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Lernen hinter Gittern: Erichs graue Zellen

Die DDR-Volkspolizei sperrte dort Regimegegner ein. Jetzt soll das ehemalige Gefängnis am Alexanderplatz zum Bildungsort für Schüler werden.

Hier, an diesem Ort, geht man lieber schneller wieder weg, als man gekommen ist: Metalltreppen schwingen sich bis in den vierten Stock, jedes Geschoss besteht aus einem Umgang, von dem aus eiserne Türen, so sie entriegelt und aufgeschlossen werden, in nummerierte Gefängniszellen führen. In den Türen sind Gucklöcher und Essensklappen ausgespart, ich vermesse die Zelle – fünf Schritte vor, fünf zurück, einer zur Seite. Oben, über dem Kopf, an der Stirnwand, verhindert die Milchglasscheibe, dass man da draußen wenigstens die Wolken sieht, und dann ist da noch das Gitter vor der Fensterluke. Wir sind in einem stillgelegten Knast.

Die Farbe Grau dominiert, Staub liegt auf den Treppen, bedeckt den Fußboden – zuletzt konnte man solchen Gefängnissen in amerikanischen Filmen begegnen, sie sind alle nach einem Schema gebaut, und wer Detlef Bucks „Männerpension“oder „Good Bye, Lenin“ gesehen hat, erinnert sich vielleicht an jene Knastszenen, die hier gedreht worden sind. Davon dürften auch noch die nackten Pin-up-Girls in Zelle 009 übrig geblieben sein. Solch fideles Gefängnis wie in der „Fledermaus“ hat es hier wohl nie gegeben. Dieser dunkle Bunker war seit Gründung der DDR die Untersuchungshaftanstalt II, also das einstige Polizeigefängnis im Präsidium der Volkspolizei in der Keibelstraße. Jetzt ist es längst stillgelegt.

Die Gebäudeteile ringsum wurden saniert, die moderne Natursteinfassade leuchtet wieder hell über den Alexanderplatz, „die Keibelstraße“ hat ihr negatives Image verloren. In der dem Alex zugewandten Seite der Otto-Braun-Straße sitzt nun die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, und unten, neben dem Eingang, gibt es ein modernes Café-Restaurant mit einem für dieses Haus sehr bezeichnenden Namen: Wandel.

Was soll nun aus den Zellen, die die Senatsverwaltung in dem denkmalgeschützten Bau quasi geerbt hat, werden? Hier wird demnächst ein „Lernort“ entstehen, eine Ausstellung zur Geschichte des Gebäudes und der Volkspolizei. Schulklassen sollen an Ort und Stelle für ihre politische Bildungsarbeit lernen, die Robert-Havemann-Gesellschaft will die Geschichte des Gefängnisses erforschen (und ist dabei für jeden Zeitzeugenbericht, der mit der Keibelstraße zusammenhängt, dankbar). Und mehr noch: „Es gibt wenige Gebäude in Berlin, die die wechselvolle Geschichte der Stadt in solcher Intensität in ihren Mauern bergen“, sagt Bildungsstaatssekretärin Claudia Zinke – dieser Umstand wird in der geplanten Ausstellung im einstigen Knast eine Hauptrolle spielen.

Verbrecher werden gejagt, Tatorte analysiert

Denn das „Haus der tausend Fenster“ an der früheren Neuen Königstraße ist auch ein Spiegelbild der Berliner Historie der vergangenen 80 Jahre. Im Jahr 1932 verlegt Karstadt seine Zentrale von Hamburg nach Berlin, und Philipp Schaefer, der schon das Warenhaus am Hermannplatz entworfen hatte, baut das Alex-Stahlbeton-Skelett – völlig überdimensioniert. 1936 zieht Karstadt aus und das Statistische Reichsamt mit 5000 Beschäftigten ein. Im Mai 1944 wird das Haus durch mehrere Volltreffer schwer beschädigt, nach dem Krieg beginnt auch hier ein neuer Abschnitt: Das alte Berliner Polizeipräsidium am Alex – nahe dem heutigen Alexa – ist zerstört, 1948 zieht die Präsidialabteilung der Berliner Polizei in das Gebäude, das schließlich bis zur Wende die Volkspolizei, VP, Vopo oder wie auch immer, beherbergt.

Hier werden, wie überall auf der Welt, Verbrecher gejagt, Tatorte analysiert, aber auch Verkehrsunfälle bearbeitet oder einfach nur Führerscheine ausgestellt. Doch es gibt unsichtbare Fäden zwischen der Volkspolizei und der Staatssicherheit, deren Ermittler in der Keibelstraße ein und aus gehen. Die Witze, mit denen der gemeine DDR-Bürger seine Vopos durch den Kakao zieht, sind Legion (und sollten in der Geschichtsausstellung nicht vergessen werden), aber gerade an diesem Ort passieren zumeist weniger spaßige Geschichten. Hier demonstrieren am 17. Juni 1953 Berliner Arbeiter und meinen mit „Schweine! Banditen! Verräter!“ die Volkspolizisten. Wer hier „zur Klärung eines Sachverhalts“ vorgeladen oder eingeliefert wird, ist froh, wenn er wieder auf dem Alexanderplatz steht.

In vier Räumen im zweiten Stock sitzt in der Nacht zum 13. August 1961 der Einsatzstab zur Grenzabriegelung und nimmt die Befehle von Erich Honecker entgegen. „Um 0.00 Uhr wurde Alarm gegeben und die Aktion ausgelöst. Damit begann eine Operation, die an dem nun anbrechenden Tag die Welt aufhorchen ließ“, so der SED-Chef. Eine der Folgen: Bis 1989 müssen sich Menschen, die die DDR satt- und einen Ausreiseantrag gestellt haben, in der Keibelstraße entwürdigen lassen. Hier landet Florian Havemann, der sich 1966 mit ein paar Freunden zum Jahrestag der DDR mit Zylinder, Frack und Gehrock unter die Demonstranten mischt, die VP versteht gar keinen Spaß.

Auch Toni Krahl von „City“ findet sich in der Keibelstraße wieder, weil er 1968 gegen den Einmarsch der Roten Armee in die CSSR protestiert. Musiker Achim Mentzel ist 1973 in den Westen gegangen, aber wieder zurückgekehrt – na, dieser Sachverhalt muss wirklich geklärt werden. In der Nacht des 7. Oktober 1989 werden hier die „Gorbi!“-Rufer „zugeführt“ – das Ende für die DDR, aber nicht für das Polizeipräsidium. Am 1. Oktober 1990 übernimmt West-Berlins Polizeipräsident Georg Schertz das Kommando in der Keibelstraße. 7500 Angehörige der Volkspolizei werden in den Gesamtberliner Polizeidienst übernommen. In der Keibelstraße gibt es jetzt noch 200 Polizisten – vom Polizeiabschnitt 32.

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