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Berlin: Leistung soll Spaß machen

Berlins Vorzeigefirma Schering ist zu einem der beliebtesten Arbeitgeber Europas erklärt worden. Die Beschäftigten überrascht das nicht

Toller Blick von hier oben, hinein in das ausgezehrte, winterkahle Berlin. Im 13. Stock des Schering-Hauptgebäudes unterhalten sich Frau Böhme vom Hochschulmarketing und Herr Ungnad von der Unternehmenskommunikation, wie der Firmenslogan nun genau geht. Irgendwas wie: Leistung soll Spaß machen. Oder Spaß bei der Arbeit, Erfolg im Team? Egal. Jetzt spricht die angehende Betriebswirtin Nicole Flauger, und zwar hemmungslos schnell und präzise, ohne „cool“ zu sagen oder „krass", trotz ihrer 21 Jahre. Warum sie zu Schering kam? „Die Sicherheit, die hohe Reputation, die Auslandsaktivitäten.“ In wenigen Wochen fliegt sie für zwei Monate nach Neuseeland. Das gehört zu ihrer Ausbildung. Leistung soll eben Spaß machen.

Schering ist Berlins Vorzeigefirma. Die Umsätze steigen, die Gewinne sprudeln, neue Arbeitsplätze entstehen – eine Oase des Erfolgs mitten in der rezessionsgeschüttelten Hauptstadt. Nun hat das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune Schering auch noch zu einem der zehn beliebtesten Arbeitgeber Europas erklärt – als einziges deutsches Unternehmen.

Das Wirtschaftsmagazin Capital zog nach und platzierte den Pharmakonzern unter die „Top 50“ der beliebtesten deutschen Unternehmen. Was hat Schering, was andere Firmen nicht haben? Oder bekommt jeder Scheringianer morgens seine Glücksdroge verabreicht? Markus Baltzer sieht in seinem dunkelblauen Einreiher absolut clean aus. Seine Liaison mit Schering begann Anfang der 80er Jahre mit einer kaufmännischen Ausbildung. Eigentlich wollte er danach Lehrer werden, aber die Firma machte ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte.

In Montpellier, Südfrankreich, wurde er der Assistent des regionalen Verkaufsleiters für die Schering-Pflanzenschutz-Sparte. Baltzer sonnt sich in seinen Erinnerungen. „Eine tolle Zeit, auch privat.“ Einige Jahre später sollte er das Vertriebsbüro in Mexiko aufbauen. Zur Vorbereitung ging er für ein halbes Jahr nach Guatemala. Erst nach sieben Jahren kehrte er wieder nach Deutschland zurück. Zwischendurch war die Schering- Pflanzenschutz-Sparte mit Hoechst und später mit Rhone Poulenc fusioniert worden, doch die Scheringianer blieben auch im neuen Konzern ein eigenständiges Völkchen, erzählt Baltzer, spricht von einem „ausgeprägten Sozialsinn“ und offener Gesprächskultur.

„Man sagt, was man meint, ohne dass einem dafür der Kopf gewaschen wird.“ In der Türkei warb ihn sein ehemaliger Chef wieder für Schering ab. Jetzt organisiert er von Berlin aus die Geschäfte im Mittleren und Fernen Osten, den „Feuerwehrländern“ mit regelmäßigen Wirtschafts- und Währungskrisen. Das ist der Nervenkitzel, den Baltzer im Job sucht – „was mit Pfeffer“. Sobald sich Möglichkeiten ergeben, will er wieder ins Ausland.

Für den „ausgeprägten Sozialsinn“ des Unternehmens steht unter anderem die firmeneigene Kita gerade. In der ist auch die Tochter von Beate Müller-Tiemann untergebracht. Die Biochemikerin wechselte vor fünf Jahren von der Konkurrenz zu Schering, weil ihr schon beim ersten Besuch im Protein-Labor „die besondere Atmosphäre“ auffiel. Es klingt paradiesisch: Eine Gemeinschaft engagierter Menschen forscht und feiert zusammen – vom Tierpfleger bis zum Laborleiter. Doch, so sei es wirklich, sagt Professor Peter Donner, den alle nur Donner nennen und duzen.

„Ich bin hier nicht der Chefdenker.“ Auf dem Gruppenfoto der Laborgemeinde ist Donner der Mann mit Haarkranz und Shorts. Eine selbstinszenierte Respektlosigkeit. Zur Beliebtheit von Schering trägt natürlich auch das gute Geld bei, das in der Chemiebranche traditionell verdient wird. Ein Chemie-Facharbeiter verdient nach Tarif 2570 Euro im Monat. Hinzu kommen Bonusleistungen, Mitarbeiteraktien und der Pensionsfonds.

Wer bei Schering arbeitet, hat fast so etwas wie eine Arbeitsplatzgarantie. Selbst für die befristeten Jobs in der Produktion kämen jeden Tag stapelweise Bewerbungen herein, sagt Personalchefin Astrid Berkemeier. Die unteren Einkommensgruppen bei Schering liegen immer noch deutlich über den Verdiensten im Einzelhandel. Viele wollen also Scheringianer werden, aber nur wenige schaffen es. Nicole Flauger (Abinote 1,7) musste sich gegen 650 Konkurrenten durchsetzen, um eine von zehn Azubi-Stellen für die Berufsakademie zu ergattern. Ausgesiebt wurde bei einem schriftlichen Wissenstest, einer Diskussionsrunde und im Assessment Center, einer Art Jobsimulation. Sehr straff organisiert und sehr hart sei es gewesen, sagt Nicole, aber ehrgeizige Menschen wie sie schrecke das nicht ab. Das „übliche Uni-Gammeln“ hätte ihr ohnehin nicht gelegen. Gammeln macht einfach keinen Spaß.

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