann, dass es auch Dinge gibt, die da nicht stimmen. Aber das weiß ich jetzt eben nicht.

CL: Ich finde das Wort Held aus irgendeinem Grund problematisch. Aber ich finde es natürlich schon sehr großartig, dass Edward Snowden die Zivilcourage gehabt hat, um sich sein eigenes Leben komplett zu ruinieren. Wenn man sich mal ansieht, was mit Whistleblowern passiert, wird deren Leben dadurch eher erschwert, als dass sie sich davon irgendetwas kaufen können. Ich finde es großartig, dass er diese Zivilcourage besessen hat, denn ich bin fest davon überzeugt: Wenn es mehr Leute wie Edward Snowden gäbe, könnten nicht so viele Schweinereien passieren, wie sie passieren, ohne dass die Öffentlichkeit, ohne das Parlamente das kontrollieren können. Bei „Held“ muss ich aber immer an Superhelden oder so denken.

Also kein Held?

CL: Im Rahmen der Messgenauigkeit würde ich schon sagen, dass es zumindest heldenhaft war, was er getan hat. An der Stelle muss ich auch noch sagen, dass ich das grad rhetorisch affengeil fand. Herr Heilmann, nun muss ich Sie aber doch noch mal loben, für diese zwei oder dreifache Relativierung: dass Sie es nicht sagen können, weil Sie es nicht wissen und auch nicht sagen würden – und dann aber gesagt haben, was Sie nicht sagen können, weil Sie es nicht wissen und nicht sagen würden. Nämlich dass Herr Snowden für den Fall, dass er dort Dinge erfindet, dann doch kein Held ist. Ich glaube erst mal, dass das, was er da behauptet, weitestgehend so stimmt. Und ich kann mir durchaus lustigere Dinge vorstellen, als wochenlang im Transitbereich eines Moskauer Flughafens…

TH: Das heißt nur, dass er mit Grund ausgestiegen ist aus dem System. Unterstellen wir mal für eine Sekunde, es stimme nur die Hälfte. Das Geschäftsmodell ist: Medien zahlen Honorare für die Informationen. Wenn nur die Hälfte stimmt, hat er nur die Hälfte im Koffer...

CL: Entschuldigung, das finde ich jetzt tatsächlich ein bisschen frech. Natürlich bezahlen Journalisten wahrscheinlich gut solche Informationen. Ich glaube, wer noch besser bezahlt, sind die schon erwähnten Regierungen in Russland, in China oder sonstwo. Denen gebe ich einfach diese Festplatten, die geben mir eine Summe x und kann dann schön in diesen Ländern irgendwo in der Walachei wohnen, ohne dass ich irgendwelche Probleme habe. Diesem Mann jetzt Profitsucht…

TH: Das habe ich nicht gesagt!

CL: Doch. Sie haben gesagt, er würde diese Sachen verkaufen, weil er sich davon einen finanziellen Vorteil…

TH: Das habe ich nicht gesagt. Was ich gesagt habe, war: Es gibt durchaus plausible Szenarien, bei denen es nicht oder nur teilweise stimmen kann. Ich habe schlicht keine Ahnung, welche Szenarien stimmen. Aber ich wundere mich, mit welcher Überzeugung Sie sagen, es kann nur alles stimmen, was er sagt. Auch dafür gibt es einfach viel zu wenig Anhaltspunkte.

CL: Dann muss sich Frau Merkel ja keine Gedanken machen.

TH: Klar könnte es sein, dass vieles stimmt.

Können wir nach dem Neuland-Komplex noch mal im Abgeordnetenhaus landen. Vor zwei Jahren, Herr Lauer, sprachen Sie über Professionalität und sagten, Sie seien „notgedrungen unprofessionell“. Hat sich das gewandelt? Worin besteht im Politikertum, im Abgeordnetensein, Professionalität?

CL: Ich verstehe die Frage nicht…

 

Fühlen Sie sich jetzt professionell, professioneller als 2011 – und was ist Professionalität mit der Rückschau von zwei Jahren Erfahrung?

TH: Darf ich Ihnen helfen, mit einem Kompliment?

CL: Ja!

TH: Die Piraten sind als Abgeordnetenhausfraktion deutlich professioneller geworden, sie kennen die Abläufe. Und um noch etwas Positives zu sagen: Sie haben eine – leider nur gelegentlich aufscheinende – Ehrlichkeit. Mir ist es im Rechtsausschuss schon vorgekommen, dass Piraten mich angegriffen und eine Frage gestellt und hinterher gesagt haben: Sie haben mich überzeugt, es stimmt. Das würde man über andere Parteien nicht sagen. Aber die interne Willensbildung der Piraten – das hat nichts mit den Abläufen im Parlament zu tun – ist hochgradig unprofessionell, nach meiner Beobachtung.

CL: Da gebe ich Ihnen sofort Recht.

