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Berlin: Lockende Leichtigkeit

Der NDR war nur zweiter Sieger: Mehr Jüngere saßen vor dem Fernseher – doch insgesamt weniger Zuschauer als früher

„Der Eurovision Song Contest ist wieder jung“, frohlockt der Norddeutsche Rundfunk. 28,2 Prozent Marktanteil in der Gruppe der 14- bis 49-Jährigen verbuchte der Vorentscheid „Germany 12 Points!“ am Freitagabend in der ARD. Die Show ist bunter, lauter, und knalliger geworden, orientierte sich in der Inszenierung an ähnlichen Veranstaltungen privater TV-Anbieter. „Unser Konzept ist aufgegangen“, freut sich Jürgen Meier-Beer, Unterhaltungschef des verantwortlichen NDR weiter, „wir haben über das junge Publikum einen musikalisch glaubwürdigen Vertreter Deutschlands für Istanbul gefunden.“ Der im Vorfeld als Favorit gehandelte Max siegte mit noch nie da gewesener Überlegenheit. Und das bei der „wichtigsten Wahl des Jahres“ (O-Ton Moderatorin Sarah Kuttner).

Und singen, singen kann er, der Max. Stefan Raabs Komposition, eine einwandfrei gefertigte Soul-Ballade mit Wurzeln in den 70ern, im modischen „Unplugged“-Stil exekutiert, ist schmerzfrei anzuhören und dürfte in keinem Fahrstuhl dieser Welt störend auffallen. Dass dies aber „angesagte deutsche Popmusik“ ist, muss stark bezweifelt werden. Doch darum sollte es eigentlich gehen: für eben jene angesagte deutsche Musikszene internationalen Respekt einzufordern.

Dafür änderte Jürgen Meier-Beer, laut Raab der „Bernie Ecclestone des Grand Prix“, die Zugangsregeln, dafür wurde ein angeblich völlig neues Konzept aus dem Boden gestampft. Rezept: Man nehme ganz viel junges VIVA, um den bisweilen flau schmeckenden ARD-Eintopf aufzupeppen, und vor allen Dingen nehme man nur erstklassige, etablierte Top-Zutaten aus der Hitparaden-Boutique; all das überlagerte, welke Zeug aus dem Schlagerladen werfe man lieber in die Tonne. Klingt prima, wird aber ad absurdum geführt, wenn dann doch noch eine „wild card“ ausgerechnet an Stefan Raab vergeben wird, hinter dem – und damit seinem Kandidaten – die geballte Synergie-Power eines veritablen Medien-Konzerns steht. Spätestens nach dem Finale von Raabs Castingshow stand eigentlich schon fest: Es kann nur einen geben! Da konnte „Scooter“, die Stimme der Jungs von der Raupe und der Einkaufswagen-Zusammenschieber, noch so laut „JiggaJigga!“ brüllen, konnten „Mia“ ihr „Hungriges Herz“ beschwören, konnte Laith Al-Deen „Höher“ hinauswollen: Keine Chance! Zusammen erreichten alle „etablierten“ Acts im ersten Wahlgang gerade mal 34 Prozent. Teilt man dieses Ergebnis durch 9 … ach, lieber nicht. Selbst die abgebrühten Techno-Rabauken von „Scooter“ mussten einem Leid tun, als bekannt wurde, dass Max sie mit 93 Prozent stramm abgebügelt hatte. Wie gesagt: So viel Überlegenheit war nie. Also steht das ganze Land nahezu geschlossen hinter Raabs Max – und Geschlossenheit kann das Land brauchen in diesen Zeiten.

Es scheint allerdings etwas kühn, bei einem Marktanteil von 17,8 Prozent – nimmt man alle Zuschauer und nicht nur die „Jugendlichen“ – vom ganzen Land zu sprechen. Zumindest in diesem Punkt ist das neue Konzept nicht aufgegangen. Die Gesamtzuschauerzahl ist gegenüber dem schon recht enttäuschenden letzten Jahrgang sogar noch gesunken. Mit megageiler VIVA-Leichtigkeit jedenfalls ist der störrische ARD-Seher, so scheint’s, nicht zu locken.

Jörn Wöbse

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