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Immer donnerstags demonstriert die Initiative „Basta“ vor dem Landeskriminalamt.

© RubyImages/B. Niehaus

Mahnwachen und Stolperstein-Putzen: Neuköllner Nachbarschaft vernetzt sich gegen rechten Hass

„Basta“ demonstriert wöchentlich vor dem LKA für die Aufklärung von rechten Straftaten. Andere Initiativen schließen sich an – und koordinieren Aktionen.

Immer wieder donnerstags. Jede Woche. Schon seit Mai 2019 stehen Karin Wüst und ihre Mitstreiter von „Basta“ um acht Uhr vor dem Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm, schräg gegenüber dem Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke. Es ist ein Ritual von beklemmender Dringlichkeit.

Sie verlangen die Aufklärung der rund 70 rechtsextremen Straftaten, die Neukölln seit 2016 erlebt – mit Todesfällen, Bedrohungen und Hetze gegen linke Abgeordnete, antirassistische Aktivisten und Geflüchtete sowie allein 23 Brandanschlägen. Erst Mitte Juni wurde erneut die „Damaskus“-Konditorei in der Sonnenallee Ziel eines Anschlags. Ein Auto brannte aus, das Haus wurde mit SS-Runen beschmiert. Es war bereits der siebte Angriff auf die Bäckerei seit dem Sommer 2019.

Noch immer aber erhalten die Basta-Aktivisten keine Antwort. Dabei hat ihr Anliegen gerade in diesen Tagen eine zusätzliche Dramatik bekommen, nachdem ein mit den Ermittlungen befasster Staatsanwalt wegen möglicher Sympathie für rechte Anliegen versetzt wurde und bekannt wurde, dass ein LKA-Beamter, der in Neukölln Opfer-Kontaktmann war, selber als rassistischer Schläger aufflog.

„Guten Morgen LKA – aufwachen, rechtes Auge öffnen“, steht auf einem Transparent. Ein Dutzend Aktivisten von „Basta – wir haben genug“ stehen an diesem Donnerstag vor dem LKA-Eingang, zumeist sind es ältere Frauen. Sie alle wohnen in Britz. An diesem Morgen bleibt es ruhig; eine Mitarbeiterin lächelt ihnen sogar zu.

Aber LKA-Mitarbeiter haben sie auch schon beschimpft oder Transparente weggestoßen. Karin Wüst ist entschlossen, den wöchentlichen Protest fortzusetzen, bis es Aufklärung gibt. „Wir lassen sie nicht in Ruhe.“ Das ist ihre Motivation. „Klären Sie uns auf: Arbeiten LKA und Nazis zusammen?“, steht auf einem anderen Plakat. Die bekannt gewordenen Verbindungen von Polizisten zu rechten Netzwerken halten sie nicht für Einzelfälle, sondern sehen hier ein strukturelles Problem, das nicht entschieden genug angegangen wird.

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Karin Wüst weiß bei diesem Interesse viele Berliner hinter sich. Auch bei den Freiwilligentagen „Gemeinsame Sache“ ist „Basta“ dabei und lädt alle Interessierten ein, am 17. September an der wöchentlichen Demonstration teilzunehmen. Auch ein kurzer Film über die Arbeit von „Basta“ kann im Netz angeschaut werden.

In Neukölln ist ein enges Netz des Widerstands gewachsen

Die große Zahl von unaufgeklärten rechten Straftaten in Neukölln hat dazu beigetragen, dass ein enges Netz der Gegenöffentlichkeit und des Widerstands gewachsen ist. Initiativen, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus wenden, haben sich im Bezirk schon vor etlichen Jahren zum „Bündnis Neukölln“ zusammengeschlossen. Gemeinsam treten sie für Demokratie, Respekt und Vielfalt ein.

Mit dabei sind die katholische und evangelische Kirche sowie einzelne Gemeinden, der Deutsche Gewerkschaftsbund und Einzelgewerkschaften wie Verdi und die IG Bau, aber auch die SPD, die Grünen und die Linke. Natürlich auch „Basta“ und die Britzer Initiative „Hufeisern gegen Rechts“.

Die Aktionsgruppe „Aufstehen gegen Rechts“ macht erfolgreiche Aufklärungs- und Protestaktionen gegen die AfD und seit 2017 organisieren Aktivisten das Festival „Offenes Neukölln“, um zu zeigen, wie bunt, solidarisch und tolerant der Bezirk ist. Und die Initiative „Rudow empört sich“ hat gerade erst im Juni mit 25 Freiwilligen fleißig rechte Schmierereien und Aufkleber entfernt.

Auch vor dem beklemmenden Hintergrund der ungeklärten Hasstaten haben Aktive aus dem „Bündnis Neukölln“ und andere Initiativen sich für die Freiwilligentage gemeinsame Aktionen ausgedacht. Lukas Schulte und Olivia Reber vom Neuköllner Engagement-Zentrum NEZ planen, dass die Initiativen und Engagierte gemeinsam sämtliche 217 Stolpersteine im Bezirk putzen – als Mahnung und Warnung, die Lehren aus der NS-Zeit niemals zu vergessen. Und als eine Demonstration des toleranten Neukölln.

Solidarisch mit den Opfern. Olivia Reber und Lukas Schulte koordinieren die Neuköllner Stolperstein-Putzaktionen.
Solidarisch mit den Opfern. Olivia Reber und Lukas Schulte koordinieren die Neuköllner Stolperstein-Putzaktionen.

© Gerd Nowakowski

Seit Wochen koordinieren Reber und Schulte aus ihrem Büro in der Hertzbergstraße nahe dem historischen Richardplatz diese Putzaktionen. Alle Initiativen teilen den Bezirk unter sich auf. Die Gruppe „Aufstehen gegen Rassismus“ hat den Schillerkiez (13.9.) übernommen, „Hufeisern gegen Rechts“ plant zwei Putzaktionen in der Hufeisensiedlung (17.9.), die Initiative „Offenes Neukölln“ will Freiwillige am 16. September in den Körnerpark einladen. Auch Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) und die neue bezirkliche Integrationsbeauftragte Güner Balci wollen am 15. September zusammen mit einer Schulklasse Stolpersteine putzen.

Das Neuköllner Engagementzentrum, so erzählt Lukas Schulte, will alle Initiativen mit Putzzeug ausstatten und möglicherweise mit Blumen, um die ermordeten Berliner zu würdigen. Alle Initiativen freuen sich über Freiwillige – wer mitmachen möchte, muss sich vorher bei den Gruppen melden, um den Treffpunkt zu erfahren.

Beteiligen werden sich auch die Neuköllner Abgeordneten Niklas Schrader und die selbst mehrfach bedrohte Anne Helm. Vor dem Abgeordnetenbüro der beiden Politiker der Linken in der Schierker Straße 26 werden am 18. September neue Stolpersteine verlegt. Und wer möchte, kann auch eigene Aktionen vorschlagen.

Mehr Infos: www.basta-britz.de. Einen Überblick über alle Stolperstein-Spaziergänge in Neukölln gibt es auf www.gemeinsamesache.berlin

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