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Lomografischer Stadtführer: Die unperfekte Hauptstadt

Eine neuer lomografischer Stadtführer bietet über 260 Tipps in deutscher und englischer Sprache und rund 1000 analoge Fotografien.

Auf den ersten Blick ist klar: Das ist kein Stadtführer, um ihn der Großtante zum ersten Berlin-Besuch zu schenken. Es sei denn, die Großtante hätte Interesse an Barbecue-Partys auf Fabrikdächern in Mitte, an ehemaligen Bordellen in Kreuzberg, Paternoster-Fahren in Schöneberg oder an illegalem Campen auf dem Teufelsberg. Sie müsste aber auch Gefallen an einem bunten Sammelsurium aus nicht selten mal unter-, mal überbelichteten und hin und wieder auch verwackelten Schnappschüssen haben. Dann könnte der am Donnerstag erschienene „Lomography City Guide Berlin“ doch genau das Richtige sein.

Der neue Stadtführer bietet über 260 Tipps in deutscher und englischer Sprache und rund 1000 analoge Fotografien. Da das Buch wie auch schon seine beiden Vorgänger über Wien und Hongkong von der 1992 gegründeten „Fotoinitiative Lomografische Gesellschaft“ herausgegeben wird, sind die Fotos viel mehr als nur schmückendes Beiwerk. Die Schnappschüsse sind in ihrer jungen und lebendigen Art eine liebevolle, höchst subjektive und manchmal sehr poetische Momentaufnahme der Stadt und sind alle nach den goldenen Regeln der Lomografie entstanden: Fotografiere analog, spontan, überall, ohne nachzudenken und am besten aus der Hüfte. Die Lomografie ist eine Stilart, die nach der in St. Petersburg zwischen 1983 und 2005 produzierten Kleinbildkamera „Lomo Compact Automat“ benannt ist und den häufigen Makel preiswerter Sucherkameras, die technische Unperfektheit, zum gewollten Ziel erklärt. Über 50 Fotografen, Berliner und Touristen, haben die Fotos gemacht und ausgewählt. Darauf werden längst nicht nur touristische Highlights wie der Fernsehturm, der Gendarmenmarkt oder das Nicolaiviertel gezeigt, sondern auch Menschen wie ein Punk aus Friedrichshain, Street-Art-Künstler aus Kreuzberg oder ein Briefträger aus Mitte. Auch Abgelegenes wie das Stadion an der alten Försterei, die „III. Städtische Irrenanstalt“ in Berlin-Buch oder das Olympische Dorf von 1936 in Wustermark haben ihren Platz.

Manches wirkt erzwungen trendig und etwas geschummelt

Aufgeteilt sind die Tipps in Kategorien von „Urban Adventure“ und „Summer Love“ über „Winter Inferno“, „Döner & Buletten Paradise“, „Night Fever“ bis zu „Art & Culture“. Sie werden ergänzt durch persönliche Tipps von in Berlin lebenden Kreativen und Unternehmern sowie von Kartenmaterial und mehreren Tourenvorschlägen, zum Beispiel einer Radtour von Gatow bis Sacrow. Vieles wie die großen Parks, Museen, Kinos und Clubs, das Holocaust-Mahnmal, eine Trabi-Safari oder ein Spaziergang über die Kastanienallee ist nicht neu, aber die Klassiker werden nicht mit leblosen Hochglanzansichten illustriert. „Lomografie sucht den Überraschungseffekt, das Unperfekte und das Experiment“, erklärt die 31-jährige Melanie Tönnies, General Manager des Lomography Gallery Stores in der Friedrichstraße. Zu diesem Credo passend liefert der Führer Hinweise auf Verstecktes, Ungewöhnliches und Temporäres wie die Demonstrationen von Mediaspree, die hungrigen Spatzengangs vom Alexanderplatz und das Schlittschuhparadies an der Rummelsburger Bucht. Auch die besten Hundesalons, Fleischereien und Friseure eines Kiezes, die schrägsten Karaokeschuppen und Institutionen wie das Möbel Olfe in Kreuzberg sind dabei.

Ein kleines Manko: Manches wirkt erzwungen trendig und etwas geschummelt, wie der für den heutigen Berlin-Besucher nutzlose Hinweis auf das Ende der legendären Bar 25 – ein Verweis auf den Nachfolger „Kater Holzig“ fehlt dafür – oder der Tipp mit der Sommer- und Winterolympiade für Stofftiere und Puppen. Die war eine Kunstaktion des zwar immer noch aktiven Berliner Kollektivs „Club Real“, findet aber schon seit 2006 nicht mehr statt. Und auch vor kleinen Fehlern wie der Datierung des Schweizerischen Nationalfeiertags auf den 14. August ist der Stadtführer nicht gefeit.

In der Summe überwiegen aber die spannenden, ungewöhnlichen Seiten, nicht nur für Berlin-Touristen. Denn auch Berlinern macht das Buch Lust auf ihre Stadt. Vielleicht sogar darauf, mal mit einer kleinen, analogen Kamera loszuziehen, 36 Fotos aus der Hüfte zu schießen und voller Ungeduld auf die Entwicklung der Ergebnisse zu warten.

16,90 Euro. Derzeit nur im Lomography Gallery Store, Friedrichstraße 133, (Mo–Sa 10–20 Uhr) oder auf www.lomography.de.

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