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Liebig 14: Jetzt gehört es den Entrümplern

In Friedrichshain zieht langsam wieder der Alltag ein. Das umstrittene Haus dient als Fotomotiv – zur Erinnerung an Besetzerzeiten

Erwin, der Mittsechziger mit den langen weißen Haaren, stützt sich auf sein Rad an der Ecke Liebig-/Rigaer Straße und sagt: „Ick hätt’ als Alt-68er nicht so rasch vor den Bullen Kusch gemacht.“ Damals, bei der Studentenrevolte, sei alles „einen Zacken schärfer“ gewesen. Ein paar Jugendliche aus der nahen Berufsschule umringen Erwin und hören ihm etwas gelangweilt zu wie bei einer Museumsführung. Fasziniert sind sie von dem, was auf der anderen Straßenseite passiert: Da kracht es im Hinterhof des am Mittwoch geräumten Hauses Liebigstraße 14. Arbeiter schleudern Sofas, Sessel und anderes Mobiliar aus den Fenstern. Gerade mal 24 Stunden sind vergangen seit dem Einsatz von 2500 Polizisten gegen die Bewohner, da rückt am Donnerstag schon die nächste Truppe an: die Entrümpler.

Vor dem Haus stehen drei grüne Container hintereinander, bis zur Kante gefüllt mit zerborstenem Inventar. Lastwagen einer Recyclingfirma fahren vor, die Container werden hinaufgehievt. Ansonsten herrscht Ruhe im Quartier, fast wie in einer Kleinstadt. Nur zwei Polizeiwagen stehen am Straßenrand, einige Posten laufen Patrouille. Doch sie haben kaum etwas zu tun. Nur vereinzelt lassen sich Protestler der vergangenen Tage hier sehen.

„Kaum zu glauben nach dem Demolärm“, sagt Wolfgang Mese, ein Mittvierziger aus der Nachbarschaft. Er macht sich’s auf einem Stuhl am Eck mit Espresso und Kippen bequem und sieht den Konflikt unter denkmalspflegerischen Gesichtspunkten. „Es war eines der letzten alternativen Wohnprojekte in Berlin aus der Besetzerzeit, schade drum.“

Eine junge Frau aus dem nahen Samariterviertel fotografiert mit ihrem Handy das umstrittene Gebäude. „Zur Erinnerung“, sagt sie. Bald sehe es hier ja langweilig aus. Aber noch ist die Fassade so bunt wie ein Osterei mit Parolen bepinselt. Um die Balkone ist zur Abwehr Nato-Stacheldraht gewickelt. Ein Plakat verkündet Thesen des Anarchisten Erich Mühsam. „Sich fügen heißt lügen.“ Und vor einer verrammelten Haustür hat jemand einen Altar mit roten Grabkerzen aufgebaut. „Hier starb kein Mensch“, steht über dem Kreuz zu lesen. „Aber die Menschlichkeit, Vielfalt und Gerechtigkeit.“ Weiße und lila Tulpensträuße umrahmen die kleine Gedenkstätte. Eine Mutter mit Kinderwagen steht eine ganze Weile still davor. „Die haben ja recht“, sagt sie dann leise. Zwei ältere Anwohner aber ärgern sich kräftig. Das sei doch geschmacklos.

Ein gutes Geschäft dank der Räumung macht die Bäckerei an der Ecke. Hier wärmt sich jeder gerne mal auf, egal, von welcher Fraktion. Zwei junge Frauen, schwarze Jeans und Pullover, kauen Stückchen und schauen zur Liebigstraße 14. Trübsinn im Gesicht. „Die Leute da drüben waren immer nett und hilfsbereit. Man fühlte sich wohl“, sagen sie. Neben ihnen nippt ein Polizist am Cappuccino.

Als es langsam dunkel wird, kommen ein paar junge Männer mit schwarzen Kapuzen, Bierflaschen in der Hand, leicht schwankender Gang, und verharren vor dem Haus. Die Polizisten gehen demonstrativ etwas schneller hin und her. Doch es ist wohl nur ein Abschiednehmen.

Christoph Stollowsky

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