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Berlin: „Manche meiner Texte verstehe ich selbst nicht“

Morgen tritt Heinz Rudolf Kunze in der Columbiahalle auf. Im Gepäck hat er seine neuen Songs. Im Interview erzählt er, warum er ein Faible für Metaphern hat. Und weshalb er Johannes Rau für einen Oberlehrer hält

Herr Kunze, während wir hier beim Kaffee sitzen, demonstrieren um die Ecke vor der amerikanischen Botschaft immer mal wieder junge Menschen gegen die USPolitik im Irak. Freut Sie das?

Ich war wie jeder vernünftige Mensch enttäuscht über den Krieg. Demonstrationen dagegen sind allerdings hauptsächlich etwas für die Leute selbst, die sie veranstalten. Die Macht mit den meisten Kanonen auf der Welt werden sie dadurch nicht stoppen.

In Ihren neuen Texte sind Sie ungewöhnlich politisch und eindeutig. Gerade mit den Amerikanern gehen Sie hart ins Gericht. Klingt nach enttäuschter Zuneigung.

Ja, ich bin zwar nicht über Amerika als Ganzes enttäuscht, aber von dem Regime, was da an der Macht ist. Ich habe nie ganz verstanden, wieso die überhaupt an die Macht gekommen sind. Aber die Amerikaner ticken halt ein bisschen anders. Das ganze Thema berührt mich sehr, weil mich Amerika immer sehr beeindruckt hat. Ich war acht Mal da, habe viele Bekannte dort. Und das muss man immer wieder trennen von der Bush-Regierung! Walter Jens sagte neulich: Amerika ist nicht nur Bush, sondern auch Martin Luther King. Ich würde ergänzen: Amerika ist nicht nur Dick Cheney, sondern auch Bob Dylan. Und ich bin mir sicher: In zehn Jahren erinnert sich keiner mehr an Cheney. An Dylan schon.

Amerika ist überall, schreiben Sie in einem Text.

Ja, zumindest in den Westdeutschen steckt extrem viel Amerika. Die westlichen Werte, die wir nach dem Weltkrieg bekommen haben, wirken unverändert stark. Das begann mit Nylonstrümpfen und Kaugummi und Schokolade, ging weiter über den Rock’n’Roll bis hin zu der Musik, die ich heute mache.

Wie viel Potenzial hat die gemeinsame Kultur, unsere Länder wieder zu versöhnen?

Sehr großes. Ich denke, es gibt genug Bindungen auf allen Ebenen. Auf der politischen wird es allerdings weitgehend Funkstille geben, solange Schröder und Bush regieren, befürchte ich. Aber das halten wir aus: Unsere beiden Länder verbindet auch so genug.

Abgesehen von besagten politischen Aussagen frönen Sie auch in Ihren neuen Stücken weiterhin der Vieldeutigkeit und spielen ausufernd mit sprachlichen Bildern. Haben Sie keine Angst, dass sich Ihre Hörer bei Ihnen im Metaphernwald verlaufen?

Das tue ich ja selber auch immer wieder. Mir macht das einfach Spaß. Es gibt Texte von mir, die verstehe ich selbst nicht ganz genau. Da kann ich selbst nur Andeutungen machen, was sie vielleicht bedeuten könnten. Aber wenn ich ein Stück nach einem Mal hören restlos ausdeuten kann, dann ist das doch langweilig.

Insgesamt klingt Ihre Musik heute optimistischer als früher. Hat sich der unverbesserliche Pessimist Kunze gewandelt?

Ich bin weiterhin Pessimist, aber ich irre mich gerne. Das geht doch den meisten Kollegen in diesem Land so, die man ernst nehmen kann. Die machen mehr melancholische, bittere Sachen als fröhliche. Die Welt ist ja auch nicht so, das man das ungebrochen tun könnte. Es ist ja schon viel gewonnen, wenn man in Liedern ab und zu mal ein Augenzwinkern hat oder die Bemerkung: Es wird schon gehen. Aber es kann doch heutzutage niemand ein Lied anbieten, in dem er sagt: Alles ist dufte. Die meisten Gründe sprechen dagegen.

Sie machen sich in einem Text über Johannes Rau lustig, nennen ihn den Präsidenten der deutschen Oberlehrer. Reibt sich da der eine Oberlehrer am anderen?

Ich fand dieses Attribut, das man mir anhängte, immer völlig verfehlt. Ich belehre die Leute wesentlich weniger als Rau oder als die meisten meiner Musikerkollegen. Mein Anliegen ist, Geschichten mit einem offenen Schluss zu erzählen, damit sich die Leute ihre eigenen Gedanken machen können. Das ist das Gegenteil von Belehrungen.

Das Gespräch führte Lars von Törne

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