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Sara Trapp, Theresa Meschede, Insa Hansen-Goos und Lisa Raunitschka (v. l. n. r.) von "nochnichtmehrdazwischen".

© Sven Darmer

Lesereihen in Berliner Kiezbars: Nicht so steif wie etablierte Literaturhäuser

In Wedding und Neukölln sprechen prominente Autoren bei Bier und Kerzenschimmer in Kiezkneipen über ihre Bücher.

Dicht gedrängt sitzen rund 40 Personen bei schummrigem Licht auf Klappstühlen, Blecheimern und Polstermöbeln im Kulturverein Mastul in der Liebenwalder Straße in Wedding. Vor ihnen eine nicht weniger kuschlige Bühne: Blümchentapete, Biedermeier-Sofa, ein weißes Klavier.

Auf ein Konzert warten sie hier nicht, sondern auf eine Lesung der Lesereihe „nochnichtmehrdazwischen“, die alle drei Monate zu Literatur ins Mastul einlädt, wie man sie sonst eher in einem offiziellen Literaturhaus erwarten würde. In Berlin gibt es zahlreiche Lesebühnen. Besonders an dem Konzept, das unter anderem im Mastul umgesetzt wird, ist die Kombination aus Baratmosphäre und prominenten Namen aus der Literaturszene.

An diesem Abend sind Helene Hegemann und Anke Stelling mit ihren neuen Romanen zu Gast – „Bungalow“ (Hegemann) und „Schäfchen im Trocknen“ (Stelling) – beide sind kaum wegzudenken aus der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Für ihren Debütroman „Axolotl Roadkill“ wurde Hegemann 2010 erst in sämtlichen Feuilleton-Spalten gefeiert, danach folgten Plagiatsvorwürfe.

Die heute 27-Jährige soll viele Passagen von einem Blog abgeschrieben haben, so die Vorwürfe. Trotzdem wurde sie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Mittlerweile hat sich Hegemann als Autorin etabliert. Anke Stelling stand 2015 mit dem Roman „Bodentiefe Fenster“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, mit „Schäfchen im Trockenen“ ist die 47-Jährige für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

„Die Idee zu ’nochnichtmehrdazwischen’ kam uns spontan im Herbst 2017, so etwas gab es bisher nicht in Wedding“, erzählt Theresa Meschede, die zusammen mit Sara Trapp, Insa Hansen-Goos und Lisa Raunitschka die Veranstaltungsreihe kuratiert. „Literaturhäuser können etwas Steifes an sich haben: Eine Autorin oder ein Autor sitzt auf einer Bühne, meist bei hellem Licht und das Publikum sitzt in Reih und Glied vor der Bühne – bei uns sind die Abende lockerer“, fügt Lisa Raunitschka hinzu.

Im Publikum - jung und alt

Die beiden Autorinnen sprechen auf der Bühne über soziale Ungerechtigkeit, Mütter und Töchter, Dystopien und Utopien. Themen, die sie in ihren aktuellen Büchern auf ganz unterschiedliche Art und Weise behandeln. Das Publikum ist zwischen 20 und 50 Jahren alt, teilweise sind sie Stammgäste im Mastul, Anwohner oder Anhänger der Lesereihe. Dieses Jahr soll es mindestens vier Termine bei der Lesereihe geben.

Dicht gedrängt sitzen die Menschen auch bei der Lesereihe „Kabeljau & Dorsch“ in der Kneipe „Alter Roter Löwe Rein“ in Rixdorf in Neukölln, um der Rowohlt-Theaterautorin Laura Naumann, dem Berliner Szene-Lyriker Tom Bresemann und dem Nachwuchsautor Nitay Feigenbaum zuzuhören.

„Die Reihe haben wir 2013 konzipiert als Gegenüberlegung zu etablierten Literaturveranstaltungen in der Stadt, bei denen meist aus bereits fertigen und veröffentlichten Romanen gelesen wurde. Wir wollten literarischen Nachwuchs sichtbar machen, unabhängig von irgendeiner Marktlogik“, sagt Chris Möller, die zusammen mit Malte Abraham und Victor Kümel Teil des Kollektivs „Kabeljau & Dorsch“ ist.

Aus einem offenen Textaufruf suchen sie die Autoren für die Lesungen aus. Viele bekannte Stimmen aus der jüngeren deutschsprachigen Gegenwartsliteratur waren bereits zu Gast, wie die Lyrikerin Maren Kames, die mit ihrem Debütband „halb Taube halb Pfau" 2016 auch abseits der Lyrikszene für Begeisterung sorgte, oder Maruan Paschen, der seit 2014 Autor beim Berliner Verlag „Matthes & Seitz“ ist. Für 2019 hat das Kollektiv weitere literarische Projekte geplant, wie eine Reihe an Lesungen auf einem Minigolf-Platz in Neukölln oder die literarische Late-Night-Show „Kabeljau & Talk“ im Roten Salon der Volksbühne.

Keine Garantie für finanzielle Förderung

Wie ihre Weddinger Kolleginnen beantragen sie Gelder beim Land Berlin oder dem Bund für ihre Veranstaltungen. Ein Modell, das auch problematisch ist, da sie keine festen Förderungen wie Institutionen erhalten, und regelmäßig Grund- oder Projektförderungen beantragen müssen. Eine Garantie auf die beantragte Förderung gibt es nicht, sodass die Veranstalter wenig Planungssicherheit haben. Eine angemessene Bezahlung der Kuratoren ist auch nicht immer gesichert, da meist die Gelder dafür nicht ausreichen.

Auch in anderen Berliner Bezirken finden unabhängig von Institutionen regelmäßig Lesereihen statt wie „Auslandsprachen“ oder „Fiction Canteen“ in Prenzlauer Berg, „Artichoke“ in Kreuzberg, „Literatur in Weißensee“, „Books without Covers“ in Friedrichshain oder „Kookread“ in Mitte. So unterschiedlich die einzelnen Reihen sind – mal mehrsprachig, lyrisch oder diskussionslastiger – sie alle eint das Merkmal, literarischer, anspruchsvoller Lesungen. Allerdings sind es keine exklusiven Literaturclubs, in denen solche Events oft stattfinden, und sie setzen auf Orte, die weniger mit Literatur assoziiert werden – Kiezbars.

Am 6. März um 20 Uhr findet im Mastul wieder die Lesereihe „nochnichtmehrdazwischen“ statt. Dieses Mal zu dem Thema „Gewalt“, zu Gast sind Houssam Hamade und Clemens Meyer. Mastul, Liebenwalder Straße, www.nochnichtmehrdazwischen.com, Eintritt frei. Am 7. März, ebenfalls um 20 Uhr veranstaltet „Kabeljau & Dorsch“ im Ringtheater in Friedrichshain „Miami Punk“, die Premierenlesung von Juan S. Guses zweitem Roman, Laskerstraße 5, 10245 Berlin, www.berlinerringtheater.de, Eintritt frei

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