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Auch die Eckkneipe "Freies Neukölln" musste aufgrund einer Mieterhöhung schließen. Hier ist jetzt ein asiatisches Restaurant.

© Kitty Kleist-Heinrich

Luxusloft statt Kleingewerbe: Steigende Gewerbemieten bedrohen die Vielfalt in Nord-Neukölln

Die Gentrifizierung bedroht in Neukölln nicht nur Mieter. Auch Kleinunternehmer müssen wegen steigender Mieten zunehmend aus dem Kiez weichen.

„Es gibt Läden, die ziehen gerade das dritte Mal um“, berichtet André Batz, Vorstandsmitglied von Kreativnetzwerk Neukölln, einem Zusammenschluss lokaler Kleinunternehmer. Aus Nord-Neukölln erreichen ihn vermehrt Anrufe von Einzelhändlern, Kitas und Künstler, die sich nach wiederholten Erhöhungen die Mieten ihrer angestammten Lokale und Ateliers nicht mehr leisten können. Der Mietspiegel, der exorbitante Preissteigerungen bei Wohnungen verhindern soll, gilt nicht für Gewerbeimmobilien. Clemens Mücke, Leiter der Wirtschaftsförderung vom Bezirksamt Neukölln, erklärt: „Die Gewerbemieten sind grundsätzlich frei verhandelbar“, was lange Zeit auf Grund der vielfältigen verfügbaren Flächen kein Problem gewesen sei. Doch angesichts der in den vergangenen Jahren gestiegenen Konkurrenz um die wenigen freien Lokale sei es naheliegend, dass Vermieter diejenigen Unternehmer bevorzugen würden, die bereit seien, mehr Miete zu zahlen.

So müssen immer mehr Traditionsgeschäfte den Kiez verlassen. Die lokale Institution offene Siebdruckwerkstatt Neukölln (SDW) etwa musste Ende Juni ihren Betrieb einstellen. Der SDW wurden im Februar nach über zehn Jahren die Räumlichkeiten in der Pflügerstraße gekündigt, ein neues Studio ist noch nicht in Sicht. 

Umbau zu Luxuslofts

Verschärft wird das Problem laut Mücke durch die Umwandlung von Gewerbe- in Wohnflächen. Die in Neukölln traditionell in den Hinterhöfen angesiedelten Werkstätten und Remisen würden zunehmend zu Luxuslofts umgebaut. Zwar unterliegen mittlerweile fast alle Teile Nord-Neuköllns dem Milieuschutz – erst vergangene Woche kündigte das Bezirksamt die Schaffung zweier neuer Milieuschutzgebiete an –, doch dieser greift nicht für Gewerbeflächen.

Der rot-rot-grüne Senat bereitet aktuell eine Gesetzesinitiative für den Bundesrat vor, die den Milieuschutz auf Gewerbeflächen ausweiten soll. So sollen Traditionsbetriebe vor Verdrängung geschützt werden. Bislang nutzen die Eigentümer jedoch häufig die Gesetzeslücke, die bei der Umwandlung von Gewerbe- in Wohnraum entsteht. „Vermieter müssen in Milieuschutzgebieten eine Luxussanierung von Wohnraum behördlich genehmigen lassen. Wenn die Wohnung jedoch vorher keine Wohnung, sondern ein Gewerbe war, lässt sich auch kaum festlegen, ob es sich um eine Luxussanierung handelt“, so Mücke. Auch Rainer Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, sieht das juristische Schlupfloch: „Nach der aktuellen Gesetzeslage ist es möglich, die Gewerbefläche aufwendig zu sanieren und dann erst in einem zweiten Schritt eine Nutzungsänderung in Wohnraum zu beantragen“. Auf diese Art könnten Vermieter die Bestimmungen des Milieuschutzes umgehen. Eine Umwandlung von Gewerbe- in Wohnimmobilien sei in Gebieten, für die der Bebauungsplan eine gemischte Nutzung vorsehe, generell problemlos möglich. In Vierteln mit angespannten Wohnungsmärkten gehe auch die Schaffung von Wohnraum generell vor, merkt Mücke an.

