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Berlin: Liedermacher soll Kinder beim Casting missbraucht haben

Anklage wirft Kurt Demmler 212 Fälle vor. Der 65-Jährige kam vermummt und schwieg

Seine schwarze Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen und den Kragen der dunklen Skijacke hochgeschlagen. Als Angeklagter wollte sich Kurt Demmler, einer der erfolgreichsten Rocktexter der DDR, nur vermummt filmen lassen. Der 65-Jährige, der den Nina-Hagen-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“ schrieb und für DDR-Rockgruppen wie Puhdys, Karat oder Karussell textete, steht seit Donnerstag wegen sexuellen Missbrauchs von sechs Mädchen vor Gericht. Sie waren laut Anklage zehn und 14 Jahre alt.

212 Fälle listete der Staatsanwalt auf. Taten, zu denen es zwischen August 1995 und November 1999 in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg und einmal auch in seiner Villa im märkischen Storkow gekommen sein soll. Die Opfer waren den Ermittlungen zufolge Mädchen, die er unter dem Vorwand eines Castings für eine Band angelockt habe. Sie sangen, tanzten und träumten von Auftritten. Jahrelang sollen sie über die dunkle Seite des Unterrichts geschwiegen haben. Eines der Mädchen missbrauchte er laut Anklage in mehr als 180 Fällen. Er soll die Schülerinnen auch zum Gruppensex gedrängt haben. Zwei von ihnen treten im Prozess als Nebenklägerinnen auf.

Ohne äußere Regung hörte Demmler die Vorwürfe. „Im Moment wird Herr Demmler keine Angaben machen“, erklärte seine Verteidigerin. Der Liedermacher nickte nur. Erst als eine Nebenklage-Anwältin sprach, meldete er sich zu Wort. „Ich verstehe kein Wort, bin schwerhörig.“ Es ging gerade um den Antrag, bei der Vernehmung der heute 22-jährigen Frau die Öffentlichkeit auszuschließen und auch den Angeklagten aus dem Gerichtssaal zu schicken. „Es besteht die Gefahr einer Retraumatisierung“, sagte die Anwältin. Angst- und Panikattacken sowie Suizidimpulse seien zu befürchten.

Demmler soll eine der Zeuginnen unter Druck gesetzt haben. In einer E-Mail habe er sie gedrängt, nicht auszusagen. Die Anwältin sagte, er habe ihrer Mandantin in Aussicht gestellt, sie dann in seinem Testament zu bedenken. Weil er versucht haben soll, Zeuginnen zu beeinflussen, wurde Demmler im August festgenommen. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe soll er bei der Polizei zurückgewiesen haben.

Mehr als 10 000 Texte hat Kurt Demmler geschrieben, manchmal gelangen ihm drei an einem Tag. Nachdem der studierte Mediziner 1985 mit „Die Lieder des kleinen Prinzen“ ein hoch gelobtes Album veröffentlicht hatte, nannte man ihn auch „Anwalt der Kinder“. In jenem Jahr erhielt Demmler den Nationalpreis der DDR. Im Wendeherbst 1989 war er Mitunterzeichner einer Resolution, mit der Rockmusiker Veränderungen in der DDR forderten. Später wurde es still um den Liedermacher. In den 90er Jahren hatte er versucht, mit einer Mädchenband zu arbeiten. Zuletzt lebte er zurückgezogen in Storkow. Eine erste Verurteilung wurde erst im Zusammenhang mit dem jetzigen Verfahren bekannt: Im November 2002 wurde gegen Demmler wegen sexuellen Missbrauchs ein Strafbefehl erlassen. Er musste 1800 Euro zahlen. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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