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Berlin: Ludwig Gottschalk: Kunst auf dem Klo

Toiletten haben viele Eigenschaften. Vor allem aber haben ihre Besucher Zeit und Muße - gezwungenermaßen.

Toiletten haben viele Eigenschaften. Vor allem aber haben ihre Besucher Zeit und Muße - gezwungenermaßen. Das ist in der Charlottenburger "Rosalinde" nicht anders als im Schöneberger "Ypsilon", im "Schachulski" in Friedenau, im "Dicken Engel" in Tiergarten und in zwölf weiteren Berliner Lokalen. Dort wird dem Gast augenblicklich zu seinem menschlichen Bedürfnis etwas fürs Auge geboten: "Kunst am Ort". Der Gast sieht auf tiefes Blau, durchzuckt von aggressivem Rot und grellem Gold - und liest auch, wer dafür künstlerisch verantwortlich ist. "Ludwig Gottschalk: Naive und experimentelle Malerei und Autor" steht auf dem Plakat, und für alle , die mehr wissen wollen, auch die Adresse: Thomas-Dehler Straße 5.

Dort öffnet der Klo-Künstler in Bermudas die Tür. In der Wohnung duftet es aus einem Papiertütchen überall nach Rosen, das Ambiente ist mit Möbeln der 40er und noch früherer Jahre bürgerlich gediegen, an den Wänden zeigen Gottschalk-Bilder bunte Blumen und einen heimeligen Marktplatz irgendwo in Deutschland. Alles lässt mehr auf einen Beamten tippen, als auf einen Maler, der sein in 15 "Örtchen" aushängendes Kunstwerk "Panik" genannt hat.

Ludwig Gottschalk ist beides - Beamter und Maler, und Panik hatte er schon oft. Beispielsweise, als er 1972 schwer mit dem Auto verunglückte. Seitdem sieht er mit dem linken Auge nichts und mit dem rechten zwanzig Prozent weniger. Mit einem Bild für seinen "Zyklus der Gefühle", mit dem der 49-Jährige positive und negative Erfahrungen auszudrücken versucht, konnte er sich damals noch nicht aus dem tiefen Loch helfen, in das ihn der Unfall stürzte - zu der Zeit hatte er keinen Pinsel je angefasst. Damals lebte der gebürtige Braunschweiger noch in Gifhorn.

"Gifthorn" sagt Gottschalk und meint damit sein Leben in der niedersächsischen Kleinstadt, in der er Notargehilfe lernte und später im Finanzamt seine Beamtenlaufbahn startete. Um weiter zu kommen, fuhr er vier Jahre zum Abendgymnasium nach Braunschweig und holte das Abitur nach. Das war leicht, das Leben in Gifhorn fiel schwerer - Drogen und Alkohol ließen es nicht bunter werden, und vom Malen träumte er damals noch nicht mal. "Als Schüler hatte ich sogar eine Fünf in Kunst", erinnert er sich.

Der Tod der Mutter ermöglicht ihm die "Flucht" aus der ungeliebten Kleinstadt. Gemeinsam mit seinem Lebensgefährten zieht er 1983 nach West-Berlin - beruflich strebt er hier in den gehobenen Dienst und privat in die Freiheit der anonymen Stadt. 17 Jahre später wird er im Finanzamt Friedrichshain / Prenzlauer Berg als Amtmann bezahlt und auf Sylt zu seiner Vernissage als Maler gefeiert. Statt mit Drogen und Alkohol ist er mit Wasser glücklich - und mit Malen. "Mal doch auch mal", hatte einer aus dem neuen Berliner Freundeskreis 1984 zu Ludwig Gottschalk gesagt und ihm dazu gleich ein paar Ölfarben geschenkt. Damit malt der Autodidakt "anfangs nur piepselig kleine Sachen" - heile Welten, die er so nie zuvor sah.

Von naiver Malerei hatte er auch noch nichts gehört, als man ihn schon mit tschechischen Naiven verglich. Der ersten Ausstellung 1990 in der Rixdorfer Bilderkneipe sind längst andere in Hamburg, Frankfurt / Main und Karlovy Vary gefolgt, eben gerade bis 26. September eine in Westerland. Dort hängt auch sein Lieblingsbild, eine winterliche Idylle mit Schlittschuhläufern, allerlei Wassergetier und tiefverschneiten Häuschen, in der Ferne sieht man einen Kirchturm ragen.

Nicht nur naive Sehnsüchte malt sich Gottschalk von der Seele, auch immer öfter das, was er seine experimentelle Phase nennt: "Gefühlsbilder" in Blau für Tiefe, Gold für Energie und Rot für Aggression - wie seine "Panik" auf dem Klo. Und seit 1992 schreibt der Amtmann auch noch Geschichten zu seinen Bildern. Sein jüngstes Buch hat der kunstmalende Beamte dort angesiedelt, wo er sich seine Pension verdient - "Morde im Finanzamt und andere Grausamkeiten".

Heidemarie Mazuhn

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