zum Hauptinhalt
Beatrice Leißering hat Kuchen immer geliebt. Nun hat die ehemalige Steuerberaterin ein Café in Westend eröffnet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Lebenstraum in Berlin: Kuchenbacken statt Steuerrecht

Nichts als Steuerrecht? Langweilig! Beatrice Leißering hat Kuchen immer geliebt. Nun hat die Steuerberaterin ein Café in Westend eröffnet.

Nach dem Abitur wollte Beatrice Leißering eigentlich Kostümbildnerin werden, aber die Wartezeiten auf einen Studienplatz waren lang. Also hörte sie auf den Rat des Vater, die Zwischenzeit mit „was Vernünftigem“ zu überbrücken. Erst mit 40 Jahren beschloss sie, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben und auch mal „was Schönes" zu machen.

Ursprünglich hatte sie angenommen, dass sie ein Buch schreiben würde, um ihre kreative Seite auszuleben. Aber dann besann sie sich auf eine frühe Leidenschaft und eröffnete ein Café. Kuchenbacken war ihre große Passion als Kind. Und als Teenager kannte die gebürtige Berlinerin aus Lichtenrade keine größere Sorge als die, ob die Entenbrust, die sie den Eltern zum Weihnachtsmahl servieren wollte, auch kross genug geraten war.

Eine Aktenmappe trägt sie noch unterm Arm, als sie zum verabredeten Zeitpunkt aus der Kanzlei ins „My Cottage“ kommt, eine hoch gewachsene Karrierefrau, kurzer blonder Pferdeschwanz, kompetenter Gesichtsausdruck, weiße Bluse, beiger Blazer. Verfahrensrecht, Betriebsprüfungen, das ist die trockene Welt, aus der sie kommt und die immer noch ihren Alltag bestimmt. Aber nun steht das Wochenende vor der Tür, da taucht sie ein in ihre neue Welt der schönen Süßigkeiten und feinen Delikatessen.

In der Vitrine im Eingang locken Himbeer- und Blaubeertartes, Käsemohnkuchen, Brownies und Karotten-Frischkäsekuchen. Am leckersten ist die Donauwelle mit tiefdunklem Schokoladenguss und saftigen Kirschen innen drin. „Das Rezept ist von meiner Mama“, sagt Beatrice Leißering stolz und strahlt geradezu mädchenhaft.

Um die Ecke steht ein Weinregal mit ausgewählten Weinen und Birnensekt. Im Hintergrund stapeln sich exotische Teesorten, handgerührte Marmeladen, die lustige Namen wie „Morgenmuffel“ tragen, feine Schokoladen und Gewürze. Davor steht eine Theke mit Bio-Eiern, exklusiven Käse- und Wurstsorten und anderen Feinkostartikeln.

„Früher war hier ein Tante-Emma-Laden drin“, sagt Beatrice Leißering. In die Haeseler Straße hat sie sich verliebt, weil sie auf dem Heimweg von der Kanzlei an der Deutschen Oper zu ihrer Wohnung in Westend immer da durchfuhr, vorbei an schönen, denkmalgeschützten Altbauten zu beiden Seiten. Hier wollte sie ihren Traum verwirklichen.

Früher ging's zu „Möhring“ und heute an den eigenen Traum-Ort.

In Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz ließ sie neue Fenster einbauen und das ganze Ladenlokal sanieren. Schubladen und Regale muten ein bisschen an wie ein alter Kaufmannsladen. Die hat sie nach eigenen Vorstellungen bauen lassen. „Ja, ich hatte ein Puppenhaus früher und habe es geliebt“, sagt die stolze Designerin. Zwischen Regalen und Ausziehtischen stehen zwei hübsche, beige karierte Ohrensessel mit Herzkissen, und auf den Tischen liegen rot-weiß gewürfelte Tischläufer mit der Aufschrift „Home sweet Home“. Die Uhr ist aus einer französischen Epicerie, die alten Kuchenformen kommen von einem befreundeten Antiquitätenhändler. Doch, sie hat all die hübschen Accessoires selbst zusammengesammelt auf ihren Reisen. Auf Streifzügen durch Italien und Frankreich hat sie Anbieter von besonderen Delikatessen gefunden. Die Marmeladen kommen aber von einem deutschen Ehepaar, das ständig auf dem Land unterwegs ist, um die besten Früchte zu finden. „Handwerklich, ländlich, ehrlich“, so lautet das Kaffeehausprogramm der Steuerfachfrau. „Ja, es sei alles etwas teurer geworden als ursprünglich veranschlagt“, gibt sie zu. Aber trotzdem stimmten die Bücher, weil eben alles solide durchkalkuliert ist. Ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse seien Gold wert, gibt sie zu. Daran hapert es oft bei Neugründungen.

Als sie damals an der Fachhochschule begann, sich dem Thema Steuerrecht zu nähern, war sie selber überrascht. „Das lag mir, ich kann nämlich ganz strukturiert denken“, sagt sie selbstbewusst. In der Kanzlei war sie auch vor dem 40. Geburtstag nebenbei schon für die schönen Dinge zuständig, für das Ambiente mit Licht und Glas, dafür dass die Klienten sich wie Gäste fühlen durften und auch ordentlich bewirtet wurden.

„Es war nicht so, dass ich nicht genug zu tun gehabt hätte“, sagt sie. „Im Gegenteil.“ Seit der Eröffnung hat Beatrice Leißering eine Siebentagewoche, denn das Café ist jeden Tag geöffnet, und am Wochenende macht die Chefin selbst den Großeinkauf und hilft schon mal im Service oder beim Auspreisen der Ware. In der Nachbarschaft wurde „My Cottage“ gleich gut aufgenommen. Das Kerngeschäft sind die Kuchen, dafür gewann sie Jörg Zacharias, der als Patissier auch schon im Adlon gearbeitet hatte. Sie genießt die Zusammenarbeit mit dem Konditor, dem sie einfach erklären kann, was sie sich vorstellt. Dann experimentiert der eine Weile, und am Ende schmecken die Kuchen wie früher zu Hause. Viele Nachbarn schätzen aber auch das Frühstück mit Farmerbrötchen, französischem Joghurt und Schinken.

Ihr Mann Roland Bensch leitet die Weinabende, die zweimal im Monat stattfinden und immer von einer bestimmten Region handeln. Im wirklichen Leben ist er Ingenieur, aber im Cottage scheint die ganze Familie eine Berufung gefunden zu haben. Beatrice Leißerings 15-Jähriger Sohn feierte kurz vor der Eröffnung seine Konfirmation in dem Café. Da waren auch die Eltern der Chefin dabei, die aus Berlin weggezogen sind. „Natürlich haben Eltern immer Angst, dass man sich überfordert und zu viel macht“, sagt sie. Aber sie will ja Strukturen schaffen, damit sie spätestens übernächstes Jahr wieder freie Wochenenden hat und auch mal nur zum Kaffeetrinken hierher kommen kann. Sonntags nach dem Spaziergang Kaffee trinken zu gehen, das gehört zu ihren Lebensritualen. Früher ging's zu „Möhring“ und heute an den eigenen Traum-Ort. Zum Erfolgsgeheimnis gehört vielleicht auch, dass der nicht nur Arbeit für sie bedeutet: „Ich genieße den Laden auch.“

My Cottage, Haeseler Straße 20, Westend, www.my-cottage.de

Zur Startseite