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Lebenserwartung: Wer arm ist, stirbt früher

Frauen, so heißt es, leben länger. Doch jetzt holen die Männer auf. Lang lebt aber nur, wer den richtigen Kiez wählt.

Sieben Jahre länger leben als der Durchschnitt aller Berliner? Wer im Südwesten der Stadt wohnt, weder raucht noch trinkt sowie durch einen gesunden Lebenswandel „vermeidbaren Todesursachen“ vorbeugt, kann das schaffen. Männer sind dabei Frauen gegenüber klar im Vorteil: Denn wenn Männer erst einmal ein hohes Alter erreicht haben, dann sind sie viel seltener auf die Hilfe und Pflege anderer angewiesen als Frauen. Das ist eines der Ergebnisse des neuen Berliner Gesundheitsberichts, der die Lebenserwartung und die demografische Entwicklung in der Stadt in den Blick nimmt.

Die gute Nachricht: Die Berliner leben immer länger. Die Lebenserwartung aller Bewohner in der Stadt stieg zwischen den Jahren 1990 und 2007 um rund fünf Jahre. Überraschend aber ist ein Blick auf die Unterschiede bei den Geschlechtern: Vom Zugewinn an Lebensjahren, den der Verfasser des Berichts, Gerhard Meinlschmidt, sowohl mit Fortschritten der Medizin als auch mit einem gesünderen Lebenswandel erklärt, profitierten Männer in dieser Zeit (plus 6,1 Jahre) stärker als Frauen (4,8 Jahre).

Gründe dafür, dass die Männer bei der Lebenserwartung deutlich aufholen, haben die Wissenschaftler im Gesundheitsbericht nicht vermerkt. Der Wandel der Arbeitswelt und der geschlechtsspezifischen Rollen im Alltag könnte aber eine Erklärung geben: Immer weniger Männer müssen in ihren Jobs hart körperlich arbeiten. Dagegen machen Frauen immer häufiger Karriere und müssen außerdem noch für Haushalt und Kinder sorgen – das erhöht die Belastung und beeinträchtigt die Gesundheit.

Sicher ist, dass die längere Lebenserwartung vor allem darauf zurückzuführen ist, dass weniger Menschen „vorzeitig sterben“. Denn Säuglinge sind in Berlin bereits so gut versorgt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Kindstodes äußerst gering ist. Zwischen drei und vier Säuglinge von 1000 Neugeborenen sterben. „Das ist weniger als im Bundesdurchschnitt“, sagt Meinlschmidt.

Auch einen Blick in die Zukunft haben die Forscher gewagt. Demnach wird die Berliner Bevölkerung bis zum Jahr 2030 geringfügig schrumpfen: um 49 000 Einwohner auf 3,4 Millionen insgesamt. Während sich bei der Gesamtzahl der Bewohner wenig tut, kommt es zu dramatischen Veränderungen bei den Altersgruppen: „Stark überproportional nimmt die Zahl der 80- bis 95-jährigen sowie der noch älteren Berliner zu“, sagt Meinlschmidt. Von dieser Entwicklung besonders betroffen ist Marzahn-Hellersdorf, wo die Einwohnerschaft von allen Bezirken am schnellsten altert.

Weil die Berliner älter werden, sind sie auch verstärkt auf Hilfe oder Pflege angewiesen: Heute benötigen 95 000 Berlinerinnen und Berliner pflegerische Betreuung. Bis zum Jahr 2030 wird sich die Zahl auf 170 000 nahezu verdoppeln. Für den Berliner Landeshaushalt hat das schwer wiegende Folgen: Sogar bei der wohlwollenden, aber wenig realistischen Annahme, dass die Kosten für die Pflege alter Menschen bis 2030 nicht steigen, erhöhen sich die finanziellen Aufwendungen für den Berliner Landeshaushalt um 200 Millionen Euro. Dabei sind darin nur die Extrakosten für die Pflege von Sozialhilfeempfängern enthalten, die in voller Höhe den Landeshaushalt belasten.

„Die Lebenserwartung nimmt zwar zu, es sind aber nicht unbedingt immer nur gute Jahre“, sagte Carola Gold von der Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung. Wer älter wird, braucht oft Pflege. Fast 70 Prozent aller über 95-jährigen Frauen sind „Pflegefälle“, dagegen nur etwa 40 Prozent der Männer. Bemerkenswert ist hier: Männer, die den 95. Geburtstag hinter sich haben, brauchen weniger Pflege als ihre zehn Jahre jüngeren Geschlechtsgenossen. Bei Frauen gibt es diesen Effekt nicht unter den „Langlebigen“, wie die Statistiker die über 95-Jährigen nennen.

Laut Carola Gold müsse es das Ziel sein, nicht nur länger zu leben, sondern dabei auch gesund zu bleiben. Gefährdet sei die Gesundheit nach dem Ausscheiden aus dem Beruf, weil dann ein Teil des Alltags und der sozialen Bezüge am Arbeitsplatz verloren gingen. Gesund bleibe, wer das durch Kontakte im Freundeskreis ausgleichen kann. Spaziergänge und Ausflüge, Bewegung im Allgemeinen, seien wichtig. Weil viele ältere Berliner Angst haben zu stürzen, will der Senat mit sogenannten „Spaziergeh-Paten“ aushelfen.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte schon vor drei Jahren vor der drohenden Spaltung der Gesellschaft angesichts des demografischen Wandels gewarnt und eine vorausschauende Politik angekündigt. Senatssprecher Günter Kolodziej sagte am Freitag auf Anfrage, der demografische Wandel „steht auf der Agenda des Senats“. Dass die einzelnen Fachverwaltungen jeweils eigene Ergebnisse vorlegten, widerspreche dieser Linie nicht. Landeseigene Gesellschaften planten „Mehrgenerationenhäuser“, es gebe Concierge- Dienste in Siedlungen mit vielen älteren Menschen. Und der Öffentliche Personennahverkehr werde barrierefrei ausgebaut. Außerdem seien spezielle Anlaufstellen für Senioren in den Bezirken geplant.

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