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Berlin: Lehrter Bahnhof: Polnische Wertarbeit

Nur die Wenigsten wissen, was sie machen. Auch der technische Direktor Maciej Jedryka hat bisher nur ein kleines Bild von dem Bauwerk gesehen, das zu einem architektonischen Glanzpunkt Berlins werden soll.

Nur die Wenigsten wissen, was sie machen. Auch der technische Direktor Maciej Jedryka hat bisher nur ein kleines Bild von dem Bauwerk gesehen, das zu einem architektonischen Glanzpunkt Berlins werden soll. Aber die Unwissenden verstehen ihr Handwerk. In Skierniwice, rund 80 Kilometer südlich von Warschau, montieren sie die Träger für das Glasdach des neuen Lehrter Bahnhofs, das mit einer Fläche von rund 30 000 Quadratmetern wohl zu den größten der Welt gehören wird.

Aus etwa 30 bis 50 Millimeter dicken und etwa 6 Meter mal 2,50 Meter großen Stahlplatten formen, pressen und schweißen die Stahlbauer in Skierniewice die Träger zusammen, die später die sechs Gleise und drei Bahnsteige der Stadtbahn im Lehrter Bahnhof mit einer Spannweite zwischen 46,2 Meter und 67,6 Meter überbrücken.

Damit übertrifft der Lehrter Bahnhof bei weitem den 1880 eröffneten Anhalter Bahnhof mit der damals größten stützenfreien Bahnhofshalle überhaupt. Diese war aber "nur" 60,72 Meter breit und 167,79 Meter lang. Der Lehrter Bahnhof dagegen erhält ein etwa 430 Meter langes Dach, das aus mehreren Teilen besteht. Der Entwurf stammt von den Hamburger Architeken von Gerkan, Marg und Partner. Mit etwa 16 Metern Höhe wird die Halle des Lehrter Bahnhofes allerdings deutlich niedriger sein als die des Anhalter, die 34,25 Meter hoch war.

Montiert werden zunächst die westlichen und östlichen Teile des Superdaches, die zusammen 416 Meter lang sind. Den 72-Millionen-Mark-Auftrag hat das Würzburger Unternehmen Mero erhalten, das in Berlin schon mehrere prägnante Bauten miterrichtet hat, wie Vertriebsleiter Horst Meyer nicht ohne Stolz sagt. Dazu gehören das Auswärtige Amt, das ZDF-Hauptstadtstudio Unter den Linden, das Haus der Deutschen Wirtschaft und auch der Bahnhof Spandau.

Die Architekten haben ein ungewöhnliches - und kompliziertes - Bauwerk entworfen. Mit der Umsetzung sind gleich mehrere Ingenieurbüros beschäftigt. Die Halle mit ihrer feingliedrigen Konstruktion liegt zudem in einer Kurve, so dass fast alle Elemente einzeln angefertigt werden müssen.

Spezialisten für die Stahlträger, von den Fachleuten Binder genannt, hat Mero in Polen gefunden. Die Firma Rawent in Skierniewice ist schon länger ein Parter des fränkischen Unternehmehns. Beide bauen zusammen derzeit auch eine Dachkonstruktion für den Flughafen Charles de Gaulle in Paris.

Den Ausschlag für die Produktion in Polen hätten nicht nur die dort geringeren Fertigungskosten gebracht, sagt Vertriebsleiter Horst Meyer. "In Deutschland gibt es nur noch zwei Unternehmen im Stahlbau, die diese Aufgabe übernehmen können - im saarländischen Dillingen und im sächsischen Plauen". Gebaut wird in Polen aber mit Stahl aus Deutschland. "Das verlangen die Anforderungen der Bahn an die Qualität", sagt Meyer.

Dass die Zusammenarbeit mit Rawent gut klappt, verdankt Mero nicht zuletzt der Flucht eines Mannes. Vor 13 Jahren war Eugen Manczyk mit seiner Familie offiziell zu einem Besuch seiner Tante nach Würzburg gefahren. Es sollte ein Abschied für immer von Polen sein. Doch Manczyk war schneller wieder da, als er je träumte, wie er sagt. Heute arbeitet er für Mero als Verbindungsmann bei Rawent, wo es nicht ungewöhnlich ist, das mit Malgorzata Dmuchowska eine Frau Projektleiter für den Auftrag "Lehrter Bahnhof" ist.

Die Träger für den Renommierbahnhof der Bahn AG werden auf der Straße von Skierniewice nach Berlin gefahren. Obwohl die Träger jeweils in drei oder vier Teilen hergestellt werden, haben die meisten eine Überbreite, die einen Bahntransport nicht zulasse, so Meyer. Immerhin komme aber der größte Teil der Stahlplatten zur Weiterverarbeitung per Schiene nach Skierniewice.

Auch das Verladen der "Binder" ist Millimeterarbeit. Der Sattelschlepper geht merklich "in die Knie", wenn die Träger per Kran abgesetzt werden. Dann werden sie auf der Ladefläche so ausgerichtet, dass die zulässigen Maße nicht überschritten werden. Bei den "großen Brocken", die später an der Reihe sind, wird aber eine Polizeibegleitung für den Transport erforderlich sein.

Insgesamt 48 Träger sind für die Ost-West-Glasdachhalle erforderlich. Die ersten Teile sind bereits eingetroffen, der nächste Transport wird morgen erwartet. Ende Juli soll die Montage beginnen, die knapp ein Jahr erfordern wird. Wenn alles gut geht.

Davon ist Meyer jedoch überzeugt, auch wenn der Lehrter Bahnhof der bisher größte Auftrag für das mittelständische Unternehmen Mero ist, das weltweit etwa 750 Mitarbeiter hat. Für die Montage richtet Mero am Lehrter Bahnhof eine "Feldwerkstatt" ein. Zum Lagern der Teile fehlt auf der Großbaustelle allerdings der Platz. Die Träger werden deshalb bei Bedarf im brandenburgischen Boxberg zwischengelagert. Dort werden auch die Teile für die Tragkonstruktion des Daches zwischen den Trägern produziert. Um die Träger, die gewaltige Lasten tragen müssen, filigran zu gestalten, werden sie durch gespannte Spezialseile ergänzt, die in Memmingen gefertigt werden.

Wenn die Dächer im nächsten Jahr montiert sein werden, wird in der Mitte zunächst eine Lücke klaffen. Dort werden zwei parallele Hochbauten das Ost-West-Dach in Nordd-Süd-Richtung kreuzen. Zwischen diesen "Bügelbauten" entsteht dann ein weiteres Glasdach. Den Auftrag dazu hat die Bahn noch nicht ausgeschrieben. Meyer hofft, dass Mero auch hier zum Zug kommen wird.

Wenn der Bahnhof, wie derzeit geplant, im Sommer 2006 eröffnet wird, will auch Maciej Jedryka nach Berlin kommen. Schließlich wolle er sehen, was aus den Teilen geworden ist, die unter seiner Leitung 2001/2002 in Skierniewice hergestellt worden sind, sagt er. Und lächelt. Er ist zufrieden mit der bisher geleisteten Arbeit.

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