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Berlin: Leicht athletisch

Es gibt ein Leben nach dem Fußball – im Park, auf der Straße, auf dem Flugfeld Ein Überblick über Berlins ungewöhnliche Sportarten

Das Wichtigste ist der richtige Dreh. Wer das begriffen hat, dem eröffnen sich Universen, sagt Kolja Hannemann. Er lässt seine Frisbee-Scheibe ruhig auf dem Zeigefinger rotieren. Dann schmeißt er sie in die Luft, springt um die eigene Achse und fängt sie wieder auf. Mit den Zähnen.

Frisbee Freestyle heißt der Sport, der Hannemann zweimal pro Woche in den Spreebogenpark treibt. Die Regeln sind einfach: Alles ist erlaubt, Hauptsache, es sieht spektakulär aus. Normalerweise trainieren er und seine Freunde auf der Wiese vorm Reichstag, da, wo jetzt die Adidas-Arena steht. Die nervt. Überhaupt versteht der 31-Jährige nicht, dass sich derzeit alle für Fußball interessieren: „Es gibt so viel spannendere, kreativere, schöner anzuschauende Sportarten.“ Gerade in Berlin. Von Frisbeespielen bis Bumerangwerfen, von Einradhockey bis Fallschirmspringen: Für jeden noch so exotischen Sport findet man in der Stadt einen Verein. Wenn nicht mehrere. Frisbee zum Beispiel wird in Berlin auch als Mannschaftssport gespielt. Das nennt sich dann „Ultimate“: Zwei Teams versuchen, sich gegenseitig die Scheibe abzujagen und damit hinter die gegnerische Ziellinie zu sprinten. Sieht aus wie American Football – ist aber nicht so brutal. Ziemlich wild sieht der Sport aus, der sonntags und mittwochs im Volkspark Friedrichshain gespielt wird. Da dreschen junge Menschen mit Stöcken und Kettenkeulen aufeinander ein. Keine Angst, die Waffen sind gepolstert. Das Schlimmste, was passieren kann: Seitenstechen und Sonnenbrand. Das Spiel heißt „Jugger“ und wurde zum ersten Mal in einem australischen Science-Fiction-Film Ende der 80er Jahre gezeigt. Der Berliner Lester Balz war so begeistert, dass er daraus einen richtigen Sport machte.

Beim Juggern gewinnt, wer einen nachgebildeten Hundeschädel ins Ziel trägt – und dabei möglichst böse Grimassen schneidet. Zu besonderen Anlässen verkleiden sich die Spieler im Science-Fiction-Look. Das soll den Gegner einschüchtern. Inzwischen gibt es eine deutschlandweite „Jugger-Bundesliga“. Das Berliner Team ist Tabellenführer. Weil Berliner die härtesten sind? „Das leider nicht“, sagt Lester Balz, „aber zumindest die diszipliniertesten. Wir reisen als einzige zu allen Turnieren an. Und je mehr Turniere, desto mehr Punkte.“

Während Juggern noch für Exoten ist, hat sich eine andere Randsportart längst zum Trendsport entwickelt: Footbag, das akrobatische In-der-Luft-Halten eines mit Plastikkugeln gefüllten Säckchens. Im Volksmund heißt der Sport „Hacky Sack“, aber die Spieler des FC Footstar sagen lieber Footbag. Außerdem sieht ihr Spiel ganz anders aus, als man es bei Anfängern im Park beobachten kann. Dort läuft es meistens so: Ein Spieler kickt das Säckchen, es fällt zu Boden. Der andere hebt es auf und kickt, es fällt wieder zu Boden.

Bei den Footstars bleibt das Ding ewig in der Luft. Der persönliche Rekord von Club-Chef Matthias Schmidt liegt bei 1100 Kicks am Stück. Der Weltrekord bei 160 000. Aber darum gehe es gar nicht, sagt Schmidt. Sondern um die unzähligen Figuren, Tricks und Verrenkungen, die man ins Spiel einbauen kann. „Und jeder kann diese Tricks lernen.“ Vorausgesetzt, er trainiert hart genug. Diese Erkenntnis hat Schmidt auch auf andere Lebensbereiche übertragen: „Ich weiß: Es gibt gar kein Nicht-Können, sondern nur ein Nicht-Geübt-Haben.“

Das Lernen neuer Kunststücke ist auch für Kolja Hannemann ein Grund, immer wieder zur Frisbee-Scheibe zu greifen. Einmal hat er geglaubt, einen eigenen Trick erfunden zu haben: Die Scheibe mit der rechten Hand hinter den Rücken ziehen, und sie ohne Hingucken um 180 Grad in der Luft drehen. Dann sah er auf einem amerikanischen Video, dass es den Trick schon lange gibt. Schade. Die meisten Anregungen holt sich Hannemann, indem er sich Videos aus den Staaten anschaut. Dort ist sein Sport schon seit zwanzig Jahren populär. Ende des Monats kommen die US-Profis nach Berlin, zur Freestyle-Weltmeisterschaft. Hannemann will auch antreten, Hoffnungen auf den Titel macht er sich aber nicht. Den hat bisher noch kein Europäer gewonnen.

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