zum Hauptinhalt

Berlin: "Liberty Bell": Beim Glocken-Countdown 1950 dabei

Der Klang der Freiheitsglocke hat Alfred Gleitze ein halbes Leben lang begleitet. In den 70er Jahren hörte er sie als Bezirksbürgermeister täglich um 12 Uhr in seinem Büro im Rathaus Schöneberg.

Der Klang der Freiheitsglocke hat Alfred Gleitze ein halbes Leben lang begleitet. In den 70er Jahren hörte er sie als Bezirksbürgermeister täglich um 12 Uhr in seinem Büro im Rathaus Schöneberg. Dort sitzt der SPD-Politiker seit 37 Jahren in der Bezirksverordentenversammlung. 25 Jahre wohnt er in der Badenschen Straße, den Rathausturm in Sichtweite.

Als die vom amerikanischen Volk gestiftete Liberty Bell heute vor genau 50 Jahren das erste Mal geschlagen wurde, stand Alfred Gleitze in der Menschenmenge, die sich vor dem Rathaus versammelt hatte. Die Familie des 16-jährigen war wenige Monate zuvor aus Ost-Berlin geflüchtet. Gleitze war allein zum damaligen Rudolph-Wilde-Platz gefahren. "Volksfeststimmung" habe an diesem Vormittag am Rathaus geherrscht, erinnert er sich. Zu Tausenden strömten die Menschen herbei. "Es war knackevoll".

Für die Redner - darunter John McCloy, Hoher Kommissar der USA für Deutschland und Oberbürgermeister Ernst Reuter - war auf der Rathaustreppe ein Podest aufgebaut. Der Turm war eingerüstet. Drei Tage zuvor war das über zehn Tonnen schwere Stück 60 Meter in die Höhe gehievt worden. Kurz vor zwölf "wurde rückwärts gezählt, wie beim Start einer Rakete", erzählt Gleitze. "Und prompt läutete die Glocke erst einmal nicht". Als Bezirksbürgermeister erfuhr er später den Grund: Ein Kurzschluss hatte einen Motor zum Erliegen gebracht. Die Glocke musste von Hand bedient werden.

Eine Mischung aus Dankbarkeit und Sicherheitsbedürfnis habe die Menschen damals zum Rathaus gezogen, sagt Gleitze. Der Krieg brachte Berlin "den totalen Zusammenbruch". Die Blockade der Sowjets war gerade überstanden. Die Berliner hätten den West-Allierten "zeigen wollen, dass es sich lohnt, diesen Aufwand zu treiben".

Die Annäherung an die US-Schutzmacht erlebte Gleitze auch in der eigenen Familie. Der Vater, Professor und ein traditioneller Sozialdemokrat, wurde nach dem Krieg von den Sowjets in die Verwaltung gesetzt. Dass Sozialdemokraten im Osten mitbestimmen können, habe sich aber bald als "Illusion" erwiesen. Die Familie setzte sich auf abenteuerliche Weise ab und zog nach Lichterfelde - in eine Nachbarschaft mit US-Militärs. "Wir haben ein inniges Verhältnis zu den Amerikanern entwickelt, sagt Gleitze. Er lernte den Nachbarsjungen Jimmy kennen, sah den ersten Baseball seines Lebens.

"Umso enttäuschter war ich in den 60er Jahren über den Vietnamkrieg", sagt Gleitze. Sein Engagement gegen diesen Krieg haben ihm einige SPD-Genossen 1968 übel genommen. Ein Foto in der Diele der Gleitzes zeigt Parteifreude mit einem Transparent: "Ristock, Gleitze, Beck - die drei müssen weg". Er sei damals bestürzt gewesen, wie die USA in Teilen der Welt auftrat. An seiner Überzeugung habe das aber nicht gerüttelt. Ohne die USA wäre West-Berlin nicht frei geblieben.

tob

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false