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Berlin: Lehrer wehren sich gegen altersgemischtes Lernen

Massive Proteste aus mehreren Bezirken

Kurz vor Weihnachten ist ein lange schwelender Konflikt in den Grundschulen ausgebrochen: Aus mehreren Bezirken kommen jetzt Forderungen an Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), die vom Schulgesetz vorgeschriebene Jahrgangsmischung nur auf freiwilliger Basis einzuführen. Damit steht ein Herzstück der Grundschulreform zur Disposition.

Die jüngste Gegenwehr kommt aus Neukölln. Dort haben 31 der 39 Grundschulen jeweils intern über die Jahrgangsmischung abgestimmt. Im Ergebnis waren 28 mehrheitlich gegen die verpflichtende Einführung. Dies ergab eine Umfrage der Neuköllner GEW. Im Februar sollen auf einer öffentlichen Veranstaltung alle Bedenken vorgetragen werden.

In einem offenen Brief an Zöllner begründet die Personalversammlung der Neuköllner Lehrer ihre Haltung. Dort heißt es, dass zum einen die personellen und räumlichen Voraussetzungen nicht ausreichten, um das anspruchsvolle Konzept umzusetzen. Zudem seien viele Schüler mit der Jahrgangsmischung überfordert, da sie „zu einem erheblichen Teil mit schwerwiegenden sprachlichen und motorischen Defiziten und wenig entwickelter Sozialkompetenz“ belastet seien.

Die besonderen Probleme dieser Kinder sieht auch Erhard Laube von der GEW-Schulleitervereinigung. Als früherer GEW-Vorsitzender hat er zwar mit durchgesetzt, dass in Berlin ein Modellversuch zur Jahrgangsmischung begonnen wurde. Dennoch mahnt er zur Vorsicht, wenn es um die flächendeckende Einführung geht. „Gerade in sozialen Brennpunkten brauchen die Kinder einen fest strukturierten Unterricht“, so Laube. Dies sei aber schwierig zu schaffen beim altersgemischten Lernen. Zudem sei es für Kinder nichtdeutscher Herkunft wichtig, dass viel gesprochen werde. Bei der Jahrgangsmischung sei der Unterricht aber „weniger versprachlicht“, weil die Kinder in kleinen Gruppen eher eigenständig arbeiteten.

Bei der Jahrgangsmischung werden Erst- und Zweitklässler zusammen unterrichtet. Nach einem Jahr verlassen die Zweitklässler die Gruppe und gehen in die dritte Klasse. Ihre Plätze werden durch neue Erstklässler aufgefüllt. Zweitklässler, die den Stoff nicht beherrschen, bleiben in der Gruppe, sodass letztlich Fünfeinhalb- bis Siebeneinhalbjährige gleichzeitig unterrichtet werden. Peter Heyer vom Grundschulverband betonte gestern, die flächendeckende Einführung der Reform sei richtig. Er sieht die Gegenwehr in der Einstellung mancher Lehrer und in der unzureichenden Ausstattung der Schulen begründet.

Nach Informationen des Tagesspiegels haben auch Pägagogen aus Tempelhof-Schöneberg Zöllner gebeten, von der verpflichtenden Einführung der Jahrgangsmischung Abstand zu nehmen. Als Antwort erhielten sie ein Schreiben des Schulrates, der sie belehrte, sie hätten „den gesetzlichen Auftrag, den Beschluss der Legislative umzusetzen“.

Ebenfalls aus Pankow und Steglitz-Zehlendorf gibt es längst Widerspruch. Von Berlins rund 460 Grundschulen hat bisher erst ein Drittel freiwillig mit der Jahrgangsmischung angefangen. Zöllners Sprecher Kenneth Frisse betonte gestern, der Senator nehme die Hinweise der Schulen ernst. Es gebe aber keinen Zweifel daran, dass der jahrgangsübergreifende Unterricht „gerade für diese Altersgruppe“ die bessere Unterrichtsform darstelle.Susanne Vieth-Entus

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