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Berlin: Mancher Coup beschert den Verbrechern einen Karrieresprung

Verbrechen mag sich nicht auszahlen, zuweilen hat es aber einen entscheidenden Einfluss auf die Karriere. Wer beispielsweise interessierte sich für jenen mageren Mann, namens Wilhelm Voigt, solange er Stiefel flickte und Kohlen schleppte - bis er als "Hauptmann von Köpenick" Schlagzeilen machte?

Verbrechen mag sich nicht auszahlen, zuweilen hat es aber einen entscheidenden Einfluss auf die Karriere. Wer beispielsweise interessierte sich für jenen mageren Mann, namens Wilhelm Voigt, solange er Stiefel flickte und Kohlen schleppte - bis er als "Hauptmann von Köpenick" Schlagzeilen machte? Anschließend avancierte zu so etwas wie einem Medienhelden: Voigt bereiste ganz Deutschland, trat in Kabaretts und bei Karnevalsveranstaltungen auf.

Der "Hauptmann" war gewissermaßen ein Pionier der beruflichen Umsteiger. Arno Funke zählt zu seinen jüngsten Nachfolgern: Aus dem Autolackierer wurde nach der Tat ein Autor, der mit seinem Buch "Mein Leben als Dagobert" von Lesung zu Lesung zieht. Am heutigen Freitag beispielsweise wird Funke auf der Bühne des Freizeitforum Marzahn (20 Uhr) über das Thema "Nie wieder Kaufhauserpresser!" dozieren. 21 Mark Eintritt verlangen die Veranstalter. Allerdings dürfte Funke von der Gage kaum eine Mark bleiben: Sie wird eingezogen, um Funkes gigantischen Schuldenberg abzutragen.

Die Berliner Justizverwaltung unterstützt die Lese-Tour ihres prominenten Freigängers. "Es geht bei den Lesungen um Funkes berufliche Zukunft: Er ist Autor", sagt Justizsprecherin Svenja Schröder Lomb. Schließlich gehe es beim Strafvollzug auch darum, die Gefangenen allmählich auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Und bei den Lesungen schaffe sich der Ex-Erpresser ein "Standbein fürs Leben nach der Haft".

Freigang aus beruflichen Gründen bekam auch Boxpromoter Ebby Thust. Eigentlich verbüßt Thust gerade eine sechsjährige Haftstrafe wegen der Erpressung von Steffi Grafs Vater Peter - Thusts Freundin behauptete, ein Baby von Graf zu bekommen. Bei den Kämpfen seiner Boxer sah man Thust in der ersten Reihe sitzen. Die lauteren Gäste fanden die Begegnungen mit Thust und seinem Hamburger Pendant, Karl-Heinz Schwensen, aufregend, gab es ihnen selbst doch ein wenig "Verruchtheit". Allerdings hat Thust bei seiner für 1999 vorgesehenen vorzeitigen Entlassung einen Tiefschlag erlitten, nachdem in seinem Urin Kokain entdeckt wurde. Auch der offene Vollzug wurde ihm vorläufig verboten. Falls er nicht vorzeitig entlassen wird, wird Thust erst im Frühjahr 2001 wieder am Ring sitzen.

Vom Verbrecher zur Kultfigur

Das englische Pendant zu Arno Funke dürfte der Posträuber Ronald Biggs sein. 1963 überfielen Biggs und seine Komplizen auf der Insel einen Postzug und erbeuteten 30 Millionen Pfund. Sie wurden zwar bald geschnappt, Biggs konnte aber nach Rio de Janeiro flüchten, wo er bis heute lebt. So wurde er im Königreich zur Kultfigur: Die Geschichte von Biggs wurde mit Phil Collins in der Hauptrolle verfilmt, er selbst nahm in den siebziger Jahren im Exil mit der Punk-Band "Sex Pistols" eine Platte auf und stellte 1994 seine Memoiren vor, die in England zum Bestseller wurden. Ein letzter Auslieferungsantrag der englischen Regierung wurde im letzten Jahr von Brasilien abgelehnt.

Nicht jeder vermag über das süße Leben nach dem Coup zu lächeln. Die Auftritte von Funke wurmen vor allem die Kriminalpolizei. Funke werde systematisch zum Prominenten aufgebaut, schimpfen die Beamten. "Politiker, Journalisten und sonstige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens treten ohne Bedenken mit einem verurteilten Verbrecher auf und machen den Leuten auf diese Weise klar: Der hat es geschafft, Verbrechen lohnt sich doch", sagt Holger Bernsee vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.

Aber vielleicht trägt ja Arno Funke inzwischen gar nicht mehr "Schriftsteller" als Berufsbezeichnung ein, sondern schlicht "Promi". Anfang Oktober jedenfalls war er in die VIP-Lounge auf einem Fest vom "Stern" geladen und im Gespräch mit dem SPD-Spitzenkandidaten Walter Momper und BDI-Chef Hans-Olaf Henkel fotografiert worden - sehr zum Missfallen von Justizsenator Körting. Solche Einladungen seien "ein Schlag ins Gesicht gegenüber allen ehrlichen Menschen in diesem Lande", schimpfte Körting. Auf die Promi-Partys muss der ehemalige Lackierer nun verzichten - zumindest bis zum kommenden April. Dann wird Arno Funke voraussichtlich entlassen.

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