zum Hauptinhalt

Berlin: "Leute, die reiten, basteln keine Papp-Häuser" - Was er bewohnt, muss er als Miniaturmodell nachbauen

Ein Bastler? Ein Bastler ist jemand, bei dem offensichtlich ein starker Drang besteht, mit den Fingern zu arbeiten, meint Wolfgang Ranke.

Ein Bastler? Ein Bastler ist jemand, bei dem offensichtlich ein starker Drang besteht, mit den Fingern zu arbeiten, meint Wolfgang Ranke. Aber kann das schon erklären, warum er als promovierter Physiker, der sich als Wissenschaftler mit Fragen der Katalyse beschäftigt, nach einem vermutlich anstrengenden Arbeitstag am Berliner Max-Planck-Institut loszieht und in Detail versessener Kleinarbeit maßstabsgetreue Schnittbögen von Lichterfelder Häusern zeichnet? "Ich kann nicht nix tun", versucht es Ranke noch einmal: "Ich kann nicht einfach nur Physiker sein."

Angefangen hatte es mit seinem eigenen Haus in der Ringstraße; ein typisches Beispiel Lichterfelder Villenarchitektur, das ein lokaler Architekt ursprünglich 1897 für sich selbst erbaut hatte. Und da der vor 55 Jahren bei München geborene Ranke eigentlich auch fast jedes Haus, in dem er mal gewohnt hat, en miniature für sich selbst nachgebaut hat, war es dann so vor etwa 15 Jahren soweit. "Jetzt traue ich mich mal", dachte sich Ranke, baute - oder bastelte? - einen Stand auf seinen Fahrradanhänger und begann, die Bögen auf einem Straßenfest zu verkaufen.

Weil die Reaktionen so nett waren, sagt er, machte er weiter und verkauft seitdem regelmäßig in der Vorweihnachtszeit an Wochenenden vor einem Lichterfelder Supermarkt - "bis mir die Füße kalt werden" - seine Bastelbögen. Manchmal hat Ranke Glück und kann auf Pläne zurückgreifen; meistens arbeitet er jedoch nach Fotos ("mit einem Dreisatz") oder direkt am Original. So entstehen seine Modelle im Maßstab 1:90 ("ganz genau ist es 1:87"), 1:160 oder 1:200 zum Preis zwischen vier und 32 Mark. Renner ist der Lichterfelder Bahnhof, den er schon an die 250 Mal verkauft hat. Mittlerweile hat sich eine Stammkundschaft aufgebaut, die zum Beispiel immer den neuesten Bastelbogen an eine Tante nach Amerika verschickt, die früher einmal in Lichterfelde gewohnt hat.

Die Fertigung ist trotz aller Akkuratesse technisch eher primitiv geblieben. "Ich gehe in einen Copyshop", sagt Ranke. Tatsächlich entstehen auch die Schnittbögen mit Stift und Lineal in Handarbeit und keineswegs am Computer. Hat er zwar auch mal probiert, hat ihm aber nicht so gefallen. Schon gar nicht der Farbdruck. "So sieht ein Haus doch gar nicht aus", sagt er und zeigt mit leichtem Missfallen den Schnittbogen einer Jugendstilvilla vor. Viel schöner findet er die anderen, handkolorierten Modelle, die er selbst "mit Tuschkasten" angemalt hat. Die Lichterfelder Lilienthal-Villa etwa hat er sogar noch mit Kunstrasen und -efeu beklebt.

Hat der zweifache Vater Ranke, der außerdem noch tischlert und kocht und im Chor singt, eigentlich nichts Besseres zu tun? Nein, nein, die Familie gehe schon vor, sagt er; aber als seine Töchter größer geworden waren, blieb eben wieder Zeit für ein Hobby. Und da er als Kind schon mit Modelleisenbahnen gespielt hat, wollte er sich eigentlich wieder darauf kaprizieren und begann, dafür die Häusermodelle zu konstruieren, auf die er sich dann verstieg. Seitdem liegt die angefangene Eisenbahnanlage brach.

Vereinsmeierei, Fernsehen oder womöglich Fußballspielen ("Als was denn? Als Fußball, so klein, wie ich bin?"), damit hat Ranke nichts am Hut. Er baut lieber seine "Papphäuser" - und hält Bastler auch für kein bisschen sonderbar: "Jeder spinnt auf seine Weise." Reiten zum Beispiel, das dürfe man doch auf keinen Fall unter dem Gesichtspunkt der Fortbewegung betrachten, sagt er, und lacht gut gelaunt: "Ich kann mich eben dabei entspannen, irgendwelche Sachen zu tun, die eigentlich nicht wichtig sind."

16 verschiedene Bögen in den Schwierigkeitsgraden leicht - mittel - schwer hat Ranke bislang angefertigt. Acht der Objekte sind aus Lichterfelde, und langfristig würde er schon gern einen repräsentativen Spiegel der dortigen Villenarchitektur zusammenstellen. "Erstens sind die Häuser toll, zweitens sind sie in der Nähe", sagt er. Weil seine Frau Schwedin ist, sie dort ein Haus haben und er auch im Urlaub Beschäftigung braucht, gibt es zudem einige schwedische Bastelbögen. Darunter sind unter anderem Selma Lagerlöfs Herrenhaus Marbacka und ein Reiterhof in der Nähe, weil Ranke dachte, dass das ein nettes Andenken für die Gäste sein könnte - das Interesse war aber nur mäßig. "Leute, die reiten gehen, basteln keine Papp-Häuser", erklärt es sich Ranke.

Verdrossen hat ihn das aber nicht: Hauptsache, der Entwurf hat ihm Spaß gemacht. Denn das wäre ja auch typisch für Bastler, dass die Aufgabe selbst am spannendsten sei, sagt er: "Wenn etwas fertig ist, kann man es nur noch anschauen." Und die Erlöse aus den Verkäufen seiner Häuser gehen ohnehin als Spende an Greenpeace: "Ich habe keine Lust, große Einkommenssteuererklärungen zu machen." Das ist nun keineswegs verwunderlich. Diese Aufgabe kann wohl selbst den ausgefuchstesten Bastler aus der Geduld bringen.Rankes Bastelbögen sind auch in der Lichterfelder Buchhandlung Bodenbender, Baseler Straße 1 erhältlich.

Alexander Pajevic

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false