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Berlin: Lichterfelder Revolution

Eine Ausstellung widmet sich der ersten elektrischen Straßenbahnstrecke

Die Jungs holten sich Metalldrähte aus einem Zaun und legten sie quer auf die Schienen. Es zischte und funkte – dann stand die erste elektrische Straßenbahn der Welt in Lichterfelde bei Berlin durch einen Kurzschluss still. Ihr Strom wurde anfangs durch die Gleise geleitet, Plus und Minuspol lagen sich gegenüber, es war leicht, dem Betreiber des neuen Verkehrsmittels, der Siemens&Halske AG Berlin, Streiche zu spielen. Doch nicht nur dreiste Jugendliche brachten so den Fahrplan durcheinander. Auch Droschkenpferde lösten Kurzschlüsse aus, wenn sie die Geleise mit ihren eisenbeschlagenen Hufen überquerten. Sie bekamen heftige Schläge, stürzten oder gingen durch.

Vor rund 120 Jahren, am 16. Mai 1881, rumpelte die Bahn erstmals durch den damals noch unabhängigen südwestlichen Berliner Vorort Lichterfelde – von der Hauptkadettenanstalt in Lichterfelde-West zum Bahnhof Lichterfelde-Ost. Deshalb widmet das „Museum Steglitz“ der ersten Elektrischen noch bis Ende Oktober eine Ausstellung. „1881 begann hier eine technische Revolution – der Siegeszug der öffentlichen Verkehrsmittel mithilfe des von Werner von Siemens entwickelten E-Motors,“ sagt Museumsleiterin Gabriele Schuster.

Der rastlose Berliner Erfinder und Industrielle hatte zuvor jahrelang für die Verwirklichung seiner Vision von „lautlosen, dynamoelektrisch angetriebenen Bahnen“ mit dem Magistrat gerungen. 1880 wollte er eine strombetriebene Hochbahn durch die Friedrichstraße nach Kreuzberg bauen. Doch Anwohner protestierten erfolgreich beim Kaiser, sie fürchteten, die Passagiere würden in ihre Fenster schauen.

Gleichwohl lagen die Vorteile des Elektroantriebes auf der Hand. So bekam Werner von Siemens schon ein Jahr später seine große Chance im heutigen Steglitzer Ortsteil Lichterfelde-West: Dort konnte er die 2,5 Kilometer lange, stillgelegte Strecke einer früheren Transportbahn nutzen. Die erste Elektrische bestand aus einem Wagen mit zwölf Sitzen und acht Stehplätzen. Der Strom wurde von einem dampfgetriebenen Dynamo in Lichterfelde-Ost erzeugt. 20 km/h Höchstgeschwindigkeit erlaubte die Polizei, obwohl der 5-PS-Motor 40 km/h ermöglicht hätte. Und 20 Pfennige zahlte man für die zehnminütige Fahrt. Das war teuer, es entspräche heute etwa 20 Euro. Dennoch wurde das „neuartige Vehiculum“ von Neugierigen gestürmt.

Bis 1890, als die Strecke zum Bahnhof Lichterfelde-West verlängert wurde, war auch das Kurzschluss-Problem gelöst: Man installierte erste Oberleitungen und Stromabnehmer. Nun fuhr die Elektrische von Lichterfelde schon bald in die Reichshauptstadt Berlin und hinaus in die Welt. Bis 1902 waren die Berliner Pferdebahnen nahezu durch Elektrozüge ersetzt. Und zur gleichen Zeit fuhren Straßenbahnen bereits durch Paris, London oder New York. Christoph Stollowsky

Museum Steglitz in Lichterfelde-West, Drakestraße 64A, Tel.: 833 21 09, Ausstellung geöffnet bis 31. Oktober, Mo. 16–19 Uhr, Mi. 15–18 Uhr, So. 14–17 Uhr.

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