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Berlin: Lesezeichen

Spickzettel, Wünsche an den Weihnachtsmann, Tickets und Geldscheine werden leicht in Büchern vergessen. Jetzt dokumentiert eine Ausstellung diese privaten Fundsachen.

Von Annette Kögel

„So macht’s der Mann von Welt“, steht auf der Verpackung mit dem Kondom. Und am Ende der Bedienungsanleitung lautet der Hinweis: „Kondom nur einmal benutzen, nicht in die Toilette, sondern in den Hausmüll werfen“. Der Besitzer hat das kleine Plastikteil in der Bücherei verloren. Was die Berliner in Büchern alles vergessen, dokumentiert jetzt die Bezirkszentralbibliothek Tempelhof-Schöneberg. „Fundsachen – oder was in Büchern wirklich steckt“ lautet der Titel der Ausstellung.

Es ist ein Stück Zeitgeschichte, was Dietmar Zeller, Mitarbeiter der Eva-Maria-Buch-Bücherei, da in zehn Jahren zusammengetragen hat. Seit zunehmend neue Informationsquellen genutzt werden, wie CD-Roms oder das Internet, wollte der Bibliothekar das Buch noch einmal „auf das rein Physikalische reduzieren“. In den Vitrinen liegt jetzt, was die Leser vergessen oder verloren haben. Manchmal auch Dinge, bei denen Zeller nicht an Zufall glaubt. „Diesen Ägypten-Führer beispielsweise, ist doch ein Zeichen, dass da ein Lesezeichen aus Papyrus drinsteckt.“

Ein Besuch der kleinen Schau zeigt: Der Bücherei-Kunde ist Mann beziehungsweise Frau von Welt. Im New-York-Guide lag eine Manhattan-Postkarte – damals noch mit World-Trade-Center. Jemand hinterließ Visitenkarte der „Harry & George Café-Bar“ auf Korfu. Drachmen-Scheine dienen ebenso zur Seitenmarkierung wie Leon-Jimenes-Zigarrenpapier – da hat jemand wahrscheinlich in der Dominikanischen Republik die Fabrik in Santiago besucht. Ebenfalls beliebt als Lesezeichen sind Telefonkarten, denn die können nicht knicken. Auch Tickets werden gefunden, wie jenes vom Sarawak-Ekspres aus Malaysia oder der Fahrschein aus Bolivien – via La Paz und Tiahuanaco bis in die Götzstraße nach Tempelhof. Anneliese Suchomel entsorgte ihren „USAir Boardingpass“ im Büchereibuch. Lieselotte Hirseland saß einst in einer Lufthansa-Maschine auf Nichtraucherplatz 20A, bevor sie mit ihrem Leserausweis am Counter der Bezirksbibliothek eincheckte.

Manchmal wurde Privates öffentlich. „declarare, vi, tum“ steht auf dem Mini-Latein-Spickzettel. Ob das Klassenfoto der Sophie-Scholl-Oberschule absichtlich im Bibliothekswälzer archiviert wurde? Werner und Andreas Gilbert vergaßen gar ihren Wunschzettel an den Weihnachtsmann. „Ich wünsche mir, dass sich ein Junge bis zum Ende der 6. Klasse in mich verknallt und dass er nett und süß ist und dass er mich fragt ob ich mit ihm gehen will“, lautet ein anderes privates Zeugnis. Geheime Wünsche – und demonstrative Stellungnahmen. Zu den Besuchern der Eva-Maria-Buch-Bibliothek gehören auch Tagesspiegel-Leser. Da stecken ausgeschnittene Artikel wie „Der Heilige Krieg“ in Grundsatzwerken über muslimischen Fundamentalismus. „Die Leute sind uns lieber als jene, die mit Kuli oder Textmarker kommentieren“, sagt Ausstellung-Initiator Dietmar Zeller.

Lottoschein und Quittung der „VEB Vereinigte Wettspielbetriebe“, Wasserkocher-Gebrauchsanleitung und Geodreieck, Karibik-Serviette und Pillenpäckchen, Che-Guevara-Aufkleber und BVG-Umweltkarte: Vergiss es, scheinen sich viele Berliner zu sagen.

Lesezeichen als Lebenszeichen. Da küsst der Papst auf einer Postkarte in der ihm typischen Pose einen Busen. Jemand hat Fantasien von Geckos beim possierlichen Posieren mit einer Nackten gezeichnet. Und im einst umstrittenen Buch „Die vollkommene Ehe“ aus dem Nachlass eines Büchereifreundes steckte die Bilder „Galerie der Erotik“.

Das wohl vergnüglichste Exponat der Fundsachen-Ausstellung ist aber dieser Sozialschein der Stadt Berlin „für einen einmaligen kostenlosen Bordellbesuch“. Nicht übertragbar, gültig Montag bis Freitag von 9 bis 16 Uhr, mitsamt Kontrollabriss. Das konnte der ehemalige Besitzer dann wohl vergessen.

„Fundsachen – oder was in Büchern wirklich steckt“. Gratis-Ausstellung noch bis zum 10. Mai in der Bezirkszentralbibliothek, Eva-Maria-Buch-Haus, Götzstraße 8-12, 12099 Berlin Tempelhof-Schöneberg. Öffnungszeiten: montags bis freitags von 10 bis 20 Uhr, Sonnabend 10-14 Uhr. Während der Osterfeiertage bleibt die Schau geschlossen.

Annette Kögel

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