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Berlin: Madonnas Nachkommen

„Voguing“ war in den 80er Jahren ein Tanz für Männer in Frauenposen. Heute entdecken ihn die Frauen, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

Eine schwungvolle Hüftbewegung, dann tänzelt Archie Burnett auf den Zehenspitzen. Er fixiert sich selbst im Spiegel mit den Augen. Posiert, wirft die Arme hoch. Die Hand landet auf dem Hinterkopf, er lässt sie am Gesicht entlang den Körper hinuntergleiten. „Wir sprechen mit dem Körper, wir sprechen mit Bewegungen“, sagt Burnett mit lauter, sonorer Stimme.

Burnett lehrt Waacking und Voguing, er ist eine Legende in diesen Tanzszenen. Der Stil Voguing, der sich durch zackige, rechtwinklige Armbewegungen auszeichnet, mag einem dank des Madonna-Liedes („Vogue“) aus den frühen 90ern noch ein Begriff sein. Das weniger bekannte Waacking ist ein ähnlicher Tanz, bei dem die Bewegungen natürlicher sind, wie Burnett sagt. Während des einwöchigen „Berlin Voguing Out“-Festivals gibt er im motions-Studio am Moritzplatz einen Workshop. Burnett lehrt zum ersten Mal in Berlin. Das Festival endet am heutigen Samstag mit dem „Five Element Ball“, einem großen, glamourösen Tanz-Contest.

Der 54-jährige Burnett, der mindestens zehn Jahre jünger wirkt, ist eine gewaltige Erscheinung: zwei Meter groß, muskulös, stämmige Figur. Der schwarze New Yorker trägt ein Muskelshirt, dazu Jeans und gelbe Socken. Zwischendurch dreht er immer mal wieder seine Pirouetten, locker-leicht sieht das aus.

Sein Kurs ist sehr gemischt: kurzhaarige wie langhaarige Frauen, tätowierte oder stark geschminkte, einige in Leggins, andere in Schlabberturnhosen. Ein einziger, lockiger junger Mann hüpft dazwischen herum. Die meisten zwischen 20 und 25, bei manchen läuft’s schon flüssig, bei anderen noch angestrengt.

Die Schwestern Leela und Haouika Porro tanzen nach einem Workshop in New York zum zweiten Mal mit Burnett. „Er schafft es, die Kleinigkeiten aus einem herauszukitzeln“, sagt Leela, 27, die mit ihrer vier Jahre älteren Schwester beim finalen Contest am Samstag mit ihrem Tanzkollektiv „House of monGo“ antreten.

Für Tanzlehrer Burnett ist Voguing untrennbar verbunden mit der Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft. „Die Bewegungen kommen aus dem echten Leben“, sagt er. „Du lernst dich selbst kennen durch den Tanz – woher du kommst, was deine Leidenschaften sind.“ Der Übergang zwischen Schauspielerei und Tanz ist fließend. Zur Demonstration kocht er eine Gemüsepfanne – tanzt, als hätte er Schälmesser und Pfefferstreuer in der Hand.

Voguing entstand in den 1960er Jahren in den schwulen Subkulturen New York. Mit dem Stil wollte die Ballroom- und Dragqueen-Szene die schillernden Laufsteg-Bewegungen der Models aufs Tanzparkett bringen. Anfang der 90er war Voguing dann en vogue – nicht zuletzt dank Madonna: „Strike the pose!“ Waacking ist die abgewandelte Westcoast-Variante, die vor allem durch die „Outrageous Waacking Dancers“ in der US-Serie „Soul Train“ bekannt wurde.

Während die Songs von Donna Summer und den Jackson Five unter der Diskokugel erklangen, kreierte die Funk- und Disco-infizierte Masse einen libertären Bewegungsstil dazu. Männer mit femininen Bewegungen dominierten die Szene. Das ist heute anders. Die Initiatorin des Festivals Georgina Philp, die in Berlin Workshops anbietet, sagt: „Es ist ein Tanzstil, den jetzt vor allem Frauen in der männlich dominierten Hip-Hop-Szene für sich entdecken.“ Seit fünf Jahren ist Voguing deshalb wieder angesagt, auch in Berlin. „Die Kerle entwickeln dadurch Respekt vor den Frauen“, sagt Burnett. So gehe es auf der Tanzfläche auch um Selbstbewusstsein und Freiheit.

„Du erzählst uns hier eine Story. Sei diese Geschichte!“, ruft Burnett einer Schülerin zu, die einen Armschwung versucht. Noch einmal. Am Ende ist auch er zufrieden – und gibt der jungen Tänzerin noch mit auf den Weg, worum es ihm geht: „Gib uns Drama, Baby!“ Jens Uthoff

„Five Elements Ball“, Sonnabend, 17. August, Theater Aufbau Kreuzberg, Moritzplatz. Einlass: 20 Uhr, Eintritt 15 Euro.

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