TH: Dann gibt es noch eine Geschmackssache. Ich finde, gelegentlich sind die Piraten so übersteigert in ihrer Rhetorik. Da habe ich das Gefühl: Mit weniger würden Sie mehr erreichen. Aber das ist ja Ihre Sache.

Das war jetzt ein Kompliment, Herr Lauer!

CL: Ich weiß. Es zeichnet ja zumindest Herrn Heilmann aus, dass er in der Lage ist, über den Schatten seiner Partei hinweg zu springen und auch mal eine Oppositionsfraktion zu loben. Wir haben uns immerhin insofern professionalisiert, dass wir in den parlamentarischen Abläufen drin sind und wissen, welche Hebel wir ziehen müssen, um etwas zu bewegen. So haben auch unsere Forderungen Einzug gehalten in das, was die Koalition später beantragt hat. Aber im Großen und Ganzen ist noch Professionalisierungsbedarf da, wenn es um die Außenkommunikation geht. Ich habe meine Twitteraktivität nahezu eingestellt. Das gehört für mich zur Professionalisierung dazu. Der nächste große Schritt für die Fraktion wäre, sich zu überlegen: Wie kann man gewissen Einzelaktivitäten, die in manchen Ausschüssen ganz gut laufen, so ausdehnen, dass diese Fraktion so etwas wie ein Gesamtkonzept abliefert. Das bedarf einer innerparteilichen Abstimmung, die es im Moment in der Form nicht gibt.

Noch was?

CL: Was ich ein bisschen schade finde und auch bei mir selber bemerkt habe: Man wird viel vorsichtiger, man passt seine Sprache an. Man wird wahnsinnig domestiziert. Meine Reden direkt nach der Wahl hatten oft mehr jugendlichen Furor als jetzt. Jetzt sieht man: die Rede eines Politikers. Das hat seine Vorteile, weil man damit ein öffentlich-mediales System bedienen kann. Aber es hat auch Nachteile, weil man sich davon entfernt, was Leute bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 an den Piraten so attraktiv fanden: Dieses Ungeschliffene, dass ein Abgeordneter der Piraten im Plenum auch mal „Scheiße“ sagt oder „Ich hab’ keine Ahnung“ oder „Das werden viele viele Millionen Euro Schulden sein“.

 

Hat das auch etwas mit dem sinnvollen Einteilen von Energieressourcen zu tun – dass man nicht immer gleich die Riesenbambule will?

CL. Es geht um Skandalvermeidung. Es geht immer darum, sich Gedanken zu machen: Wie könnte Handeln so verwendet werden, dass die Fraktion oder die Partei diskreditiert wird? Die Neuigkeit ist ja nicht: Die Piraten können Anträge einreichen oder eine Rede halten. Die Neuigkeit ist: Pirat XY hat den und den beleidigt. Pirat XY hat sich da und dort daneben benommen. Das führt dann natürlich dazu, dass man insgesamt vorsichtiger wird. Dann kann man auch eher verstehen, warum Spitzenpolitiker in anderen Parteien so vorsichtig sind, wie sie sind, und so schwurbelig sind, wie sie sind. Das hat man beim Bundestagswahlkampf gesehen. Angela Merkel mit ihrem ruhigen Stil bietet wenig Angriffsfläche – und hat dadurch überhaupt die Möglichkeit, in diesem Amt zu sein, wo sie Dinge bewegen kann. Peer Steinbrück, den ich für einen sehr intelligenten Politiker halte, der sagt: Ich sag’s halt einfach geradeaus – der wurde dafür bestraft. Das ist ein Paradox in der Öffentlichkeit: dass man auf der einen Seite sagt, ja, wir wollen doch Politiker, die mal sagen wie es ist und sich verhalten wie Menschen – und man aber gleichzeitig dafür bestraft wird, wenn man sich so verhält.

"Ich bin Teil eines Wettbewerbssystems."

Vielleicht war Peer Steinbrücks Problem auch eher – das konnte man jedenfalls in der Diskussion um das Stinkefinger-Foto öfter mal hören -, dass er nicht ganz bei sich war. Dass er eine bestimmt Rolle ausfüllen musste: die des Helmut-Schmidt-Redivivus.

TH: Ich glaube, Steinbrück hat den Deutschen keine Alternative geboten, die glaubwürdig war. Das fing an mit dem „Mit wem will er eigentlich regieren?“ Wenn ich die Positionierung habe „klare Kante, ehrlich sagen…“ und stehe in den Umfrage bei 33 Prozent und sage auf die Frage, was machen Sie denn, wenn es so kommt, wie in den Umfragen sagen: „Wissen Sie, ich bin im Wahlkampf und ich glaube fest an Rot-Grün“ – dann lüge ich doch. Wenn man da keine ehrliche Antwort findet, ist man unglaubwürdig. Der Punkt ist: Was ist das für ein Angebot, das ich da kriege? Steinbrück konnte sich als Kanzler gar nicht positionieren, weil klar war, dass er keine Mehrheit kriegt. Was kriege ich eigentlich, wenn ich SPD wähle? Das war den Leuten nicht klar.

