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Berlin: Mahner, Mäkler, Menschenfischer

Der Weg über den Alexanderplatz ist ein Hindernislauf. Missionare aller Art betreiben hier ihre Zettelwirtschaft

„Bei der Reizüberflutung auf dem Platz ist die Wirkung vermutlich relativ gering“, sagt Harald Büttner vom Straßenamt Mitte. Er meint die Wirkung der Scientologen. Der Bezirk hatte verhindern wollen, dass sie auf dem Alex ein Zelt aufbauen, wollte keine kommerzielle Veranstaltung in der Öffentlichkeit. Nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde das Zelt aber genehmigt, weil es keinen kommerziellen Charakter, sondern den eines „Info-Standes“ hat.

Besucher nehmen gern das Heft „Der Weg zum Glücklichsein“ in die Hand, andere mäkeln aber hin und wieder: Sie könnten sich nicht vorstellen, dass die Scientologen die Welt verbessern. Fällt das Reizwort „Sekte“, wirken die ehrenamtlichen Helfer der Scientology-Kirche im Zelt reserviert. Die Passanten auf dem Platz zeigen sich gleichgültig und tolerant. „Das Zelt stört mich nicht“, heißt es häufig, am Abend ist es nach mehreren Tagen wieder abgebaut.

Wirklich geschimpft wird auf dem Platz über die vielen Zettelverteiler, die den Gang über den Alex zum Hindernislauf machen. Das sicherste Mittel, sich vor ihnen zu schützen, verrät ein Kenner der Szene am Rand des Brunnens der Völkerfreundschaft: „Willst du Ruhe haben, musst du nur mit einem Stapel Papier in der Hand rumlaufen, dann machen die Zettelverteiler alle einen großen Bogen um dich.“

Auf dem Platz Wirkung zu erzielen, ist bei dem Massenangebot an Werbung und Informationsständen wirklich nicht leicht. Da wird beharrlich um den Kauf der Zeitung „Stütze“ gebeten, und wer dankend ablehnt, kann es nur wenige Schritte weiter mit dem Tierhilfswerk zu tun bekommen, das mit Stand und diversen Zettelverteilern vertreten ist. Dann stoßen Passanten in Höhe des Kaufhofs auf Frauen, die mit blauen Zetteln winken. Sie künden vom „Evangelischen Pfingstgemeindewerk der weltweiten Missionsbewegung“.

Die Bewegung ist am Donnerstag zumindest platzweit vertreten. Von Saturn her kommen, zwischen wandelnden Wurstverkäufern, Männer mit weißen Zetteln, auf denen dasselbe zu lesen ist. Recht bescheiden wirkt der Lotteriestand, dessen Sinn und Zweck für die Berliner Krebsgesellschaft nur in kleinster Schrift zu entziffern ist. Eine Lotterie-Karre steht gegenüber verlassen auf dem Platz, ein trauriges Bild verpasster Glückschancen. Gelb wie das Zelt der Scientologen leuchtet ein ADAC-Stand.

Jörg Rilat ist vom Alex als Werbefeld begeistert. „Ein Knotenpunkt, hier kommen Leute aus aller Welt vorbei“, schwärmt er. Rilat selbst ist welterfahren, war, sagt er, schon im chinesischen Fernsehen zu sehen. Als „Leitender Organisator und Erster Sekretär der Komunistischen Internationale in Gründung“. Das Informationsblatt, das er verteilen will, liegt wie Blei in seinen Armen. Rilat hat es – nicht nur wegen des politischen Textes (etwa über die nordkoreanische Nuklearfrage), schwerer als andere Zettelverteiler. Sein Blatt, Ausgabe Nummer 28, kostet 25 Cent.

Christian van Lessen

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