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Berlin: Lydia Zeller (Geb. Geb. 1921)

Sie liebte das Bunte, sie war mittendrin, sie war die ideale Zuschauerin

Die West-Berlinerin ist eine Frau, die alles übersteht, den eigenen Tod ausgenommen. Als damals die ersten Bomben auf Berlin fielen, wurde Lydia ins sichere Dresden geschickt. Sie überlebte den großen Brand, aber gesprochen hat sie nie davon. Der Vater war ein großer Mann in der Fleischerinnung und ein überzeugter SPD-Mann, was das Überleben nicht so leicht machte. Vater und Mutter legten Wert auf gute Erziehung und auf ein ordentliches Erscheinungsbild. Die Mutter nähte ihre Kleider selbst, trug große Hüte, liebte extra schicke Garderobe, denn Eleganz verdankt sich nicht dem Einkommen, sondern dem Geschick der eigenen Hände.

„In der Nazi-Zeit war Berlin eine Männerstadt. Heute dominieren die Frauen“, konstatierte die „Zeit“ Anfang der fünfziger Jahre: „Kommt man in ein Theater, so werden schätzungsweise drei Viertel des Publikums weiblich sein. Geht man in ein Lokal, so bemerkt man schnell, dass auf einen Mann zwei Frauen kommen.“

Es gab eine Zoodirektorin, eine Bezirksbürgermeisterin, eine Rias-Programmdirektorin, aber schnell sicherten sich die Männer wieder die Domänen. Lydia wurde Sekretärin. Die Ehe mit ihrem ersten Mann hielt nur kurz, dann traf sie auf „Hänschen“, der zum Kunstamtsleiter in Schöneberg avancierte, und folglich viel mit Künstlern zu tun hatte. Sie wohnten in einer großen Wohnung in der Mommsenstrasse, die Mutter kochte, was der Ehe gut tat. Kinder kamen keine, das hatte sich nicht ergeben, da wurde auch nicht drüber gesprochen. Sie besaßen ein Boot am Pohlesee, wo sie gern die Sonntage verbrachten. Es gab Amouren, aber die trübten nicht die eheliche Freundschaft, und es gab Willy Brandt, den Mann, zu dem sie gern aufsah.

Hans starb lange vor ihr, wie das die Männer vor Jahrzehnten häufig taten, damit die Frauen noch ein wenig eigenes Leben hatten. Lydia widmete sich von da an verstärkt ihrem eigenen Erscheinungsbild, was weniger mit Eitelkeit zu tun hatte als mit dem Bedürfnis, dem Leben einen farbenfrohen Akzent zu verleihen. Anders als die Pariserin musste sich die West-Berlinerin ihren Chic ja erarbeiten, was einerseits dem Geldmangel geschuldet war, und andererseits ihrer Eigenwilligkeit. Denn Mode sah Lydia als etwas, das ihrem Typ entsprechen musste, und nicht umgekehrt.

Eine ihrer besten Freundinnen war Kunstlehrerin, mit ihr widmete sich Lydia jeden Samstag der Haute Couture in Eigenarbeit. Es wurde kreiert, fabriziert, anprobiert, alles aus einer Hand. Sie war sehr geduldig im Nähen wie im Auftrennen, über 20 Jahre Nadelarbeit im Dienste des Glamours.

Wochentags hat sie gearbeitet, im Bezirksamt, aber an den Abenden, da war die Stadt ihr Laufsteg: Vernissagen, Konzerte, und natürlich der Ku’damm. Zwei, drei Veranstaltungen gab es immer, jeden Tag. Es gab ja alles, auf knappstem Raum, Galerien, Theater, Oper. Ohne die Kunst wäre West-Berlin ein Knast gewesen. Künstler waren in der Stadt das, was die Papageien im Zoo sind, die bunten Vögel, die den Käfig vergessen machen. Lydia liebte das Bunte, sie war mittendrin, sie war die ideale Zuschauerin. Ohne Frauen wie sie hätten all die Kulturschaffenden kein verständiges Publikum gehabt. Sie war ja auch immer da. Verreist ist sie selten, anfangs der Mutter zuliebe, und dann kam es nicht mehr dazu, ausgenommen zur Documenta und zur Biennale, das war interessanter, als sich irgendwo „in die Sonne zu klopsen“.

Die Zeit verrann anders damals in West-Berlin, man war dauernd unterwegs, aber immer im Kreis, denn es gab ja kein wirkliches Ziel außerhalb. Diesen Rhythmus behielt sie bei bis zum Ende. Man besorgt Blumen, liest ein Buch, schläft ein bisschen, dann ein Käffchen, kurz mal ins KaDeWe, und schon ist der Tag wieder vorbei und Abends gern um die Ecke zum Italiener. Schickimicki war nicht ihrs, auch wenn sie bis zuletzt den großen Auftritt liebte. Roter Mantel, Lidschatten, Lippenstift, das Styling war stimmig von Kopf bis Fuß. An die hundert Schuhe besaß sie, farblich gab es kaum eine Nuance, die sie ausließ, denn ohne ihren Mut zur beständigen Kolorierung, daran hat sie nicht einen Moment gezweifelt, wäre die Stadt eine viel grauere gewesen. Woran man eine echte West-Berlinerin erkennt? Erst zum Frisör, dann ins Grab.

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