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Berlin: Liebe und Maschinenpistolen

Sie sitzt in der Sofaecke und murmelt. Wenn eine Katze murmelt, müssen Menschen wie ich schon genau hinhören, um überhaupt zu merken, dass sie murmelt.

Sie sitzt in der Sofaecke und murmelt. Wenn eine Katze murmelt, müssen Menschen wie ich schon genau hinhören, um überhaupt zu merken, dass sie murmelt. Von verstehen kann keine Rede sein. Was Frau Hoffmann murmelt, klingt wie „amat, amamus“. Doch das ist Latein, und Lateinisch kann sie nicht; Wenn das dieser süddeutsche Kultusminister wüsste, der kürzlich meinte, alle Schüler sollten erst einmal Latein lernen, bevor sie englische Songtexte der Popstars entziffern. Nun käme es Frau Hoffmann nie in den Sinn, Popsongs zu studieren. In diesem Haus lernt man eher Schillers „Glocke“ auswendig, als sich mit einem Lied von Bob Dylan zu beschäftigen. Also frage ich leichthin: „Gibt es ein Problem?“

„Nein. Alles unter Kontrolle.“

„Gut, dann ist ja alles in Ordnung.“

„Ja, es ist alles in Ordnung.“

Nach diesem geistreichen Wortwechsel würde auch der dümmste Fernsehkommissar misstrauisch. Das weiß die Katze ebenso wie ich und kommt mir mit ihrer Frage zuvor: „Weißt du, was caritas auf Deutsch heißt?“

„Klar weiß ich das. Caritas heißt Liebe. Das Wort ist gerade erst durch Benedikt VI. wieder populär geworden.“

„Darum frage ich ja. Überall erwähnt man ihn und seine Caritas-Rede. Also ,Liebe‘! War die vorher nicht populär?“

Typisch Katze. Erst unverständliches Zeug murmeln und dann ein philosophisches Problem aus dem Hut ziehen wie den Maulwurf aus der Erde. In meiner Zeit sind die Fräuleins rot geworden, wenn das Wort ,Liebe‘ in ihrer Gegenwart ausgesprochen wurde. Heute laufen sie schon Amok, wenn man sie mit Fräulein anredet, ohne von der Liebe mehr zu wissen als die Wurst vom Senf.

„Wo kann ich mich denn über die Liebe informieren? Im Fernsehen?“

„Überall wo du Menschen siehst, viele Menschen, selbstverständlich, da herrscht Liebe.“

„Also ist Liebe Gedränge?“

„Nur auf dem Petersplatz, wo man das Wort Caritas nicht in andere Sprachen übersetzen muss.“

„Großes Gedränge sehe ich jeden Tag im Fernsehen. Ist das immer demonstrierte Liebe?“

„Welches Gedränge meinst du?“

„Die vielen jungen Männer, die sich in allen Teilen der Welt auf Straßen drängen und Maschinenpistolen schwenken. Handelt es sich dabei um Liebe?“

„Sind Frauen dabei?“

„Nein, nie.“

„Dann wohl kaum. Es sei denn, du hast in eine Street-Parade der Schwulen gezappt.“

„Sind das die, die von der Liebe ausgeschlossen sind?"

Was für eine Frage! Sage ich „ja“, applaudieren mir Fundamental-Klerikale, und ich kriege Ärger mit meinem schwulen Sohn; sage ich ,nein‘, muss ich Frau Hoffmann erklären, was mit den schwulen Hunden und den lesbischen Kühen ist, die sie vom Fenster aus beobachten kann. Also mache ich eine weite Armbewegung und setze zu einer allgemeinen Erklärung an:

„Wer mit Maschinenpistolen droht, ist von der Caritas so weit entfernt wie der Papst von Palästina.“

„Ich sehe solche Jugendliche aber auch in Kabul, in Südamerika, in Teheran und in Afghanistan. Sind das alles Schwule?“

„Leider nein; eher das Gegenteil. Zu viel Testosteron, zu wenig Grips.“

„Und die sprechen alle Latein?“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Sie könnten sonst ja die Papstrede nicht lesen.“

„Mach dir keine Sorgen. Die lesen sowieso nur Gebrauchsanweisungen für ihre Pistolen. Und die gibt es in allen Sprachen, einschließlich Deutsch.“

„Miau. Dann bin ich ja beruhigt.“

„Ich leider nicht. Wau-wau.“

Ich habe etwas zu laut gebellt. Frau Hoffmann springt erschrocken zur Seite und sieht mich vorwurfsvoll an. Dabei habe ich ihr lediglich klar machen wollen, dass alles Gerede über die Liebe angesichts nationalistischer Mörderbanden eben nur Gerede ist.

— Der Autor ist Deutschlands bekanntester Gastrokritiker und kennt sich auch bei Katzen aus. Ganz besonders bei Frau Hoffmann, seiner schlauen Mitbewohnerin. Sie hat zu allem etwas zu sagen.

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