CL: Aber es ging doch um die Frage, wie man sich als Politiker anpasst. Ich würde mir schon mehr wünschen, dass man als Politiker auch mal den Stinkefinger zeigt und auch einfach mal sagt: Ja, da haben die irgendwelche Clowns gewählt. Was ich beschreiben wollte, war nicht das strategische Problem der SPD – dass sie immer noch nicht in der Lage ist, mit der Linken zu koalieren -, sondern dass ich einfach sage: Es gibt da widerstrebende Interessen. Die Öffentlichkeit wünscht sich Politiker, die geradeaus sind, bekommt dann aber…

TH: Warum ist denn Frau Merkel nicht geradeaus? Man kann ihr ja manches vorwerfen, aber geradeaus ist sie doch total.

A propos geradeaus: Wir müssen jetzt mal geradeaus zum Ende kommen. Und da fehlt natürlich noch der Blick in die Zukunft. Verschwenden Sie schon Gedanken daran, was in drei Jahren ist, wenn in Berlin wieder gewählt wird?

CL: Natürlich verschwende ich Gedanken daran! Weil ich der Meinung bin, dass die Piraten sich auf eine Art und Weise in den nächsten Jahren profilieren müssen, dass wir den Wiedereinzug schaffen.

TH: Und da glauben Sie dran?

CL: Also, im Wahlkampf waren wir in Berlin bei elf Prozent!

TH: „Ich glaube fest an Rot-Grün!“

CL: Nee, nicht „ich glaube fest an Rot-Grün“. Sie müssen sich in Erinnerung rufen: Ich bin Mitglied dieser Partei seit 2009. Ich habe mehr Wahlniederlagen der Piratenpartei erlebt als Wahlerfolge. Ich habe erlebt, dass wir 2009 abgeschrieben worden sind, dass wir 2010 abgeschrieben worden sind, dass wir 2011 vor der Abgeordnetenhauswahl abgeschrieben worden sind und dass wir jetzt abgeschrieben werden, nachdem wir den Einzug in den Bundestag nicht geschafft haben. Das heißt: Ich befinde mich wieder im normalen Zustand der öffentlichen Wahrnehmung meiner Partei. Und ich bin fest überzeugt, dass es uns gelingen kann, 2016 den Wiedereinzug ins Berliner Abgeordnetenhaus zu schaffen.

Würden Sie, Herr Heilmann, sich manchmal stärkere Piraten wünschen?

TH: Sie stellen kuriose Fragen. Ich bin Teil eines Wettbewerbssystems.

Naja, vielleicht würde man sich als Netzaffiner in der CDU ja auch im Wettbewerb lieber einen netzaffinen Mitbewerber wünschen, der stark ist, als einen, der kränkelt.

TH: Das ist mir jetzt zu taktisch. Ich bin ja aus Überzeugung ein internetnaher Mensch, beruflich wie persönlich. Mir jetzt die Stärke eines politischen Konkurrenten zu wünschen, damit ich besser vorkomme, ist mir ehrlich gesagt zu taktisch und zu kompliziert. Ich will meinen Job gut machen. Dann sehen wir 2016 weiter.

Herr Lauer, ganz zum Schluss: Wie finden Sie eigentlich den Bello-Dialog? Ist das die Zukunft der Bürger-Beteiligung?

CL: Ich bin nicht Hundebesitzer und auch nicht tierschutzpolitischer Sprecher und auch nicht Mitglied des Rechtsausschusses. Ich weiß gar nicht: wo haben sie denn das behandelt?

TH: Das ist noch nicht zu Ende behandelt. Im Kern ist es so: Wir haben eine vorgeschaltete Bürgerbeteiligung gemacht. Da haben Leute ihre Wünsche geäußert, wie Hundebesitzer und Nicht-Hundebesitzer in der Stadt besser zusammenleben können. Wir arbeiten jetzt daran, ob und in welchem Umfang wir Bürgerwünsche auch erfüllen. Da bin ich jetzt im Dialog mit den Bezirken und anderen Senatsverwaltungen. Und parallel wird bei mir im Haus am Gesetz geschrieben. Dann kann ich mit einem Ergebnis kommen…

CL: Sagen wir mal so: Ohne das genaue Ergebnis und den Ablauf zu kennen, finde ich es gut, wenn so etwas probiert wird. Wenn ich etwas in diesen zwei Jahren gelernt habe, dann, dass sich Politik in extrem kleinen Trippelschritten bewegt.

Eine perfekt politische Antwort, Herr Lauer. Wir sind wieder auf dem Berliner Bürgersteig angekommen, wieder beim Konsens. Alles gut, vielen Dank.

Das Gespräch führten Johannes Schneider und Werner van Bebber.

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