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Berlin: „Leben ist das Ziel, nicht vegetieren“ Linda (22) und Helix (27) Punker

Was sie haben: Linda: 345 Euro Hartz IV - 55 Euro Schuldenabbuchungen für Strom. Helix: 345 Euro Hartz IV.

Was sie haben: Linda: 345 Euro Hartz IV - 55 Euro Schuldenabbuchungen für Strom. Helix: 345 Euro Hartz IV. Er zahlt 60 Euro Untermiete „bei seiner Lady“.

Was sie daraus machen: Beide holen ihren Hauptschulabschluss nach. Das Geld geben sie aus für „Rauchen, saufen, Kumpels in anderen Städten besuchen“. Und für Schulbücher.

Was sie wollen: Linda: Realschule und eine Ausbildung zur Arzthelferin. Helix: Jura studieren und Anwalt werden.

Linda lächelt. Es ist ein verhaltenes Lächeln. Ein Lächeln, das die Zähne nicht zeigt. Sie lächelt mit den Augen. Ihren Blick überschattet allenfalls eine der blaugeflochtenen Haarsträhnen, die nach vorne springen.

Linda lebt mit ihrem „Schatzi“ und den Mischlingen Aufstand, Smoky, Grasovska in einem Zimmer im Hinterhof. Früher hat sie auf der Straße geschlafen, ist von Stadt zu Stadt gezogen, hat sich durchgeschnorrt. In Ingolstadt war nicht viel zu holen bei ihren Eltern und den zehn Geschwistern. Vor fünf Jahren kam sie dann nach Berlin. Von der Unterschicht-Debatte hat sie nichts gehört. Sicher, etwas mehr Geld könne sie gebrauchen, aber richtig arm, so fühle sie sich nicht. Sie hat „Schatzi“ und ihre Kumpels. Die einen sind gekommen zum Trinken, haben einen Kasten Bier mitgebracht. Die anderen zum Haarefärben: „Schatzi“ hantiert mit einer Aldi-Eisschale randvoll mit blauer Pampe, einer Rolle Toilettenpapier, Pinsel und Bebe-Lotion.

Er präpariert die Kumpels, damit sie gut aussehen für das Punkkonzert. „Sonst krieg ich keine Lady“, erklärt Helix und lässt wissen: „Kommt von Helium – leicht entflammbar“. Mal schläft er auf der Straße, mal in Kellern, dann wieder bei einer „Lady“. Man trinkt sich in Stimmung: Sternburg Export, Grasovska, Noce Liquori. Dazwischen randvolle Aschenbecher, leere Chipstüten, Fernbedienung – und ein Ponds Schulwörterbuch Englisch – Deutsch. Linda holt den Hauptschulabschluss nach. Sie hatte „einfach eines Tages Bock darauf“. Und dann hat sie angefangen. Und abgeschlossen: Mathe Zwei, Deutsch Drei. Aber darüber redet sie nicht viel. Auch nicht über die Realschule, die Ausbildung zur Arzthelferin, die folgen soll.

Helix stellt die Flasche ab, der biertrunkene Blick festigt sich: „Bildung ist alles, einfach alles. Wer richtig im Dreck gelandet ist, der weiß, wo er hin will.“ Und Helix war richtig im Dreck. Aber das geht niemanden etwas an, ist nicht gut für den Lebenslauf. Dieses Jahr holt er seinen Abschluss nach. Und dann geht es weiter: „Ich will Jura studieren. Die rausholen, die zu Unrecht inhaftiert sind. Nicht mehr vegetieren, leben, das ist das Ziel“

Linda ist aufgedreht, sorgt sich um den Fleck auf ihrer Hose. Zweifel? Zukunftsangst? „Wenn etwas schief geht, dann geht es schief. Und dann geht es auch wieder weiter.“ Zum ersten Mal vergisst sie dabei, die Lippen aufeinanderzupressen.

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