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Berlin: Mal nett, mal grob – die zwei Gesichter der Berliner

Touristen begegnen die Hauptstädter oft freundlich. Geraten sie in Stress, wird der Ton aber schnell rau

Rund zwei Millionen Besucher sollen über Ostern in der Stadt sein. Hunderttausende laufen mit Stadtplänen umher, sehen sich um, warten auf Hilfe. Sie können testen, wie höflich die Berliner sind. Sie stehen trotz anderslautender Umfrageergebnisse noch immer nicht im Ruf, außerordentlich freundlich zu sein. In diesen Tagen scheint die Stadt aber wie ausgewechselt zu sein. Sie wirkt zuvorkommend und höflich – auch wenn vielleicht nur auf den ersten Blick.

Es gibt Kriterien für höfliche Umgangsformen, die das Magazin Readers Digest vor kurzem zu einemTest von weltweit 35 Großstädten veranlasste. Freundliche Umgangsformen wie Türaufhalten oder Achtgeben, wenn jemandem was herunterfällt. Die Berliner erreichten dabei von 100 Punkten 68 und den fast sensationellen vierten Platz auf der internationalen Höflichkeitsskala, was allgemeines Erstaunen auslöste. Berlin hinter Zürich und Toronto! Die Londoner, die sich auf Schritt und Tritt entschuldigen, kamen auf Platz 18. Die Höflichsten waren die New Yorker, zu den Unhöflichsten gehörten die Bukarester und die Bewohner in Kuala Lumpur, Malaysia.

Wir haben den Versuch gemacht. Wir schauen uns beispielsweise in der Friedrichstaße um, die gerade jetzt eines der viel besuchten städtischen Vorzeigestücke ist. Da fallen eben die vielenTouristen auf, die nach dem Brandenburger Tor, dem Gendarmenmarkt, dem Reichstag und den Hackeschen Höfen fragen und meist freundliche Antworten und helfende Zeigefinger beim Kartenlesen bekommen. Es wird jedenfalls immer herzlich gedankt. Die Berliner, so der Eindruck, helfen gern. Wenn das nicht höflich ist. Wir lassen beim Gehen eine Mappe mit Papieren fallen, schon ruft eine junge Frau: „Ich glaube, Sie haben was verloren!“ Sie hebt sogar die Papiere auf, reicht sie freundlich weiter. Der Test wird dreimal mit Erfolg wiederholt. Wir kaufen bei Kamps ein einziges Brötchen und ernten Dankesworte. Bei Leysieffer, wo gerade viel Trubel herrscht, gehen wir an die Verkaufstheke und bitten nur um ein Glas Wasser. „Moment“, sagt die viel beschäftigte Verkäuferin, „bin schon unterwegs.“ Das als rau und ruppig verschriene Berlin scheint Urlaub zu haben.

Wir schlendern ins edle Restaurant Bocca di Bacco, auf der Suche nach einer Toilette. Der Kellner guckt gar nicht pikiert, sondern weist freundlich den Weg. „Kein Problem.“ Die Open-Air-Bar des Westin Grand schenkt unentgeltlich und höflich ein Glas Wasser aus, und dass Fremde einfach so in der Hotellobby sitzen und Löcher in die Luft starren, ohne etwas bestellen zu müssen, ist – so die höfliche Auskunft – „selbstverständlich“. Vorm Kaufhaus Lafayette beobachten wir, wie sich die Besucher die Türen aufhalten, in der Parfümabteilung spricht ein höflicher Herr die Kunden an, ob sie nicht an einem neuen Duft interessiert sind. Das kommt gut an. Der Mann sagt, dass er in Polen geboren und in Belgien aufgewachsen ist und glaubt, dass man von einer generellen Höflichkeit in Berlin nicht sprechen könne.

Recht hat er. Untereinander gehen wir anders mit uns um; da zeigt der Berliner seine zwei Gesichter. Da wird vor U-Bahnen oder in Warteschlangen (auch vor Knut) gerangelt, da pöbeln sich Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer gerne wegen Nichtigkeiten an. Wer sich mitten in einen stark genutzten U-Bahneingang stellt – etwa am Kottbusser Tor – sollte sich nicht wundern, „Idiot“ und „Penner“ genannt zu werden. Zur Eröffnung des Schloss-Straßen-Centers spielten sich kürzlich in den Warteschlangen reihenweise Unfreundlichkeiten ab, es wurde geschimpft und vorgedrängelt. Ein junger Mann, der gestern einer alten Dame auf den Stufen zum U-Bahnhof Viktoria-Luise-Platz aus Versehen auf die Hacken trat und sich entschuldigte, erntete zum Dank ein herzhaftes „Arschloch“.

In Behörden, wo Wartennummern gezogen werden müssen, paaren sich bei Besuchern oft Dummheit und Frechheit, höfliche Umgangsformen haben keinen Platz. Und wenn Leute nur gucken, wenn U-Bahnfahrgäste stinkende Döner essen und ihre Hunde frech auf die Bänke setzen, ist das nichts als höflich getarnte Angst, was Böses sagen zu müssen. So was kommt täglich tausendmal vor, und jeder Berliner kennt das. Die raue Schale ist nicht geknackt, und in der U-Bahn, deren zerkratzte Scheiben wie andere Schmierereien kein Zeichen höflichen Umgangs mit der Stadt sind, steht kaum noch ein Kind auf, um einem Erwachsenen Platz zu machen. Zu Fremden nett, zu seinesgleichen pampig – warum das so ist, müssen uns Wissenschaftler wohl noch erklären.

Da genießen wir es lieber, dass es am Lustgarten, einer Oase der Freundlichkeit, ausgesucht höflich zugeht. Es wird viel geschmust und fotografiert und selbst die Fahrradfahrer auf Stadtrundfahrt, die den Lustgarten störend durchqueren, ernten kein böses Wort. Der 100er Buslinie zwischen Mitte und City-West ist ein Höflichkeitstest. Die Busse sind oft voller lärmender jugendlicher Touristen. Da wird italienisch oder holländisch gesungen, und die Fahrer schreien nicht „Schnauze“, was sie bei einheimischen Fahrgästen vielleicht gern täten. Sie halten sich zurück, rufen „bitte durchtreten, sonst geht die Tür nicht zu, ganz einfach“. Das klingt leicht gereizt. Manchmal bleiben sie, ohne Durchsage, an einer Haltestelle länger stehen, um den Fahrgästen zu zeigen, dass was nicht stimmt. Das kann fünf Minuten dauern. Die Leute im Bus sind höflich und murren nicht. Aber es sind ja auch Touristen.

Sind die Berliner höflich oder ruppig, freundlich oder pampig? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Zuschriften unter berlin@tagesspiegel.de

Christian van Lessen

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