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Leserdiskussion: Ausverkauft

Kein Einkaufsparadies mehr: Im Hauptbahnhof konnte man sonntags shoppen – bis jetzt. Der Senat will damit Schluss machen. Gewerkschaft und Handelsverband drängen darauf. Was meinen Sie? Soll man an Bahnhöfen sonntags shoppen können? Diskutieren Sie mit.

Grau, verregnet, windig: Den Geschäftsleuten im Berliner Hauptbahnhof kann das nur recht sein. An solchen Sonntagen gesellen sich zu den zahlreichen Touristen auch Berliner, die einen Einkaufsbummel machen. Im Schmuck- und Nippesladen Bijou Brigitte hantiert gerade Ahmed Mahmoud an einem Drehständer mit Haarspangen. „Ich kaufe meinen Kindern Geschenke fürs Zuckerfest am nächsten Samstag“, sagt der 33-jährige Neuköllner. Er ist Arbeiter und hat unter der Woche für Einkäufe keine Zeit.

Die Touristin Andrea Eylering aus Nordhorn in Niedersachsen findet es „genial“, dass sie vor der Heimreise noch shoppen kann. In den zwei Stunden vor ihrer Abfahrt war sie im Kosmetikgeschäft, im Schuhladen und hat sich nach Designerklamotten umgesehen. Zwei Tüten voll Ware nimmt sie mit in den Zug. „Ohne die Geschäfte wäre hier tote Hose“, sagt Eylering und blickt sich in der Einkaufsmeile aus Stahl und Beton um: Der Hauptbahnhof ist proppenvoll.

Reiseführer kündigen den größten Eisenbahnknoten Berlins mit 80 Geschäften als sonntägliches Shoppingparadies an. Die Deutsche Bahn selbst wirbt mit ihrem Prestigebau im Internet als „neues Einkaufszentrum für Berlin, das sieben Tage die Woche auf hat“. Damit könnte bald Schluss sein: Der Senat steht unter Druck und muss dem Sonntagsgeschäft ein Ende setzen. Die Gewerkschaft Verdi sowie der Handelsverband Berlin Brandenburg drängen darauf, dass das Ladenöffnungsgesetz von 2006 auch im Hauptbahnhof angewendet wird.

Danach dürfen in Bahnhöfen an Sonn- und Feiertagen nur Läden öffnen, die den Reisebedarf bedienen, also Zeitungen, Genussmittel oder Souvenirs verkaufen. Somit öffnen hier rund 30 Läden einmal die Woche ohne Genehmigung. Gewerkschaft und Handelsverband haben beim Senat Beschwerde eingereicht. „Nicht nur gibt es dadurch eine Wettbewerbsverzerrung“, sagt Erika Ritter von Verdi, „viele der Arbeitgeber im Bahnhof halten sich auch nicht an die Tarifbestimmungen für den Sonntag.“ Angestellte müssten sonntags 120 Prozent mehr Lohn erhalten. Die Politik hat bei den Ladenöffnungszeiten im Vorzeigebahnhof bislang ein Auge zugedrückt. Nun muss der Senat auf die Beschwerden reagieren und hat bereits das Landesamt für Arbeitsschutz auf Kontrollgänge geschickt. Einige Geschäftsführer wurden ermahnt. Demnächst sollen Bußbescheide folgen, falls die Läden weiterhin öffnen.

Das Ende des laxen Umgangs mit Verstößen gegen das Ladenöffnungsgesetz könnte weitreichende Folgen haben: Bei genauem Hinsehen gibt es zahlreiche S-Bahnhöfe, etwa an der Friedrichstraße, oder U-Bahnhöfe wie am Innsbrucker Platz, wo Drogerie- und Supermärkte sonntags geöffnet haben. In manchen Stadtteilen bieten türkische Gemüse- und Obsthändler an Sonntagen ihre Ware an. Sollen sie alle sonntags schließen müssen?

„Die Gesetzlage ist eindeutig“, lässt Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) am Sonntag durch seinen Sprecher erklären. Auch aus Sicht der für die Öffnungszeiten zuständigen Senatorin für Verbraucherschutz, Katrin Lompscher (Linke), ist die Situation klar: „Das Gesetz sieht keine Ausnahmen für einzelne Bahnhöfe vor“, sagt ihre Sprecherin Marie-Luise Dittmar. Berlin habe mit den zehn verkaufsoffenen Sonntagen ohnehin ein sehr „fortschrittliches Ladenöffnungsgesetz“. Nach einer Klage der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und des Erzbistums Berlin wird das Ladenschlussgesetz beim Bundesverfassungsgericht zurzeit geprüft. Bis zur Entscheidung wird wohl keiner im Parlament wagen, eine Sondergenehmigung für den Hauptbahnhof zu beantragen. Ferda Ataman

Ferda Ataman

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