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Chauffeur schreibt mit. Seit gut einem Jahr notiert Sascha Bors in seinem Blog „Gestern Nacht im Taxi“, was er während seiner Fahrten erlebt. Foto: dapd/Maja Hitij

© dapd

Berlin: Leben fürs Fahrtenbuch

Sascha Bors bringt Menschen durch Berliner Nächte – und nutzt das Taxi als Vehikel für seine literarischen Ambitionen. Seine Leser findet er im Internet

Die Fahrgäste sind entweder „betrunken“, „desorientiert“ oder „zahlungsunfähig“, die Kollegen „angenehm“ oder „Arschlöcher“ , die Verkehrsteilnehmer lassen sich als „Kuppler“, „Läufer“ oder „Strampler“ kategorisieren. Willkommen in Berlins wichtigstem Taxiblog GNiT (Gestern Nacht im Taxi), erschaffen von Sash, einem Schwaben mit Plattenbauwohnsitz Marzahn. Dort zu wohnen, ist übrigens „gar nicht so schlimm“.

Blogger sind Schreibteufel, die alles verworten, was im Alltag so vorbeizieht. Sash misst zwei Meter, ein Riese von sanftem, fast scheuem Wesen, augenscheinlich eher unsportlich, aber ungeheuer neugierig. Wenn sich abzeichnet, dass ein Gast zur Kategorie zahlungsunfähig gehört, freut sich Sash schon auf die Ausreden oder schamlosen Kompensationsangebote. Hinterher schreibt er alles auf, was sonst niemand mitbekommen würde. Und das interessiert immer mehr Leser, rund 1500 klicken sich am Tag auf seine Internetseite, schätzt Sash, der im richtigen Leben Sascha Bors heißt.

Das Taxi ist vor allem Vehikel für seine literarischen Ambitionen. Ein Opel Zafira, Gangschaltung, Erdgasbetrieb, absolut uncool, aber Sash sagt, er sei „relativ anspruchslos“ im Leben und im Auto. Deshalb genügt ihm auch Marzahn, da könne er tagsüber superruhig schlafen. In Prenzlauer Berg ginge das nicht.

Sein „Alltime-Favorit“ im Blog ist der Typ, den er mal am Watergate aufgabelte, ziemlich angeschickert. „Köpenicker Straße“, ist seinen Sprechversuchen zu entnehmen. Ach nee, denkt Sash, nicht um die Ecke. Da quatscht der Kunde was von Biesdorf, und Sash bricht freudig zu einer langen Fahrt durch die schlafende Stadt auf. In Biesdorf sagt der Typ: „Gar nix los hier“, er habe nur mal gucken wollen und bittet um die Heimfahrt in die Köpenicker Straße, Kreuzberg.

Oft sind es außergewöhnlich belanglose Erlebnisse, die Sash mit Assoziationen oder einer Prise Philosophie zusammenrührt. Da wird ein Fahrrad ungelenk in den Zafira gestopft oder Hund „Egon“ samt Halterin und Hundehandtasche befördert. Dialoge sind ihm wichtig, Wortwitz und kleine Pointen. Prominentenstorys oder Mithörprotokolle telefonierender Politikern sind bei ihm selten. Das liefern eher tagaktive Taxiblogger.

Sash gibt zu, dass es ihm ein wenig an Ehrgeiz und Zielorientierung mangelt. In der Schule gehörte er leistungsmäßig eher zum hinteren Drittel. Nach dem Abitur machte er Zivildienst bei der Behindertenbeförderung und blieb in dem Job hängen. Als seine Freundin, Berlinerin, auf einen Umzug drängte, zog er mit ihr in den Osten. Für Niedriglohnempfänger sei Berlin ohnehin geeigneter als Stuttgart, sagt er.

Seit er 14 ist, schreibt er seine Erfahrungen auf, erst im Tagebuch, dann im persönlichen Blog. Sash möchte langfristig vom Schreiben leben können. Bis jetzt liefern die Anzeigen auf seiner Seite und Kleinstspenden seiner Fans nur einen zweistelligen Monatsbetrag.

Das Taxifahren ersetze ihm einen Teil des Soziallebens, sagt Sash. Die Nächte zwischen Freitag und Sonntag verbringt er regelmäßig im Zafira. Selbst mit den Betrunkenen kann Sash sich amüsieren, solange sie früh genug ankündigen, wenn der Mageninhalt in Bewegung kommt. Er sei sehr tolerant, sagt Sash. Sash ist der Typ Schwabe, den sich ein Berliner nur wünschen kann. Thomas Loy

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