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Zwei von 434. Same Ghati und Ramadan Shawesh gehören zu den wenigen Libyern, die in Berlin leben.

© Doris Spiekermann-Klaas

Libyer in Berlin: Im Widerstand zusammenwachsen

Nur 434 Libyer leben in Berlin, aus Angst vor Gaddafi haben sie sich bisher nicht vernetzt Durch die Geschehnisse in ihrer Heimat lernen sich die Landsleute in der Stadt neu kennen.

Neun Plakate hat Same Ghati mitgebracht, zum Auswärtigen Amt, wo er für die Freiheit des libyschen Volks demonstrieren will. Neun Plakate sind es, doch nur ein weiterer Mann, Ramadan Shawesh, ist gekommen, um sie mit ihm gemeinsam hochzuhalten. Sieben Plakate sind übrig, und die beiden Männer müssen sie an einen Bauzaun lehnen. Immer wieder stößt der Wind die Plakate um. „Das wird heute nichts“, sagt Ghati. Nach zehn Tagen der Proteste geht den Libyern in Berlin ein wenig die Luft aus. „Die Leute werden müde“, sagt Shawesh, „wir müssen schließlich auch arbeiten gehen“.

An diesem Mittwochnachmittag vor dem Auswärtigen Amt zeigt sich, wie schwierig es für die Exil-Libyer ist, ihren Protest in den Alltag zu tragen. In den vergangenen Tagen hatten sie immer wieder vor der Botschaft ihres Heimatlandes demonstriert; da waren es manchmal rund 60 Menschen. Sie gingen für ein freies Libyen auf die Straße. Täglich wollen sie demonstrieren, so lange, bis Gaddafi gestürzt ist. Das hat Same Ghati auf seiner Internetseite angekündigt, über die er die Proteste organisiert.

Eine libysche Gemeinde gibt es in Berlin eigentlich gar nicht. „Wir Libyer sind einfach zu wenige“, sagt Ghati. 434 Libyer sind in Berlin gemeldet. Lange sei es für sie schwierig gewesen, überhaupt ein Visum zu bekommen, erzählt Ghati. Sie kamen aus dem Staat, der über dem schottischen Lockerbie eine Maschine der PanAm in die Luft gejagt hatte, der in Berlin den Bombenanschlag auf die Diskothek „La Belle“ befohlen hatte.

Ghati selbst hat einen deutschen Pass, denn seine Mutter ist Deutsche. Er wurde in Deutschland geboren, wuchs in Libyen auf und kam nach dem Abitur zurück nach Deutschland. Die Frage, wie viele Deutsche wie Ghati libysche Wurzeln haben, kann die Senatsverwaltung nicht beantworten. Bekannt ist nur, wie viele Libyer eingebürgert werden: 17 waren es in den Jahren 2005 bis 2009.

Seit zwanzig Jahren versucht Ghati, 46, sich mit Libyern auszutauschen, einen libyschen Kulturverein ins Leben zu rufen. Bisher ist es ihm nicht gelungen. Ein libysches Restaurant oder Café? Ghati zuckt mit den Schultern. So etwas kennt er nicht. Vielleicht fünfzehn Libyer kannte er, bevor Gaddafis Regime ins Wanken geriet. Nun sind es schon vierzig, schätzt Ghati. In den vergangenen Wochen hat er Landsleute kennengelernt, die seit zehn Jahren in Berlin leben – denen er aber nie zuvor begegnet war.

Dass so wenige Libyer in Berlin leben, ist nur einer der Gründe dafür, dass es kaum libysches Gemeinschaftsleben gibt. „Libyer im Ausland haben wenig Kontakt zueinander, denn sie haben Angst“, sagt Ramadan Shawesh, 48. Er meint die Angst, die sie haben mussten und noch immer müssen, wenn sie sich als Gegner des Gaddafi-Regimes zu erkennen geben. Shawesh erzählt davon, wie Misstrauen die Treffen von Exil-Libyern erschwerte. Wer für oder gegen Gaddafi war, wer vielleicht sogar für den Geheimdienst des Regimes arbeitete – bei diesen Fragen konnte sich niemand sicher sein. Die meisten Libyer in Deutschland seien außerdem Studenten, erzählt Shawesh. Sie seien vom Regime finanziell abhängig, denn sie bekämen Stipendien. Auch der Ingenieur Shawesh, 48, kam als Student, heiratete eine Deutsche und blieb.

„Wir fordern Demokratie“, steht auf den Plakaten, die Ghati mitgebracht hat. Am Samstag soll es wieder eine große Demonstration geben. Auf hunderte Teilnehmer aus ganz Deutschland hofft Ghati. Sollte Gaddafis Regime fallen, will er seine Kraft nicht mehr dafür nutzen, eine libysche Gemeinde in Berlin aufzubauen. Same Ghati sagt: „Wenn Gaddafi weg ist, fahren wir alle nach Hause.“

Karin Christmann, Mareike Mannigel

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