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Unsere Autorin Antonia Barthel damals, und...

© privat

Letzter Schultag: Als wir uns kennen lernten

Heute ist für alle Berliner Abiturienten der letzte Schultag. Ein Abschiedsbrief.

Heute sehe ich dich noch ein letztes Mal. Ich bin kaum vorbereitet, aber daran hast du dich wahrscheinlich schon gewöhnt. Als wir einander bekanntgemacht wurden, hat mir unser tägliches Treffen noch Spaß gemacht. Das frühe Aufstehen hat mich nicht gestört und auf jedem Nachhauseweg war ich glücklich und beseelt, weil ich das Gefühl hatte, mein Gehirn wäre viel schwerer als auf dem Hinweg...dank dir. Je mehr Bücher in meinem Ranzen steckten, desto besser. Nachmittags habe ich mich gern mit dir beschäftigt, habe mich auf das nächste Treffen vorbereitet und begeistert meinen Eltern von dir erzählt. Als wir uns kennen lernten, konnte ich nicht lesen, nicht schreiben und Mathe war für mich ein Mysterium.

Mit der Zeit ist mir das frühe Aufstehen immer schwerer gefallen und ich habe gemerkt, dass Wochenenden zu schön sind um vorbeizugehen. Sich auf dich vorzubereiten wurde immer lästiger und gern aufgeschoben. Zu schwere Bücher wurden absichtlich zu Hause vergessen, denn die neue Umhängetasche sah vollgestopft doof aus und meine Eltern bekamen auf die Frage „Na, Wie war dein Tag?“ keine Begeisterung als Antwort, sondern ein „Wie immer“, wenn überhaupt. Ich habe mich oft über dich beklagt und wenn ich einen Tag mal nicht zu dir musste, war ich froh. 

Dabei hast du mir diejenigen vorgestellt, auf die ich nicht verzichten könnte. Freunde, die ich dank dir täglich sehe. Ohne mich mit ihnen zu verabreden, schwirren sie um mich herum, erleben das, was ich erlebe. Lesen und schreiben sind wohl die wichtigsten Errungenschaften, die du mir beigebracht hast. Was die Welt in ihrem Innersten zusammen hält, wie man ein Periodensystem liest und was die Götter im Olymp zueinander sagten hast du mir erklärt und ich habe verstanden. Mit dir ist es leichter zu lernen, als ohne dich. 

Lieber Unterricht, es ist Zeit sich zu verabschieden. Soll ich den Hut ziehen? Höflich knicksen? Oder werden wir uns herzlich in die Arme fallen? Je weniger Zeit mir noch blieb, desto mehr wurde mir bewusst, wie sehr du den Abschnitt meiner Kindheit gefüllt und geprägt hast. 

Ich nehme jede Beleidigung zurück und jedes üble Wort, denn ich möchte mich im Guten von dir trennen. Ich weiß nicht, ob du mir fehlen wirst, ob ich dich brauche, oder ob ich die Zeit ohne dich genießen werde. Ich weiß aber, dass die vergangenen zwölf Jahre sich gelohnt haben. 

...heute.
...heute.

© privat

Hoffentlich siehst du das ähnlich, denn ich möchte nicht als Zeitverschwendung in deiner Erinnerung bleiben. Es wird Zeit sich zu verabschieden, denn für mich beginnt jetzt etwas Neues. Und wenn ich in ein paar Jahren von der Zeit an der Uni schwärmen sollte, dann sei nicht eifersüchtig. Ich verspreche dir ihr nie so einen Brief zu schreiben. Also, bereit wenn du es bist.

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Antonia Barthel, 18

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