"Wer baut denn für ein oder zwei Jahre eine Brauerei?“

Gerade für produzierende Gewerbe ist es so immer schwieriger, geeignete Produktionsstätten im Viertel zu finden. Robin Weber und Michèle Hengst, Geschäftsführer der Berliner Berg Brauerei, suchen seit einiger Zeit nach einer geeigneten Fläche für ihre Bierbrauerei. Es gäbe zwar unzählige Leerflächen, doch diese würden nur für wenige Jahre vermietet. „Uns werden lediglich Pachtverträge angeboten, die auf kurze Zeiträume befristet sind. Wer baut denn für ein oder zwei Jahre eine Brauerei?“, klagt Weber.

Viele Unternehmen müssen daher an den Stadtrand oder ins Umland weichen. Dort sind die Mieten zwar deutlich günstiger, doch auch die infrastrukturellen Bedingungen deutlich schlechter. Zudem sei es für kleine Gewerbe schwierig, die eigenen Mitarbeiter und den Kundenstamm vom Umzug zu überzeugen, so Mücke. Vor allem Handwerksbetriebe würden in Brandenburg häufig auch keine qualifizierten Fachkräfte finden.

Im Bezirksamt ist man sich der Problematik bewusst. So zeigt sich Jochen Biedermann (Grüne), Bezirksstadtrat für Neukölln, besorgt angesichts der aktuellen Entwicklung: „Wir bekommen als Bezirksamt regelmäßig Schreiben von Initiativen, sozialen Trägern, Vereinen und kleinen Gewerbetreibenden, die von hohen Mietsteigerungen oder Kündigungen betroffen sind“, sagt er und ergänzt: „Mich erfüllt der starke Anstieg der Gewerbemieten mit großer Sorge, da er die Vielfalt im Kiez bedroht“. Allerdings seien die legalen und politischen Möglichkeiten zum Schutz von Gewerbetreibenden sehr begrenzt. Man denke aktuell über eine Beschränkung der Schanklizenzen nach, um die „starke Ballung von Bars und Kneipen“ im Reuterkiez zu entschärfen, wie es auch in einer gemeinsamen Erklärung von SPD und Grünen heißt. Auch das bezirkliche Vorkaufsrecht könne die Perspektiven von Gewerbenutzungen langfristig sichern, so wie dies im Fall der Liberdastraße 10 gelungen ist. Mitte Juni hatte der Bezirk erstmals das Vorkaufsrecht genutzt und den Verkauf des Gebäudes an einen privaten Investor verhindert.

Vorbild könnte etwa die Initiative „Alter Schlachthof“ sein

„Es braucht aus meiner Sicht dringend Schutzinstrumente für Gewerbetreibende“, erklärt Biedermann. Nötig seien jedoch entsprechende Gesetze auf Bundesebene. Lisa Paus, Spitzenkandidatin der Berliner Grünen für die Bundestagswahl, regte derweil bei einem Frühstück mit Unternehmern die Gründung gemeinnütziger Gewerbeimmobilienprojekte an, ähnlich wie dies auf dem Wohnungsmarkt bereits üblich ist. Vorbild könnte etwa die Initiative „Alter Schlachthof“ sein, die sich gegen den Bau eines Einkaufs- und Kongresszentrums auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs im Dreiländereck Pankow-Friedrichshain-Lichtenberg wehrt. Die Aktivisten planen dort ein Dorf inmitten der Stadt, „das vor geschäftigem Treiben der Händler pulsiert, wo die Handwerker werkeln und die Gärtner über den idealen Rosenschnitt fachsimpeln“.

Die Verdrängung gemeinnütziger Organisationen und lokaler Produktionsbetriebe gefährdet die Vielfalt, für die der Kiez sich rühmt. „Wer möchte denn in einem Neukölln leben, in dem es nur noch Bars und Ketten gibt? Ich jedenfalls nicht“, meint auch André Gatz.

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