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© Marcus Brandt, ddp

Leserdebatte: Vergesst Knut!

Eingesperrt, gestresst – geliebt. Wir halten Eisbären und Löwen hinter Gittern, auch wenn das Zoo-Leben für sie eine Qual ist. Echte Tierfreunde sollten ihnen nur eines wünschen: die Freiheit.

Elvis, Amy Winehouse, Knut. Lang und traurig ist die Geschichte der Stars, die genauso weltberühmt wie psychisch am Ende waren. Sie wurden verehrt, trotz allem. Doch mit welcher Hartnäckigkeit die Fans für ein eigentlich nur bemitleidenswertes Wesen schwärmten, war selten so schräg wie im Fall des weltberühmtesten Eisbären.

Knut hat sich schließlich, anders als ein menschlicher Popstar, nichts von alldem ausgesucht, was ihm im Leben widerfahren ist. In Gefangenschaft zur Welt gekommen und aufgewachsen, gehalten in einem Gehege, das seine Bärennatur missachtete, belagert von Fans und Journalisten, gestorben als verhaltensgestörter Sonderling. Vor einem Jahr torkelte Eisbär Knut, fiel von seinem Felsen und ertrank. Vielleicht war dieser Tag sein glücklichster.

Von dem kleinen Bärenjungen hatten viele nicht genug bekommen wollen, andere waren vom großen Flausch-Rausch schnell genervt. Zu wenige aber stellten die Frage: Was hat ein Eisbär eigentlich in einem Zoo verloren? Eisbären sind Einzelgänger, sie leiden, außer zur Paarungszeit, an der Anwesenheit von Artgenossen. Im Berliner Zoo musste es Knut mit drei Bärinnen aushalten.

Sehen Sie hier Bilder aus dem Leben von Knut, dem Eisbären:

Eisbären mögen es eisig kalt, sie durchstreifen riesige Gebiete, wandern pro Jahr tausende Kilometer. Ein paar Quadratmeter im lauwarmen Berlin blieben Knut. Wenn er den Bärinnen voller Angst begegnete, wenn er wieder und wieder seinen Kopf von links nach rechts, von rechts nach links wiegte, wenn er seinen Besuchern winkte, weil er Menschen imitierte, statt als Bär zu leben, dann war sein Unglück auch zu sehen.

Und doch sperren wir Tiere hinter Gitter, um sie anzuschauen und uns ihnen nahe zu fühlen. Tiere, über die wir schmunzeln wie über das schielende Opossum Heidi, die uns staunen lassen wie Orakel-Krake Paul. Tiere, die uns Mut machen wie Knautschke, das Berliner Flusspferd, das den Zweiten Weltkrieg überlebte. Tiere, die wir streicheln, Tiere, bei deren Anblick wir eine Gänsehaut bekommen.

Wir entscheiden danach, was uns selbst, den Menschen, guttut, welchen Nervenkitzel, welchen anrührenden Moment ein Tier uns liefern kann. Wir halten Tiere auch dann im Zoo, wenn das Leben für sie dort eine Qual ist – wie für Löwen, die die Natur zu Jägern bestimmt hat, so wie für Delfine, die in Gefangenschaft manchmal Selbstmord begehen, indem sie bewusst aufhören zu atmen. So wie für Eisbären.

Warum schaffen wir es, dieses Leid auszublenden? Vielleicht, weil es aufrichtige Gefühle waren, die Knut den Weg in unsere Herzen freiräumten. Das Fell so flauschig, die Augen so rund, die Schnauze so stupsig, und das Gesamtpaket so wunderbar tolpatschig auf vier Pfoten unterwegs: Das Kindchenschema hat uns überlistet. Die Evolution hat gute Arbeit geleistet, unsere Beschützerinstinkte schlugen Alarm, wie es ihre Aufgabe ist.

Sehen sie hier Bilder vom Gedenken an Knut:

Die Liebe zu Knut war allzu menschlich. Aber die Evolution hat uns auch den Verstand gegeben – und das Mitgefühl. Wer den Mut hat, sich dieser Gaben zu bedienen, der sollte Eisbären vor allem eines wünschen: die Freiheit.

Berlin diskutierte, ob Knut mehr Beschäftigung, ein abwechslungsreicheres Gehege bräuchte – aber nicht, ob der Zoo weitermachen soll mit der Haltung von Eisbären. Dem Artenschutz dient die übrigens nicht, anders als bei manchen extrem seltenen Tierarten.

Hätte sich ein wahrer Tierfreund tatsächlich mit Knut-Briefmarken, Knut-Plüschtieren, Knut-Anhängern beschäftigt? Auch ein Jahr nach Knuts plötzlichem Tod geht der Wahn weiter: Gedenkmedaille, Gedenkstein, Denkmal. Knut, wir denken an dich, wir werden dich nie vergessen. Sollen wir dich ausstopfen, Knut? Welcher Künstler ist würdig, dein Abbild als Skulptur zu erschaffen? Das bisher letzte dieser wahnwitzigen Phänomene: die ernsthaft vorgetragene Idee, den putzi-butzigen Mini-Eisbären als Klon auferstehen zu lassen.

Es ist Zeit, diesen Irrsinn zu beenden. Vergesst Knut! Sein Leben war kurz und traurig, mehr bleibt nicht zu sagen. Den Tieren aber, die gar nicht erst in ein Leben im Zoo hineingeboren werden sollen, denen können wir noch helfen.

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